Der Zug ist schon ziemlich voll, als er am Bahnhof in Twistringen eintrifft. Und bis Bremen folgen noch vier weitere Stationen. Das dürfte eng werden in den Abteilen. Es ist 7.20 Uhr. Der Regionalexpress aus Osnabrück ist pünktlich an dem Tag, an dem erstmals das neue Neun-Euro-Ticket gilt. 40 bis 50 Menschen stehen in Twistringen am Bahnsteig. „Das ist um diese Zeit normal“, sagt Frank Rasche-Bejenke. Er kennt sich aus. Er pendelt seit 15 Jahren wochentags nach Syke. Dort arbeitet er.
So früh am Tag sind es Menschen wie Rasche-Bejenke, die mit der Bahn fahren. Berufspendler. Und sonst noch: Schüler. Freie Sitzplätze sind schon ab der nächsten Station in Bassum Mangelware. Ab Syke stauen sich die Reisenden dann in den Gängen, ab Kirchweyhe erst recht. Einige sitzen auch auf den Treppen am Aufgang zur 1. Klasse. Die meisten, die um diese Zeit unterwegs sind, zeigen bei der Fahrausweiskontrolle ihr Jahresticket vor. Das Neun-Euro-Ticket wird um diese Zeit noch vergleichsweise selten gezückt.
Auf Klassenfahrt in den Heidepark
Annegret Göken und ihre Reisegruppe sind die Ausnahme. Göken ist Lehrerin an der Luise-Chevalier-Schule in Syke und an diesem Tag auf Klassenfahrt zum Heidepark nach Soltau. „Lange geplant“, sagt sie, „noch bevor es das Neun-Euro-Ticket gab.“ Aber nicht zu spät, um das neue Ticket, das im Nahverkehr in der 2. Klasse gilt, jetzt nutzen zu können. Dass sie umsteigen müssen, dass es voll werden könnte, das nehmen sie und ihre Schüler – eine Kollegin ist mit einer weiteren Klasse in einem anderen Abteil untergekommen – in Kauf. „Das Neun-Euro-Ticket ist eine gute Sache“, sagt die Pädagogin.
Das sieht Gerold Harms genauso. Der Unternehmer aus Oldenburg führt einen Betrieb in Bremen. Er pendelt seit Jahren täglich mit dem Auto. 35 Minuten ein Weg bei flexibler Zeiteinteilung. Sehr praktisch und bequem, sagt Harms. Trotzdem hat er sich jetzt ein Neun-Euro-Ticket gekauft. „Mehr Geld kann man ja gar nicht sparen“, sagt er. Zwar fährt sein Auto mit Gas nach wie vor vergleichsweise günstig. Trotzdem kommen im Moment, so hat er es am Mittwoch noch einmal ausgerechnet, bei den gestiegenen Gaspreisen rund 200 Euro im Monat an Kosten für den Wagen zusammen. „Wenn man das mit den neun Euro für das Bahnticket vergleicht…“
Harms hält das Billig-Ticket für „eine charmante Idee, ein bisschen anarchisch“ sogar. Die Politik mache einfach mal, er findet das gut, „und dann wird man sehen, wie groß der Ansturm ist, wie viele Züge ausfallen und wie viele Menschen man am Ende dauerhaft fürs Bahnfahren gewinnen kann.“ Er selbst ist bereit, sich auf dieses dreimonatige Experiment einzulassen.
BSAG verkauft 50.000 Tickets
Sieben Millionen Mal ist das Neun-Euro-Ticket vor dem Start verkauft worden. Der Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen registrierte bis kurz vor dem Start 21.000 digital vorverkaufte Fahrscheine. Rund die Hälfte davon ging an Neukunden, die zuvor eine App installiert hatten, um das Ticket zu lösen. Rund 50.000 Tickets wurden zudem bei der Bremer Straßenbahn AG gekauft.
Wenn man am Mittwoch möglichst viele dieser Neun-Euro-Ticketbesitzer treffen wollte, musste man die Züge außerhalb der Stoßzeiten nehmen. „Die Zwischenzüge“, wie ein Sprecher der Metronom Eisenbahngesellschaft sie nennt, „die sonst eher leer sind, diesmal aber auffällig gut gefüllt waren. Bei den Fahrausweiskontrollen sind sehr häufig Neun-Euro-Tickets vorgezeigt worden.“ Metronom-Züge verkehren unter anderem zwischen Hamburg und Bremen.
Die Deutsche Bahn spricht von einem „ruhigen Betriebsstart“ im Nordwesten. Pendler, die am späten Vormittag mit dem Regionalexpress aus Osnabrück Richtung Bremen unterwegs waren, berichten allerdings etwas anderes. Ein Stammkunde aus Syke, der seit zehn Jahren diese Strecke fährt, schilderte, dass er zum ersten Mal während der Fahrt stehen musste. „Normalerweise ist der Zug so gut wie leer.“
Mit leeren Zügen darf besonders am anstehenden Pfingstwochenende nicht gerechnet werden. Deutsche Bahn, Metronom und Nordwestbahn gehen davon aus, dass die Fahrgastzahlen auf einigen Strecken im Vergleich zu sonst deutlich steigen werden.