Wertschätzung durch Vorgesetzte, verlässliche Arbeitszeiten und ausreichend Zeit für gute Arbeit: Was selbstverständlich klingt, ist in der Pflege eher die Ausnahme und in vielen Fällen der Grund, warum Pflegekräfte aus ihrem Beruf aussteigen. "Der Fachkräftemangel in der Pflege ist häufig ein Mangel bei den Arbeitsbedingungen“, sagt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer. Das war schon 2021 der Befund in einer bundesweiten Studie der Kammer, die dafür über 1000 Pflegekräfte ausführlich interviewt hatte.
Ab diesem Monat soll mit einem auf vier Jahre angelegten Pilotprojekt am St. Joseph-Stift gegengesteuert werden. Mit rund 1,2 Millionen Euro finanziert die Senatorin für Arbeit und Soziales das Vorhaben in der Geburtshilfe des Krankenhauses. Das Geld stammt zu großen Teilen aus dem Europäischen Sozialfonds. „Ich pflege wieder, weil...“ lautet der Titel des Projekts, in dem beispielhaft auch für andere Kliniken Instrumente und Prozesse entwickelt werden sollen, um die Arbeitsbedingungen so attraktiv zu machen, dass Berufsaussteiger zurückkehren und Teilzeitkräfte sich für eine Vollzeittätigkeit entscheiden. "Zuletzt war bei uns in der Geburtshilfe ein Volumen von 4,5 Vollzeitstellen unbesetzt“, beschreibt Güzide Kadah die Situation. Die langjährige Teamleiterin der Pflegekräfte in der Geburtshilfe – heute als Pflegefachleitung tituliert – ist künftig freigestellt, um sich ausschließlich um das Pilotprojekt zu kümmern.
In dessen Rahmen gibt es jetzt drei zusätzliche Pflegekräfte. „Damit wird auf der Station aber nicht die Insel der Glückseligen geschaffen“, kommentiert Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). Sie glichen in der Startphase einfach nur jene Arbeitsstunden aus, die mit dem vorhandenen Personal in das Pilotvorhaben investiert werden. Gewonnen werden die neuen Kräfte über Zeitarbeit - eine teure Methode, die die Klinik bislang vermieden hat. Doch jetzt können dafür Projektmittel genutzt werden. „Es geht nicht anders, sonst verhindert der Fachkräftemangel erneut die Arbeit dagegen“, sagt Kadah. Denn das sei eine Grundproblematik in der Pflege: Pflegekräfte wandern aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen ab, daraus resultieren steigende Belastungen der verbliebenen Kräfte und in der Folge droht weitere Abwanderung.
Projektleiterin Kadah hat sich einiges vorgenommen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Etwa eine umfangreiche Bestandsaufnahme unter anderem des Personalschlüssels. Der entspricht natürlich den gesetzlichen Vorhaben, doch beispielsweise bei den Hebammen gibt es die gar nicht. „Dass zwei Hebammen fünf Gebärende gleichzeitig betreuen müssen, kommt darum in der Praxis durchaus vor“, sagt Kadah. Nicht die rechtlichen Mindeststandards sind daher ihre Richtschnur, sondern gute bis optimale Arbeitsbedingungen. Dafür sollen Dienstvereinbarungen zur Personalbemessung und zum Management von Ausfällen angepasst werden.
Eingefahrene Strukturen in der Pflege aufbrechen
Weitere Baustellen im Rahmen des Projektes sind Schulungen für die Führungskräfte. Es geht darum, wie sie wertschätzend kommunizieren und Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einbinden werden. Solche Faktoren haben sich in der Studie von 2021 als entscheidend herausgestellt. Zusätzlich will Kadah ein sogenanntes Onboarding-Programm etablieren, sodass neue Mitarbeiter umfassend eingearbeitet werden. Auch dafür braucht es Zeit und Arbeitsstunden.
„Einfach vier Wochen lang alles einmal zeigen und dann muss man sehen, dass man klar kommt, funktioniert heute nicht mehr“, verweist Kadah auf ihre eigenen Anfänge vor 15 Jahren. Als weiteres neues Instrument ist die kollegiale Beratung vorgesehen, bei der sich Mitarbeiter beispielsweise in Fallbesprechungen gegenseitig helfen. Auch dafür muss Raum und Zeit geschaffen werden. Beides ist wiederum nur mit entsprechend angepassten Personalschlüsseln zu haben. „Ich bin sicher, wir werden mit unserem Projekt manch eingefahrene Struktur in der Pflege aufbrechen müssen“, sagt Kadah.
Spricht sich herum, dass sich die Rahmenbedingungen ändern, und gelingt es deshalb, im Laufe des Projekts die vakanten 4,5 Stellen zu besetzen sowie die für gute Arbeitsbedingungen notwendigen weiteren Arbeitskräfte zu gewinnen, wäre das der Erfolgsnachweis des Pilotprojekts und nicht zuletzt auch der Beweis für die Richtigkeit der Studie von 2021. Seinerzeit wurde ausgerechnet, dass bis zu 800 Vollzeitarbeitsplätze in der Pflege in Bremen durch bessere Arbeitsbedingungen besetzt werden könnten, entweder durch Berufsrückkehrer oder durch Teilzeitkräfte, die auf Vollzeit umsatteln würden. Nur zwölf Prozent der Aussteiger und 28 Prozent der zumeist weiblichen Beschäftigten in Teilzeit haben vor drei Jahren eine Rückkehr oder Stundenaufstockungen komplett ausgeschlossen. „Das ist jetzt der Praxistest“, fasst es Heyduck von der Arbeitnehmerkammer zusammen.