Und nun zu etwas ganz anderem, auch wenn es derzeit vielen Menschen ganz weit weg erscheinen mag. Aber – selbst wenn es manche nicht glauben mögen – wird und muss es in der Weltgeschichte für alle Zeit mehr Raum einnehmen als die Corona-Krise, so beängstigend sie auch ist: Vor 75 Jahren endete für Bremen der Zweite Weltkrieg.
Das Bild, das die Stadt bot, war – in jeder Weise – verheerend. 173 Mal war Bremen das Ziel von Luftangriffen der Alliierten gewesen, mehr als 5500 Tonnen Bomben wurden abgeworfen, Tausende Menschen starben, fast 60 Prozent der Gebäude wurden zerstört. Die Stadt lag über weite Teile in Schutt und Asche. Hunderte Juden, Oppositionelle, Homosexuelle, Sinti und Roma waren deportiert und ermordet, unzählige Menschen denunziert, eingesperrt, gefoltert worden. Väter, Söhne, Brüder, Ehemänner waren gefallen, verletzt, verstümmelt, in Gefangenschaft. Die Bevölkerung war zermürbt, abgestumpft, verunsichert und verängstigt, die Not und das Elend waren groß.
Ein Kapitel im Geschichtsbuch
Unglaublich, oder? Eben das ist das Problem, das sich auch in der aktuellen Debatte zeigt. Die Schrecken und Gräuel des Zweiten Weltkriegs werden mehr und mehr zu einem Kapitel im Geschichtsbuch, zu einem Ereignis in grauer Vorzeit, etwas später als der Dreißigjährige Krieg. Das gilt für allem für die Generationen, deren Eltern oder Großeltern nicht mehr selbst erlebt und erzählt haben, was Not wirklich bedeutet: Hunger, Kälte, Obdachlosigkeit, Krankheit ohne medizinische Versorgung.
Es ist so seltsam wie nachvollziehbar, dass Menschen dazu neigen, den Grad von Katastrophen abzumessen und untereinander ins Verhältnis zu setzen. So versucht man Unbegreifliches greifbar zu machen. Für die Corona-Krise werden Superlative bemüht. Sie sei, sagte die Bundeskanzlerin, die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Mitte März sagte der französische Premier Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache mehrfach „Wir sind im Krieg“. US-Präsident Donald Trump bezeichnete sich als „Kriegspräsident“.
Man muss sich nur die vier Fotos in dieser Ausgabe (Seite 1 und Seite 9) ansehen, um zu erkennen, wie beinahe obszön dieser Vergleich ist. Sich eben das vor Augen zu führen, macht die Corona-Krise nicht weniger furchtbar, die Umstände nicht weniger dramatisch, und das schmälert nicht die Trauer um die vielen Tausend Todesopfer.
Es sind schwere Zeiten, die Folgen sind nicht absehbar, sie werden gravierend sein. Aber es herrscht kein Krieg. Niemand trachtet irgendwem nach dem Leben. Im Gegenteil: Ob angemessen oder nicht, übereifrig oder mutlos – Politiker mahnen und verbieten, medizinisches und pflegerisches Fachpersonal reibt sich auf, Wissenschaftler forschen mit Hochdruck aus dem einen selben Grund: um Leben zu retten. Das sollte selbst den Ängstlichsten und zutiefst Verunsicherten ein großer Trost sein.