Noch lässt sich nur erahnen, wie der Platz in ein paar Monaten aussehen könnte. Bauzäune sperren einen Großteil der Fläche ab. Sand, Rohre und andere Baumaterialien stapeln sich am Rand. Ein paar Arbeiter sind gerade dabei, Metalllamellen im Boden zu verankern, die später als eine Art Sichtschutz dienen sollen. Das Pflaster ist schon länger verlegt – der helle Stein deutet darauf hin, dass an dieser Stelle einiges an Geld in die Hand genommen wurde. Was jetzt noch Baustelle ist, soll in einigen Monaten ein Platz werden – und dessen Konzept stößt schon vor Eröffnung auf das Interesse anderer Städte.
Vor mehr als 30 Jahren sollte der Bremer Platz in Münster ein „Park für alle“ sein. Die Fläche auf der Ostseite des Hauptbahnhofs erlangte im Laufe der Jahre jedoch traurige Bekanntheit. Wie in vielen Großstädten siedelte sich direkt am Bahnhof ein Großteil der offenen Drogenszene an und sorgte für Probleme in der Nachbarschaft. Nun soll die 10.000 Quadratmeter große Grünanlage tatsächlich zu einem Platz für alle werden: Menschen aus dem Quartier, Reisende und Drogenkranke sollen sich dort in Zukunft gerne aufhalten.

Bis Ostern 2024 sollen die Bauarbeiten am Bremer Platz in Münster abgeschlossen sein.
Mehr als drei Millionen Euro investiert
Das Bauprojekt ist ein städtebaulicher Spagat und ob er tatsächlich funktionieren kann, ist ungewiss. Investiert wird viel: Die Mittel für die Umgestaltung belaufen sich auf etwa 3,25 Millionen Euro. Mehr als die Hälfte der Kosten wird vom Land und Bund gefördert. Um möglichst viele Interessen einzubinden, hat die Stadt ein Beteiligungsverfahren ins Leben gerufen, das es in Münster bisher in dieser Form noch nicht gab.
Koordiniert wird das Mammutprojekt vom Quartiersmanagement, das sein Büro direkt am Bremer Platz hat. Dort haben Judith Döpker und Stefan Scholz ihre Arbeitsplätze. Die beiden sind beim Sozialamt der Stadt Münster angestellt und begleiten den herausfordernden Prozess von Anfang an. „Die Umgestaltung bietet eine große Chance, dass sich ein von vielen gemiedener Platz wieder zu einem Aufenthaltsort für alle Münsteraner entwickelt“, sagt Scholz. „Das wird allerdings nur funktionieren, wenn möglichst viele Menschen den Platz nutzen.“

