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Sturz über E-Scooter Bremer Gericht drängt auf Vergleich mit blindem Unfallopfer

Beim Sturz über E-Scooter mitten auf dem Gehweg verletzte sich der blinde Klaus Bopp schwer. Das Landgericht wies seine Klage auf Schmerzensgeld ab, auch das Oberlandesgericht macht ihm jetzt wenig Hoffnung.
11.10.2023, 20:41 Uhr
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Bremer Gericht drängt auf Vergleich mit blindem Unfallopfer
Von Timo Thalmann

Das Oberlandesgericht (OLG) Bremen hat nachdrücklich einen Vergleich zwischen der Firma Voi und Klaus Bopp angeregt. Der seit seiner Geburt blinde 53-jährige war im Juli 2022 über zwei Elektroroller-Roller des Anbieters gestürzt und hatte sich dabei einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Acht Monate war der Angestellte der Agentur für Arbeit dadurch im wörtlichen Sinne aus dem Verkehr gezogen. Bopp klagte gegen Voi, doch unterlag mit seinen Schmerzensgeldansprüchen vor dem Landgericht Bremen. Dieses hatte ihm unter anderem eine hohe Mitschuld an dem Sturz zugesprochen. Das Urteil vom März dieses Jahres fand auch überregional große Beachtung. Bopp ging in Berufung, am Mittwoch wurde der Fall in der nächsten Instanz verhandelt.

Dabei machte das OLG deutlich, dass es der rechtlichen Bewertung des Bremer Landgerichts grundsätzlich zuneigt, wonach sich aus dem Gesetz keine Halterhaftung von Voi ergibt. Das bedeutet, dass das Unternehmen als Halter der Elektroroller nicht für durch das Fahrzeug verursachte Schäden haften muss.

Konkrete Unfallsituation ist entscheidend

Auch für Gesetzesverstöße, die mit dem Fahrzeug begangen wurden, sei Voi nicht haftbar. Demnach kommen nur Verstöße des Unternehmens gegen die von der Stadt 2019 erteilte Sondergenehmigung für den Betrieb von 500 Elektrorollern in Bremen infrage. Zu den darin enthaltenen Auflagen gehört eine Begrenzung der Zahl der abgestellten Fahrzeuge auf höchstens vier an einer Stelle sowie die Vorgabe, dass mindestens 1,50 Meter Breite bei den Gehwegen verbleiben müssen. Beides ist nach den Feststellungen des vorhergehenden Urteils am Unfallort eingehalten worden. Der Gehweg sei am Unfallort insgesamt sogar 5,50 Meter breit gewesen.

Die E-Scooter standen oder lagen zwar in einem 90 Grad Winkel zu einer Hauswand, dennoch verblieb damit genügend Platz für Fußgänger. Auch die in der Sondergenehmigung verlangte besondere Rücksicht gegenüber Personen mit eingeschränkter Mobilität ist nach Auffassung des OLG nicht so interpretierbar, dass jede denkbare, abstrakte Gefährdung ausgeschlossen werden müsse. Entscheidend sei stets die konkrete Situation vor Ort. Das Gericht hob ausdrücklich hervor, dass seine Abwägungen daher allein für diesen Einzelfall gelten würden, bei dem sie keinen Entschädigungsanspruch für Bopp erkennen. Dessen Mitschuld an dem Sturz hält das OLG allerdings, anders als die Vorinstanz, für unbedeutend. Das Landgericht hatte Bopp noch eine zu hohe Gehgeschwindigkeit bescheinigt.

Zweifel an Rechtmäßigkeit der Sondergenehmigung

Bopp und sein ebenfalls blinder Rechtsanwalt Michael Richter hatten zuvor ausgeführt, dass die Elektroroller eine andere Art von Hindernis darstellten, als etwa Mülltonen oder eine Baustellenabsperrung. Diese könnten von dem sogenannten Langstock, mit dem sich Bopp auf der Straße orientiere, gut identifiziert werden. "Wenn ich dann bei normalem Gehtempo abbremse, ist eine Berührung mit dem Hindernis auch kein Problem", sagte Bopp. Anders sei es bei Elektrorollern, über die man schon beim nächsten Schritt einfach stolpere. Auch würden Blinde nie die Mitte eines Gehweges nutzen, sondern sich entlang von Zäunen und Hauswänden von der befahrenen Straße weg orientieren. Der Verweis auf die Gehwegbreite sei nicht ausreichend.

Rechtsanwalt Richter bezweifelte grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der Sondergenehmigung und erwähnte den Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen (BSV), der eine Feststellungsklage am Verwaltungsgericht Bremen eingereicht habe, mit dem Ziel, die Sondernutzungserlaubnis für Leih-Elektroroller für nichtig zu erklären. Seine Begründung: Die rechtliche Grundlage zum Abstellen der Roller auf Gehwegen fehle und diese Erlaubnis könne kein Sonderparkrecht schaffen.

Gericht schlägt "Anerkennungszahlung als Geste" vor

Das OLG betonte schließlich die erheblichen Folgen des Unfalls für den Betroffenen und machte deutlich, dass sich der fehlende Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld vor allem aus der nicht vorhandenen Halterhaftung Vois ergibt. Auch eine inzwischen enger gefasste, neue Sondergenehmigung für die Bremer E-Scooter-Anbieter, die sie verpflichte, ihre Roller parallel zur Fahrbahn zu parken, sei ein Hinweis darauf, dass zum Zeitpunkt des Unfalls noch Regelungslücken existierten. "Das Urteil eines Oberlandesgerichts, das diese Sachlage darstellt, könnte am Ende zu einer strengeren Regulierung beitragen, als es den wirtschaftlichen Erwägungen des Anbieters entspricht, jetzt eine Zahlung zu vermeiden", gab das Gericht dem Beklagten zu bedenken und regte mehrfach einen Vergleich der Parteien an. Der Vorsitzende nannte es eine "Anerkennungszahlung als Geste".

Vois Rechtsvertreter reagierten allerdings eher verhalten auf diesen Vorschlag des Gerichts. Auch Hinweise auf die öffentliche Wirkung und das mutmaßlich eher negative Image der Elektroroller-Anbieter änderten daran zumindest am Verhandlungstag erst einmal nichts. Sein Urteil wird das Oberlandesgericht nun am 15. November verkünden. Bis dahin hätten die Parteien jederzeit Gelegenheit, sich ohne Urteil auf eine Entschädigungszahlung zu einigen und damit den Rechtsfrieden herzustellen.

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