Wie eine grüne Ader ziehen sich die Wallanlagen durch das Ostertor und den Stadtteil Mitte. Das Gartendenkmal ist ein begehrtes Naherholungsgebiet. In der Hochphase der Corona-Pandemie, während der Lockdown, boten sie den gestressten Bremerinnen und Bremern eine Zuflucht, um ein bisschen das Leben draußen genießen zu können und dabei den Wechsel der Jahreszeiten zu beobachten. Ein Stück Lebensqualität mitten in der Großstadt, mit der allerdings nicht von allen immer pfleglich umgegangen wird.

Die Ergebnisse des Stadtteil-Checks Mitte auf einen Blick.
Insofern stellt sich die Frage, ob folgende Aussage nun ironisch gemeint ist oder nicht: „Tolle Lebensqualität, zu viel Dreck und Müll und Drogenkriminalität“? So wird es in einem Freitext, also einem Kommentar, des Stadtteil-Checks zur Situation im Stadtteil Mitte formuliert.
Tatsächlich ist in den Ergebnissen für den Stadtteil Mitte, die mit der WESER-KURIER-Umfrage ermittelt wurden, nur sehr selten von einer „tollen Lebensqualität“ zu lesen. Die Bewertung aller Kriterien liegt im Mittelfeld, bei 6,04 Punkten. Wie sich die Bilder gleichen: Teilweise entsprechen die Ergebnisse der Umfrage denen aus der Östlichen Vorstadt. Im Fokus der Kritik stehen auch in der Mitte die Themen Sicherheit und Sauberkeit, im Kreuzfeuer sind aber auch „Rad-Rowdys“ und die Verkehrspolitik am Wall sowie in der Innenstadt.

„Ein bisschen mehr Großstadt würde ich mir für Bremen schon wünschen", sagt
Rolf Ameskamp.
Sauberkeit
Oft überschneiden sich in den Kommentaren, gerade zu den Wallanlagen, die Problemlagen. So wird in einer Anmerkung moniert: „Die Gegend um die Contrescarpe (Höhe Richtweg) ist aufgrund der Drogensituation eine unsichere Wohngegend, obwohl die Wallanlagen eine grüne Lebensader sind. Dadurch sind die Parkanlagen, nicht nur durch Spritzen und Müll, sondern auch durch andere menschliche Bedürfnisse, stark verschmutzt. Bremen ist generell eine sehr schmutzige Stadt, vor allem im Vergleich zu süddeutschen Städten“. Diese Wahrnehmung wird von einem anderen Kommentar bekräftigt: „Sauberkeit und begehbare Fußwege wären leicht machbar und würden die Lebensqualität deutlich verbessern. Die Situation in den Wallanlagen ist leider immer noch katastrophal (Spritzen und Müll, Kriminelle)“. Und noch ein Text dazu: „Ich wünsche mir mehr Polizeipräsenz und Durchgreifen bei den vielen Drogendelikten. Außerdem ist die Vermüllung ein großes Problem“.
Jemand anders, der in der Bahnhofsvorstadt wohnt, konstatiert, dass es dort Anlass gebe, um „ängstlich zu sein“. Die Probleme: „Verschmutzung, Wallanlagen vom Herdentor bis Bürgermeister-Smidt-Straße. Für uns und die Touristen beschämend.“ In einem weiteren Kommentar heißt es: „Der Stadtteil ist durchzogen von Drogenhändlern“. Oder: „Die Sauberkeit und Sicherheit um den Bahnhof herum ist die totale Katastrophe.“ Die Sauberkeit erhält mit 3,8 Punkten denn auch eine unterdurchschnittliche Bewertungs-Note.

Findet, dass „die Mietpreise ganz schön angezogen sind“: Stefan Heimers.
Dazu vom Stadtteil-Kurier befragt, erklärt Antje von Horn, Sprecherin der Stadtreinigung Bremen (DBS): „Die Stadtreinigung führt die subjektiven Wahrnehmungen einer zunehmenden Vermüllung im Bereich Hauptbahnhof und Wallanlagen auf verschiedene Faktoren zurück. Zum einen wurde die Drogenszene vom Hauptbahnhof in die Wallanlagen verlagert, somit auch die damit einhergehenden Verschmutzungsproblematiken. Zudem werden die Freiflächen in den Wallanlagen und im Viertel ausgiebig von der „Partyszene“ genutzt, die in der Regel große Mengen an illegalen Müllablagerungen zu Zeiten produzieren, die mit den Reinigungsintervallen nur schwer zu vereinbaren sind“. Ein weiterer Punkt seien die Verschmutzungen von nicht öffentlichen privaten Anliegerbereichen, die sich negativ auf das Stadtbild auswirkten. Auch hier unterstütze die Stadtreinigung teilweise die Anlieger.
„Wir sind in den beschriebenen Bereichen schon sehr häufig unterwegs. Die Reinigungsintervalle sind hoch, auch an den Wochenenden. In den Hotspots in den Wallanlagen werden separat Spritzen gesammelt. Die Behälteranzahl wurde deutlich erhöht“, resümiert von Horn.
Sicherheit
Generell wird, wie in der Östlichen Vorstadt, auch in Mitte die mangelnde Polizeipräsenz kritisert. Die Antworten der Polizeipressestelle lagen bei Redaktionsschluss für die Sicherheitsanalyse in der Östlichen Vorstadt noch nicht vor, einige davon betreffen aber auch den Stadtteil Mitte: Darin heißt es unter anderem: „Die Hybridstreifen sind im Bahnhofsviertel und im Viertel unterwegs. Aufgrund konkurrierender Bedarfe zum Einsatz von Kräften finden die Maßnahmen im Viertel jedoch nur im begrenzten Umfang statt. Derzeit werden dort Kontroll- und Präsenzmaßnahmen an mindestens zwei Tagen die Woche durchgeführt. Die öffentlich in Aussicht gestellten und vom Beirat geforderten Hybridstreifen, insbesondere in der Freitag- und Samstagnacht in den Sommermonaten, konnten aufgrund der personellen Situation der Polizei Bremen nicht realisiert werden. Bei Kräfteverfügbarkeit werden ergänzende Schwerpunktmaßnahmen durchgeführt“. Weiter betont Polizeipressesprecherin Franka Haedke: „Polizeilich Maßnahmen gegen die öffentlich wahrnehmbare Drogenszene werden im Bahnhofsumfeld und Viertel getroffen“. Bewertungs-Note beim Thema Sicherheit: 5,1.