Stefan Scholz und Judith Döpker sind für das Quartiersmanagement des Bremer Platzes zuständig. Sie koordinieren ein Großteil der Umgestaltung.
Damit das gelingt, wird seit 2018 an einem Konzept gearbeitet. Es gab etliche Sitzungen, Umfragen, Begehungen und Runde Tische, an der Verwaltung und Anlieger, Polizei, Ordnungsdienste, Nachbarn sowie soziale Einrichtungen beteiligt waren. „Die Erwartungen und Meinungen gehen mitunter stark auseinander und wir müssen viele Kompromisse eingehen“, sagt Scholz. Vertreter der Stadt waren unter anderem in Berlin, um sich den Leopoldplatz in Wedding anzuschauen, der ähnlich gestaltet wurde. Der ganze Prozess wird zudem wissenschaftlich begleitet.
Platz wird in verschiedene Bereiche eingeteilt
Wer die Baustelle genauer betrachtet, erkennt bereits drei einzelne Bereiche, die nach der Eröffnung die unterschiedlichen Zonen darstellen sollen. Der mittlere Teil des Bremer Platzes soll künftig als Wegeverbindung und „Eingangstor“ zum Hansaviertel dienen, das sich dahinter anschließt. Wer verweilen möchte, findet bald schon Sitzgelegenheiten und ein Wasserspiel zur Abkühlung bei Sommerhitze. Im Süden des Platzes ist eine Aufenthalts- und Bewegungsfläche geplant, mit Tischtennisplatte, Boule-Fläche und Sportgeräten. In diesem Abschnitt wollen die Verantwortlichen auch eine Bühne für Veranstaltungen im Quartier aufbauen. Die benachbarte Schule soll die Fläche zudem als Outdoor-Klassenzimmer nutzen.
Für das bahnhofsnahe Milieu wird der Norden des Platzes als Aufenthaltsbereich gestaltet, der auch von Sozialarbeitern aufgesucht werden soll. Der Bereich bekommt langlebige Sonnensegel als Wetterschutz und Stahl-Lamellen als Sichtschutz, die zugleich soziale Kontrolle ermöglichen sollen. „Wir wollen keinen abgeschotteten Raum schaffen“, sagt Judith Döpker. Um die hygienische Situation zu verbessern, werden Toiletten aufgestellt, die auch von Frauen genutzt werden können. Ein Trinkbrunnen und weitere Elemente sollen die Aufenthaltsqualität erhöhen. „Die Nutzerinnen und Nutzer sollen möglichst eine Identität für die Fläche entwickeln. Wir wollen sie beispielsweise motivieren, den Abschnitt selbst zu säubern. Dafür bekommen sie ein kleines Entgelt.“
Aufgrund von Lieferschwierigkeiten und Personalproblemen auf der Baustelle hat sich die Eröffnung um einige Monate verzögert. Der Bereich für die Szene soll nun im Januar fertig sein, die restlichen Abschnitte folgen bis Ostern. Bis zu 80 Personen aus der Drogenszene hielten sich laut Quartiersmanagement im Sommer am Bremer Platz auf, im Winter seien es etwas weniger. Aktuell hat man ihnen eine kleine Interimsfläche zugewiesen, auf der derzeit keine Bauarbeiten stattfinden.
Verlagerungseffekte während der Bauphase
Dass diese nicht ausreicht, wird momentan deutlich. „Man sieht in den vergangenen Monaten, was passiert, wenn ein Platz kein Platz mehr ist“, sagt Scholz. „Die Umbauphase ist für alle Beteiligten belastend, da sich ein Teil der Szene in die nahe gelegenen Straßen und Hauseingänge zurückzieht." Was der Sozialarbeiter damit meint, wird bei einem Rundgang durch das Quartier deutlich. Man sieht Müll, benutztes Drogenbesteck, Fäkalien. Ein Kioskbetreiber ist gerade dabei, den Hauseingang vor seinem Geschäft mit einem Eimer Wasser zu säubern. Einige Häuser weiter hat sich eine Frau zum Konsumieren ihrer Drogen in den Innenhof eines Hauses gesetzt. Wie Bremen beobachtet man auch in Münster mit Sorge die steigende Anzahl von Crack-Konsumenten, die für Angebote deutlich schwerer zugänglich sind.

Hendrik Weihermann ist Fachstellenleiter beim Kommunalen Ordnungsdienst in Münster.
Doch verschwinden die Probleme tatsächlich, wenn der Bremer Platz fertiggestellt ist? Drogenszene und Familien friedlich nebeneinander – kann das funktionieren? Wie wollen die Münsteraner künftig verhindern, dass ein Teil der Szene nicht auch die anderen Teile des Platzes nutzt? „Das wird man nicht komplett verhindern können“, sagt Hendrik Weihermann, Fachstellenleiter beim Kommunalen Ordnungsdienst. Die Steuerung der unterschiedlichen Gruppen könne nur durch Anreize funktionieren. „Wir müssen versuchen, die Flächen so zu gestalten, dass es für das jeweilige Klientel möglichst attraktiv ist.“ Quartiersmanager Scholz ergänzt: „Letztlich wird man gewisse Begleiterscheinungen des Bahnhofsviertels nie ganz wegbekommen. Wir haben nur eine Chance, wenn sich die Öffentlichkeit wieder den Platz zurückholt und die Szene daneben besteht.“
Um dieses Ziel zu erreichen, soll der Bremer Platz von den Beteiligten auch nach der Eröffnung begleitet werden. „Nach der Eröffnung geht es um die Nutzung und Belebung des Ortes. Ohne eine engmaschige Betreuung wird es nicht funktionieren“, sagt Döpker.