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Fake News in der Coronakrise „Viele Inhalte machen von vornherein stutzig“

Andreas Hepp und Leif Kramp arbeiten am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung. Im Interview äußern sie sich zu Fake News, die gerade während der Coronakrise stark im Umlauf sind.
22.03.2020, 05:00 Uhr
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„Viele Inhalte machen von vornherein stutzig“
Von Maurice Arndt
Was sind die Hintergründe des Phänomens „Fake News“?

Leif Kramp: Meistens stecken wirtschaftliche, politische oder auch ideologische Interessen dahinter: Durch Desinformation sollen Meinungen, das Wahl- oder Kaufverhalten beeinflusst werden. Manchmal sollen Mediennutzerinnen und -nutzer lediglich in großer Zahl zu einem bloßen Klick auf eine Webseite animiert werden, um damit Werbeeinnahmen zu generieren. Es können aber auch perfide Kampagnen dahinterstehen, die politische Entscheidungsprozesse in eine bestimmte Richtung drehen wollen.

Im Moment sind besonders viele Falschnachrichten im Umlauf. Liegt das am Corona-Virus?

Hepp: Davon ist auszugehen. Uns muss aber auch klar sein, dass wir es in Krisenzeiten häufig mit Gerüchten zu tun haben, die gerade bei Unsicherheit entstehen und die sich online schnell verbreiten. Nicht jeder falsche Post ist also einer „Fake News“ im Sinne einer gezielten Manipulation. Manches ist einfach nur ein Gerücht, eine Verfälschung durch Spekulationen, die immer weitergetragen werden, wie wir es auch aus der gesprochenen Kommunikation kennen. Man kann sich das in etwa wie bei dem Kinderspiel „Stille Post“ vorstellen. Nur, dass sich das nun in die Online-Kommunikation verlagert und dort für viele sehr viel sichtbarer wird.

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Soziale Medien machen ein altes Problem also bloß sichtbarer?

Kramp: Das Phänomen, dass Fakten bewusst aus dem Kontext genommen oder falsch interpretiert werden, um Menschen zu manipulieren, sehen wir vor allem in den sozialen Medien auf Plattformen wie Facebook oder Instagram. Inhalte können sich dort rasant verbreiten. Das liegt daran, dass die Postings dort oft bestehende Ängste aufgreifen und weiter schüren. Zudem werden die Menschen in der Regel emotional angesprochen. Das ist in Krisenlagen wie aktuell bei der Corona-Pandemie besonders gefährlich, weil hier eine Vielzahl von Menschen nach Orientierung sucht.

Wo trifft man außerhalb von sozialen Medien auf Fake News?

Hepp: Dass Situationen verbreiteter Unsicherheit genutzt werden, um das Denken und Handeln der Menschen zu manipulieren, ist an sich nicht neu. Schon immer gab es Versuche, Menschen für oder gegen etwas zu mobilisieren, auch in der vordigitalen Zeit durch gezielte Streuung von Gerüchten und Falschbehauptungen. Während früher allerdings versucht wurde, Journalisten zu manipulieren, werden heute digitale Plattformen genutzt, um direkt auf die Bevölkerung einzuwirken.

Und wie können wir uns vor Fake News schützen?

Kramp: Ein wichtiger und grundlegender Schritt wäre eine systematische Förderung von Nachrichtenkompetenz als Teil der Medienkompetenz. Das beginnt damit, journalistische Inhalte überhaupt erst im Überangebot von Inhalten im sozialen Netz auf verschiedenen Plattformen zu erkennen, sie voneinander unterscheiden zu können, ihre Qualität und Glaubwürdigkeit einzustufen und überlegt auszuwählen. Denn entscheidend ist, wie überzeugend manipulierten Inhalte aufbereitet sind – und wie leicht Mediennutzerinnen und -nutzer ihnen auf den Leim gehen.

Erläutern Sie das bitte genauer. Gibt es Hinweise, um Fake News zu erkennen?

Kramp: Viele solcher Inhalte machen von vornherein stutzig. Schwieriger wird es bei technisch raffinierten Manipulationen wie sogenannten „Deepfakes“, wo mithilfe von Künstlicher Intelligenz Videos verfälscht werden. Grundsätzlich gilt: Man sollte Inhalte stets aufmerksam und kritisch rezipieren und weitere Quellen zurate ziehen. Manchmal wird in einem Social-Media-Post behauptet, es handle sich um eine validierte Information eines verlässlichen Nachrichtenmediums, damit sie schnell viral geht. Wer dann aber durchatmet und erst einmal auf der Website des betreffenden Mediums nachschaut, merkt schnell, dass das nicht stimmen kann. Gesunde Skepsis sollte wachsam machen und anregen, sich breit zu informieren.