Dorle Schwanke: „Bis auf die Verschmutzung und die Kriminalität ist es ganz toll.“
Verkehr
Deutlich fällt in der Umfrage auch die Kritik an der Verkehrspolitik aus: „Das Ausprobieren verschiedener Verkehrseinschränkungen in der Martinistraße ist eine von den Bremer Bürgern nicht gewollte Maßnahme und eine unverantwortliche Geldverschwendung“, wird in einem Freitext angemerkt. Und noch ein Kommentar: „Den Autoverkehr aus der Innenstadt zu verdrängen, halte ich für einen großen Fehler! Eine Fahrspur am Wall zu sperren für Fahrräder, obwohl der bereits vorhandene, breite Fahrradweg nicht stark benutzt wird, empfinde ich als totale Fehlentscheidung. Das Spektakel, was mit der Martinistraße veranstaltet wurde und noch wird, ist an Inkompetenz kaum zu überbieten“. Ein anderes Fazit: „Katastrophale Verkehrspolitik, gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“. Ähnlich schlecht wie bei der Sauberkeit schneidet auch das Thema Verkehr mit einem Wert von 3,8 ab.
Radfahren
Keine Fahrradfahrer in den Wallanlagen, das wird nicht nur einmal gewünscht. In einem weiteren Kommentar heißt es dazu:“Fahrradverbot in den Wallanlagen beziehungsweise Ausbremsen der rasenden Fahrrad-Rowdys durch Polizeiüberwachung“. Auch die Weser-Promenade steht im Fokus der Kritik: „Die Promenade wird immer und selbst bei Kinderfesten oder anderen Festen mit dem Rad befahren, rücksichtslos! Kinder können sich nicht frei bewegen. Hinzu kommen die Rollerfahrer - dasselbe. Seit Herbst 2019 befahren auch Rennräder die Promenade. Keine andere Stadt lässt das zu. Fußverkehr ist, auch alltags, an der Promenade nur stark eingeschränkt möglich. Es müssen Kennzeichen für Fahrräder her, endlich, bitte!“, heißt es in einem weiteren Kommentar.
Kritik, Wünsche und Anregungen
Ein Auszug aus den über 2800 eingegangenen Anmerkungen, die die Umfrage-Teilnehmer frei formulieren konnten:
• Aus der Obernstraße sollte mehr gemacht werden. Mehr Restaurants und Bars und Verweilmöglichkeiten.
• Weniger Fokus auf Shopping, das ist nicht mehr zeitgerecht. Mehr darauf hören, was die Bürgerinnen und Bürger schon seit Jahren sagen: Lebensqualität durch Kultur, Gastronomie, mehr Aufenthaltsmöglichkeiten mitten in der Stadt und permanent Begrünung.
• Viel mehr Wohnungen in der inneren Stadt, auch in Hochhäusern.
• Das ehemalige Bundeswehrhochhaus sollte zu einem Treffpunkt für Kinder, Jugend und alle Leute aus dem Stadtteil werden, vor allem mit viel grün, Bänken, Café & Co.
• In der Bahnhofsvorstadt fehlt es an Infrastruktur, zum Beispiel an Einzelhandelsgeschäften sowie an kulturellen Angeboten.
• Mehr Einkaufsmöglichkeiten im näheren Umfeld. Mehr Lebensmittelgeschäfte.
• Mehr Bäume und Bänke wären prima.
• Vieles ist nicht behindertengerecht, zum Beispiel öffentliche Toilettenanlagen, Einzelhandel, Gastronomie oder Fußgängerwege.
• Mehr, vor allem attraktive Kinderspielplätze.
• Inhabergeführten Einzelhandel fördern.
• Kleinere, bezahlbare Wohnungen.
• Ich wünsche mir breitere Straßen und Parkmöglichkeiten, weniger Fahrradwege.
• Das Parken wird den Anwohnern zusehends schwerer gemacht. Für manche ist das Auto leider unverzichtbar.
• Längere Grünphasen an den Ampeln.
• Die Innenstadt sollte autofrei werden.
• Deutlich stärker gegen Raser und Poser vorgehen.
• Mehr Bänke an Haltestellen der Busse und Bahnen.