Zuletzt hat er in verschiedenen Bremer Parkhäusern geschlafen. Dann kam der Schnee. Seitdem schläft Julian Weber* in einer Notunterkunft. Vorher war er rund um die Uhr auf der Straße, auch nachts. Julian Weber ist obdachlos. In verschiedenen deutschen Städten hat er schon gelebt. Im Juni kam er mit seiner Lebenspartnerin nach Bremen. Zuvor lebten die beiden in einem kleinen Ort in Niedersachsen in einer Unterkunft für Wohnungslose.
Auch in Bremen waren sie zunächst ohne feste Bleibe: „Im Sommer haben meine Partnerin und ich in einem Wurfzelt unter einer Brücke in den Wallanlagen geschlafen, in so einer Strandmuschel“, erzählt der 44-Jährige. Vor die offene Zeltseite hängten sie eine Decke: „Für ein bisschen Privatsphäre.“
Dann gelang es Weber, für sich und seine Partnerin zwei Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu organisieren. Einfach war es nicht, eine Wohnung zu finden, erzählt er. Doch die zwei Zimmer habe er selbst gefunden. Seines war zehn Quadratmeter groß. Doch dieses WG-Zimmer verlor Weber im Oktober. „Meine Partnerin hat große psychische Probleme, sie hat Suizidgedanken und hat in der Wohnung Feuer gelegt“, erzählt er. „Nach dem Brand hat der Vermieter uns beiden gekündigt.“
"Schwierige Zeiten"
Seitdem ist seine Partnerin in einer psychiatrischen Einrichtung. Und Julian Weber lebt wieder auf der Straße. Er spricht in ruhigem Tonfall über seine Lage. „Schwierige Zeiten“, sagt er. Nachts wechselte er zuletzt häufig die Schlafplätze. Oft suchte er sich Nischen in Parkhäusern. „Da wird man nachts meistens stillschweigend geduldet“, sagt Weber. „Und morgens um fünf oder sechs kommen dann die privaten Sicherheitsdienste und schmeißen dich raus.“ Einen seiner Schlafplätze zeigt er, in einem Parkhaus in der Innenstadt. Eine Nische im Treppenhaus, direkt vor den Aufzügen. „Hier gibt es immerhin keinen Bodenfrost“, sagt er und zeigt auf den Steinfußboden. Dort hat er öfter geschlafen, auf einer Isomatte, dazu einen oder zwei Schlafsäcke. „Und eine gute Wolldecke, die ist Gold wert“, sagt Weber.
Tagsüber hält er sich meistens beim Wärmebus auf. „Man guckt halt, dass man ein halbwegs windstilles Fleckchen hat“, sagt Weber. Der Wärmebus ist ein alter Linienbus, der sieben Tage pro Woche auf der Bürgerweide steht, gegenüber des Nelson-Mandela-Parks. Eine Anlaufstelle für wohnungslose und suchtkranke Menschen, organisiert von der Inneren Mission. Obdachlose können sich in den Bus setzen und aufwärmen. Sie bekommen Tee, Kaffee und Brötchen, können sich austauschen und von Streetworkern beraten lassen.
Seit gut einer Woche schläft Julian Weber in einer Notunterkunft für Männer im Bahnhofsviertel. Bis zu drei Monate können Wohnungslose dort unterkommen. Es gibt Mehrbettzimmer und Hilfe bei den nächsten Schritten. Wer in einer Notunterkunft schläft, bekommt auch Aufgaben, schildert Eileen Bumann, Leiterin der Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission: Anträge stellen, Amtsgänge machen, um die eigene Lage möglichst zu verbessern. Alle drei Tage müsse er derzeit zur Zentralen Fachstelle Wohnen (ZFW), sagt Weber. Die Mitarbeiter der ZFW versuchten derzeit, ihm dabei zu helfen, sein WG-Zimmer zurückzubekommen – vielleicht sei die Kündigung die Vermieters in seinem Fall nicht rechtmäßig gewesen.
Für seine persönlichen Sachen nutzt der 44-Jährige einen großen Rucksack. Doch wo er seine Habe aufbewahren kann, stellt ihn vor Probleme. „Ich bin in einem halben Jahr auf der Straße zehnmal beklaut worden“, sagt er. „Man wacht auf, und die Sachen sind weg. Dazu kriegt man vielleicht noch ‚nen Tritt in die Rippen, und man sieht jemanden rennen.“
"Wie in einem schlechten Amerikafilm"
Auch in der Notunterkunft könne er seine Sachen meist nicht sicher aufbewahren: „Da teilt man sich ein Zimmer, und die Zimmer sind nicht abschließbar“, sagt er. Es gebe dort ein paar Spinde, die man mit einem Vorhängeschloss sichern könne – die Zahl der Schließfächer reiche aber nicht für alle. „Wenn ich den ganzen Tag mit meinen durchnässten Sachen auf dem Rücken unterwegs bin, werde ich sofort als Obdachloser abgestempelt“, sagt er. „Das ist halt das Ding mit der Gesellschaft.“ Und er erinnert sich: „Als meine Partnerin und ich zu zweit unterwegs waren, haben wir einen Einkaufswagen mit uns rumgeschoben, da war unsere Habe drin, das war wie in einem schlechten Amerikafilm.“
Zum ersten Mal auf der Straße gelebt hat er, als er 15 war, erzählt Weber. Eine Zeit in Köln, eine Zeit in Berlin. Davor, als Jugendlicher, wohnte er in einem Heim. „Das waren krasse Zustände in dem Heim, irgendwann bin ich abgehauen“, sagt Weber. Aber er war nicht immer obdachlos. Und er machte später auch eine Ausbildung. „Ich bin gelernter Altenpfleger und Demenzbetreuer“, sagt er. „Aber ich komme gerade nicht einmal mit mir selbst klar, da kann ich keine Verantwortung für andere übernehmen. Ich kann ja im Moment nicht einmal eine Wohnung halten.“ Zwei erwachsene Kinder hat er, erzählt der 44-Jährige. Seine Kinder wissen nicht, dass er obdachlos ist. „Das ist auch Scham.“
*Name von der Redaktion geändert