Der Mediennutzer ist im Umgang mit Fake News also auf sich allein gestellt?

Kramp: Natürlich nicht. Bei einer repräsentativen Bürgerbefragung im Auftrag der Europäischen Kommission sah 2018 in Deutschland etwa jeder Vierte Journalisten in der Verantwortung, die Verbreitung von „Fake News“ zu verhindern. Das kann darauf hindeuten, dass viele Mediennutzerinnen und -nutzer glauben, dass es sich bei „Fake News“ um Journalismus handele. Da betone ich aber noch einmal: Das ist nicht der Fall. Dennoch können und sollten sich auch Journalisten einbringen, um konstruktiv und transparent über ihre Arbeit aufzuklären – schon aus eigenem Interesse, um sich von interessengeleiteten Inhalten abzugrenzen.

Hepp: Selbstverständlich ist nicht nur die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer wichtig. Auch Journalistinnen und Journalisten tragen durchaus Verantwortung bei sogenannten „Fake News“. Das zeigt unter anderem der Skandal um die Berichterstattung von Claas Relotius beim „Spiegel“: Auch etablierte Nachrichten-Medien sind nicht vor der Gefahr der gezielten Falschberichterstattung gefeit. Zudem haben diese mitunter Schwierigkeiten, News von „Fake News“ zur unterscheiden.

Wir brauchen deswegen einen in Teilen anderen Journalismus, der nicht nur auf dramatische Erzählungen, Personalisierung und vereinfachende Darstellung von Krisen ausgerichtet ist, sondern der hinterfragt, konstruktiv über Ereignisse berichtet und für die digitalen Plattformen mit neuen Formen der Berichterstattung experimentiert. Und wir brauchen einen Journalismus, der geschult ist, Online-Manipulationen zu erkennen. Es handelt sich hierbei um ein grundlegendes Thema der digitalen Kommunikation, das uns über die aktuelle Corona-Pandemie hinaus beschäftigen wird.

Welchen Einfluss sollte die Politik auf die Verbreitung von Fake News, etwa durch Strafverfolgung nehmen? Es gibt ja durchaus Stimmen, wie Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius, die das fordern.

Hepp: Ich denke nicht, dass es ein rechtliches Problem beziehungsweise ein Problem der Strafverfolgung ist. Es ist ein Problem des Erkennens und Einschätzens der Herkunft und Qualität von Informationen, aufseiten des Journalismus wie aufseiten der Mediennutzenden. Ich glaube, es geht um viel mehr als um „Fake News“: Es geht darum, dass wir für die digitalen Medien einen anderen Journalismus brauchen als für die klassischen Massenmedien. Auch professionelle Kommunikation verlagert sich in das Internet.

Es spricht viel dafür, dass wir in einigen Jahren Zeitungen und Fernsehen, so wie wir es heute noch kennen, nicht mehr haben werden. Aber wir werden nach wie vor Journalismus haben, vielleicht einen besseren digitalen Journalismus. Die Aufgabe der Politik ist es aus meiner Sicht eher, Rahmenbedingungen zu schaffen für neuen digitalen Journalismus, beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Medien mehr im Digitalen experimentieren zu lassen.

Gehen Sie davon aus, dass es nach der Corona-Pandemie wieder weniger Fake News geben wird?

Kramp: Es wird leider immer genügend Anlässe für Menschen geben, andere Menschen täuschen und manipulieren zu wollen, um damit Geschäfte zu machen oder politische Ziele zu erreichen, ob nun mithilfe verfälschter oder aus dem Zusammenhang gerissener Aussagen, irrer Gerüchte oder Social Bots, die durch automatisiertes massenhaftes Teilen von Verlautbarungen eine falsche Relevanz vortäuschen. Deshalb ist es wichtig, Menschen dafür zu sensibilisieren, nicht leichtfertig mit solchen Inhalten umzugehen.

Das Gespräch führte Maurice Arndt.

Zur Person

Zur Person

Andreas Hepp (49) ist Professor am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI). Er befasst sich mit der Veränderung der Gesellschaft durch digitale Medien.

Leif Kramp (39) forscht und lehrt am ZeMKI zur Transformation des Journalismus. Aktuell arbeitet er zu Ansätzen konstruktiver und lösungsorientierter Berichterstattung.

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