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Wohnungslosenhilfe in Bremen "Mehr Notunterkünfte sind nicht unser Ziel"

Axel Brase-Wentzell über den Kampf gegen die Wohnungslosigkeit in Bremen. Das Thema beschäftigt die Innere Mission von der Gründung bis in die Gegenwart.
03.02.2024, 10:10 Uhr
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Von Timo Thalmann

Von den 175 Jahren Innere Mission in Bremen sind Sie seit fast 30 Jahren mit der Wohnungslosenhilfe befasst, die zugleich von Anfang an ein Betätigungsfeld des Vereins war. Welche Brüche und welche Kontinuitäten sehen Sie da?

Axel Brase-Wentzell: Dass sich das Thema durch 175 Jahre der Vereinsgeschichte zieht, ist ja für sich schon ein interessanter Befund. Offenbar gab es seit 1849 nie eine Zeit ohne Probleme und Engpässe auf dem Wohnungsmarkt. Denn zumindest das kann ich aus meinen fast 30 Jahren in der Wohnungslosenhilfe sagen: Das Problem ist nicht der betroffene Mensch, sondern der jeweils fehlende, bezahlbare Wohnraum.

Zu den Kontinuitäten möchte ich auch die Konflikte um unsere Sozialarbeit zählen. Es gab zum Beispiel als Notunterkunft für Wohnungslose noch bis 1973 den sogenannten Bahnhofsbunker, direkt unterhalb des Hauptbahnhofs. Über Jahrzehnte wurden die Zustände dort beklagt, aber die Versuche an anderer Stelle bessere Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, stießen bei allen Ortsbeiräten und den jeweiligen Anwohnern stets auf Argwohn. Es brauchte fast 30 Jahre, bis mit dem Jakobihaus in der Friedrich-Rauers-Straße eine Alternative gefunden war. Und dort hat sich die Geschichte dann in gewisser Weise wiederholt.

Und was sind die Brüche und Veränderungen?

Das ist unser Selbstverständnis als Sozialarbeiter, indem wir heute viel mehr die Freiheit des Einzelnen anerkennen. Wenn Menschen im begleiteten Wohnen meinen Maßstab von Ordnung nicht zu Ihrem machen, habe ich das nicht zu verurteilen. Es geht nicht mehr um die richtige, gesittete, im besten Fall christliche Lebensführung, sondern um die Frage: „Was brauchst Du?“

Gleichzeitig möchte ich auch mal sagen, dass die meisten Wohnungslosen tatsächlich eher konservative, recht bürgerliche Vorstellungen vom Leben haben. Sie wollen eigentlich das Schlafzimmer mit Vorhängen, die Schrankwand im Wohnzimmer oder Einrichtungen, wie sie in Prospekten angeboten werden. Und sie leben auch häufig so, wenn sie denn Wohnungen finden. Es ist nicht unser Ziel, viele Notunterkünfte zu betreiben und dort Plätze zu schaffen. Das ist volkswirtschaftlich die teuerste Variante, Wohnungslosigkeit zu begegnen. Was die Betroffenen wollen, sind Wohnungen, denn das hilft am besten dagegen.

Gibt es in den 30 Jahren, die sie dabei sind, auch Umbrüche bei den Betroffenen?

Es ist schon so, dass der Wohnungslose als klassischer Berber oder wie man früher sagte „Tippelbruder“ ausstirbt. Das waren häufig, wenn man so will, gescheiterte bürgerliche Existenzen mit entsprechendem Elternhaus; nicht selten mit Schul- oder Berufsausbildung, die es irgendwann mal aus der Kurve getragen hat, weil zum Beispiel die Partnerin gestorben ist oder aufgrund von Krankheit und Arbeitslosigkeit. Für die Soziarbeit gab es in solchen Fällen Ressourcen eines Lebens vor der Wohnungslosigkeit, an die man anknüpfen konnte. Das ist heute vielfach nicht mehr so.

Wir erleben Biografien mit kaputten Elternhäusern, mit Gewalterfahrungen, mit abgebrochenen Schul- und Berufsausbildungen. Da wurde niemand aus der Kurve getragen, die waren vielfach noch nie in der Spur. Das ist für die Sozialarbeit ungleich herausfordernder, insbesondere wenn dann noch Kriminalität und illegale Suchtmittel hinzukommen. Von der gesundheitlichen Verelendung – häufig in Verbindung mit psychischen Erkrankungen – gar nicht zu reden.

Das Gespräch führte Timo Thalmann.

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Zur Person

Axel Brase-Wentzell (51) ist stellvertretender Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. In seinen fast 30 Jahren bei der Organisation war er in verschiedenen Funktionen ausschließlich mit diesem Thema befasst.

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