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Neue Form der Beteiligung Ein Sammelbecken für Bürgerideen

Mehr aktive Bürgerbeteiligung auch als Zeichen gegen zunehmende Politikverdrossenheit: das ist Ziel des Bürgerforums "Meine Mitte". Was in fünf Workshops herausgekommen ist.
02.03.2023, 05:00 Uhr
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Ein Sammelbecken für Bürgerideen
Von Sigrid Schuer

Stadtweites W-Lan, mehr ÖPNV, mehr öffentliche Toiletten und weniger Müll – nur ein Auszug dessen, was 20 Bremerinnen und Bremer im vergangenen Jahr an Ideen entwickelt und zusammengetragen haben, um ihre Stadt noch lebenswerter zu machen. Es sind die Ergebnisse einer neuen Form der Bürgerbeteiligung. „Meine Mitte“ heißt das Bürgerforum, dessen Arbeit jetzt im Bürgerbeteiligungsausschuss von Anja Leibing und Sandra Grohnert von der Senatskanzlei vorgestellt wurde.

Beschlossen worden war die Umsetzung des Bürgerforums von der Bremischen Bürgerschaft, im Anschluss übernahm die Senatskanzlei die Umsetzung des Projektes. Die Bürgerinnen und Bürger, von denen einige zu der Sitzung in der Bürgerschaft erschienen waren, bedankten sich ausdrücklich für die Wertschätzung und das „Gesehenwerden“, das ihnen im Rahmen des Formates zu Teil geworden sei.

78 Ideen

Von den anwesenden Abgeordneten wie Kevin Lehnkeit (SPD) und Thore Schäck (FDP) wurde die Bescheidenheit der Forderungen des Bürgerforums hervorgehoben. Rund 78 Ideenvorschläge wurden im zweiten Halbjahr 2022 in fünf Workshops über insgesamt vier Monate von den rund 20 beteiligten Bürgerinnen und Bürgern in 20 Stunden erarbeitet. Es sei ein breiter Querschnitt der Bevölkerung über das Melderegister nach möglichst repräsentativen Kriterien ausgewählt worden, so Leibing.

Eine Auswahl der wichtigsten, konkreten Ideen, die zeitnah umgesetzt werden könnten: die Schaffung nicht kommerzieller Räume mit hoher Aufenthaltsqualität (Überdachung von Sitzgelegenheiten und die Bereitstellung eines stadtweiten W-Lans). Ferner wurde eine Stärkung des Öffentlichen Nahverkehres sowie die Etablierung sauberer, öffentlicher Toiletten gewünscht. Weniger Vermüllung, mehr Sicherheit und mehr bezahlbares Wohnen stehen ganz weit oben auf der Wunschliste. Angeregt wurde zudem die Einsetzung sogenannter „Grüner Engel“ als Müllwächter sowie die Einrichtung ehrenamtlicher Müllsammelgruppen. Als wünschenswert erachtet wurde auch die Einrichtung eines Geräteverleihs im Quartier in Form von Sportboxen. Ein großes Thema ist ferner der Wunsch nach Gebäudebegrünung und Gemeinschaftsgärten.  

Jugendbefragung im Oktober

Diese Forderungen decken sich weitestgehend mit denen der 1154 Jugendlichen, die über die Internetplattform „It‘s learning“ im Oktober befragt worden waren. Als relativ teuer beziffert wurde das Beteiligungsverfahren mit einem Gesamtvolumen von 60.000 Euro für rund 20 Teilnehmer, das heißt rund 3000 Euro pro Teilnehmerin oder Teilnehmer. Dazu Kevin Lehnkeit: „Da machen Sie sich mal keine Sorgen, da sind wir teurer.“ Als positiv hob die Senatskanzlei hervor, dass das Angebot für alle Teilnehmer sehr niedrigschwellig gewesen sei. Die Veranstaltung habe an attraktiven Orten in Bremen, beginnend mit dem Rathaus, stattgefunden. Es gab etwas zu essen und eine Aufwandsentschädigung, ebenso war für Kinderbetreuung und Behindertentransport gesorgt worden.

Was letztendlich von diesen Vorschlägen umgesetzt werden kann, ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des politischen Willens. Die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger werden nun in der Beirätekonferenz vorgestellt und in die Beiräte und Jugend-Beiräte getragen.

Wiederholung geplant

Ob des großen Erfolgs soll das Format wieder aufgelegt werden. Als positiv wurde von der Senatskanzlei zudem bewertet, dass sich einige der Teilnehmer des Bürgerforums weiterhin gesellschaftlich engagieren wollen. Über 70 Prozent signalisierten generell mehr Interesse an politischer Beteiligung. Die Senatskanzlei und die Freiwilligenagentur wollen ihnen dabei beratend zur Seite stehen.

Kritik der Bürgerinitiativen

Dass Politikverdrossenheit ein zunehmend großes Thema ist, davor war in der Sitzung des Ausschusses für Bürgerbeteiligung, bürgerschaftliches Engagement und Beiräte in der Bremischen Bürgerschaft zuvor mehrfach gewarnt worden. Resultierend aus der Ohnmacht, die so manche Bürgerinitiative gegenüber „denen da oben“ empfindet. 17 Bürgerinitiativen gibt es bremenweit, die sich in einem Verbund zusammengeschlossen haben.

Ingo Kramer, von der Bürgerinitiative „Kein Hochhaus im Viertel“ kritisierte als Koordinator dieses Zusammenschlusses, dass oft der Eindruck entstehe, dass „der Drops schon gelutscht sei“, sprich: dass sich Investoren und Senat schon lange einig seien, bevor es überhaupt zu einer Bürgerbeteiligung komme. Eine unzureichende Bürgerbeteiligung bemängelte auch Gunnar Christiansen von der Bürgerinitiative "Platanen am Deich".

Gesetzesnovelle angemahnt

Ingo Kramer kritisierte ferner die „mangelnde Transparenz in der Arbeit“ einiger Ortsämter. Die Protokolle der Beirats- und Ausschuss-Sitzungen würden oft viel zu spät im Internet veröffentlicht. Ulrich Schlüter vom Ortsamt Osterholz hielt dagegen, dass die Protokolle durch die Beiratsmitglieder noch genehmigt werden müssten und das koste Zeit. Ein weiterer Kritikpunkt von Kramer: Dass Sprecherausschüsse überhaupt unter Ausschuss der Öffentlichkeit tagen können. Schlüters Gegenargument: Die Bürger hätten auch da immer die Möglichkeit, Fragen einzureichen.

Kramer verwies zudem darauf, dass die Bürgerinitiativen beispielsweise schon längst die Novellierung des Ortsbeirätegesetzes gefordert hätten. Dieses Thema aber sei trotz eines bereits ergangenen, positiven Verwaltungsgerichtsurteils im Bürgerbeteiligungsausschuss bisher immer wieder von der Tagesordnung genommen worden.

Ralph Saxe (Grüne) gab ihm recht. Der Ausschuss-Vorsitzende Muhammet Tokmak (SPD) versprach, sich dafür einzusetzen, dass die Umsetzung der geforderten Novellierung noch vor der Bürgerschaftswahl umgesetzt werden könne.

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