Schmerzmittel, Antibiotika, Hormone und Röntgenkontrastmittel landen täglich im Abwasser. Hinzu kommen Spurenstoffe, die sich in Rostschutzmitteln, Geschirrspültabs und anderen Haushalts- und Industriechemikalien befinden. Die Rückstände können von herkömmlichen Kläranlagen nicht herausgefiltert werden, belasten die Gewässer – und gelangen laut Umweltbundesamt auch ins Trinkwasser. Bremen prüft jetzt den Ausbau der Kläranlage Seehausen, die von Hansewasser betrieben wird.
Wie kommen Medikamenten-Rückstände ins Abwasser?
Sie gelangen über Ausscheidungen wie Urin und vor allem über unsachgemäße Entsorgung in der Toilette oder im Spülbecken ins Abwasser. In einer Umfrage der Hamburger Umweltbehörde aus dem Jahr 2017 gaben mehr als 40 Prozent der Befragten an, mindestens ein altes Medikament pro Jahr in die Spüle oder Toilette zu schütten. Aber auch in Kliniken oder radiologischen Einrichtungen würden Reste von Arznei- oder Röntgenkontrastmitteln so beseitigt, wie die Karlsruher Fraunhofer-Forscherin Jutta Niederste-Hollenberg 2020 in einem "Deutschlandfunk"-Beitrag berichtete. Die Wissenschaftlerin hatte Studienergebnisse bei einer Veranstaltung des Spurenstoffzentrums des Bundes vorgestellt.
Welche Stoffe, die bisher nicht herausgefiltert werden können, werden im Bremer Abwasser nachgewiesen?
Für Arzneistoffe im Abwasser gibt es derzeit keine gesetzlichen Grenzwerte, sondern sogenannte Qualitätsnormen. In Bremen wurden in den vergangenen zwei Jahren Rückstände von 59 Spurenstoffen von Arznei-, Röntgenkontrast- und Pflanzenschutzmitteln, Industrie- und Haushaltschemikalien an den Kläranlagenabläufen gemessen. Vor allem Rückstände des Wirkstoffs Diclofenac überschreiten demnach die Normen, teilt die Umweltbehörde mit. Diclofenac ist etwa in Salben enthalten, die abgewaschen werden und dadurch ins Abwasser gelangen. Die anderen Stoffe lägen größtenteils unterhalb der Grenzen, was sich mit der starken Verdünnung durch die Weser erklären lasse. Aber: Der Blick müsse der Gesamtmenge (Frachten) der Stoffe gelten. "Bei verschiedenen Arzneimitteln sind tägliche Frachten im zwei- bis dreistelligen Grammbereich festzustellen, was einem rechnerischen Anteil von fünf bis 15 Prozent entspricht", teilt das Umweltressort mit.
Wie können die Rückstände aus dem Abwasser gefiltert werden?
"Derzeit wird das Abwasser in der Kläranlage Seehausen in drei Stufen durch mechanische, biologische und chemische Verfahren gereinigt", erklärt Hansewasser-Sprecher Oliver Ladeur. "Danach enthält es noch Spurenstoffe, die aus Arzneimitteln, Kosmetika, Haushalts- oder Industriechemikalien stammen." Durch eine vierte Reinigungsstufe könnten sie herausgefiltert werden, zwei Methoden gibt es, bei denen Ozon oder Aktivkohle eingesetzt wird. Nach Plänen der EU-Kommission soll die vierte Reinigungsstufe ab 2030 in größeren Kläranlagen verpflichtend eingeführt werden. Immer mehr Kommunen in Deutschland setzen die vierte Stufe bereits in Pilotanlagen ein. Bayern etwa hat im Januar ein Förderprogramm für die etwa 2400 kommunalen Kläranlagen von 16 Millionen Euro aufgelegt.
Was plant Bremen?
"Insbesondere die Einleitung von Medikamenten, die in einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft verstärkt genutzt werden, und von Chemikalienresten aus Industrie und privaten Haushalten in unsere Gewässer muss auf ein absolutes Mindestmaß reduziert werden", sagt Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne) dem WESER-KURIER. "Hierzu trägt das Projekt der bremischen Roadmap zur weitergehenden Abwasserreinigung, das unter anderem auch die Notwendigkeit einer zusätzlichen Reinigungsstufe auf den bremischen Kläranlagen betrachtet, wesentlich bei." Seit 2020 gibt es eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Umweltressorts, von Hansewasser und des Umweltbetriebs Bremen, die ein Strategiepapier entwickelt und das Messprogramm initiiert hat. Mitte März hat die Umweltdeputation einer Machbarkeitsstudie zugestimmt, in der der Bau einer vierten Reinigungsstufe geprüft wird. Die Ergebnisse sollen bis Ende 2024 vorliegen.
Erhöhen sich durch eine vierte Reinigungsstufe die Abwassergebühren?
Der Bau würde mehrere Millionen Euro kosten, wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen. "Man braucht ein zusätzliches Becken, die Kläranlage müsste erweitert werden", so Ladeur. "Dazu käme ein erhöhter Energieaufwand für den Betrieb." Nach Angaben des Bundes der Energie- und Wasserwirtschaft würden die Abwassergebühren in Deutschland für einen Vier-Personen-Haushalt im Schnitt um 14 bis 17 Prozent steigen. Die Pläne der EU-Kommission sehen vor, dass sich die Hersteller der Produkte an den Kosten beteiligen. Die Bremer Umweltdeputation hat die Klärung der Finanzierung als Voraussetzung für eine vierte Reinigungsstufe in der Kläranlage Seehausen formuliert und die Senatorin aufgefordert, sich im Bund für die Herstellerverantwortung einzusetzen.