Die Forderung von drei Bürgermeistern aus Baden-Württemberg nach einem verpflichtenden Grunddienst für junge Menschen stößt bei den Verwaltungschefs aus Bremen und der Region in Teilen auf Ablehnung. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) hält nach eigenen Angaben nichts von einem „Bundeszwangsdienst“. Ähnlich sehen das unter anderem Bettina Preißner, Erste Stadträtin in Osterholz-Scharmbeck, und der Vegesacker Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt. Der Bremer Integrationsforscher Stefan Luft kann dagegen dem Vorschlag aus Baden-Württemberg durchaus etwas abgewinnen.
Nach den Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt am Main hatten Boris Palmer (Grüne), Matthias Klopfer (SPD) und Richard Arnold (CDU) – die Oberbürgermeister von Tübingen, Schorndorf und Schwäbisch Gmünd – vor gut einer Woche einen wütenden Brief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl geschrieben. Mehrere Medien hatten über den Brief berichtet.
Demnach sehen sich die drei Oberbürgermeister als „Experten der Stadtgesellschaften vor Ort“. Sie kritisieren das Verhalten von Heranwachsenden im Alltag, aber auch gegenüber Polizei und Rettungsdiensten. Außerdem fordern die Politiker Polizei und Justiz dazu auf, „deutlich und mit Nachdruck“ gegen Gewalt vorzugehen. Auch auf das Thema „junge Geflüchtete“ gehen die Oberbürgermeister in ihrem Schreiben ein: Sie verweisen darauf, dass ein Teil der in Stuttgart festgenommenen Randalierer Flüchtlingsbezug hat. Und sie setzen sich dafür ein, dass integrierbare Asylsuchende auch ohne Aussicht auf Anerkennung eine Arbeitserlaubnis und Bleibeperspektive bekommen müssen. Das Papier schließt mit der Forderung nach einer „Wiedereinführung eines verpflichtenden Dienstes an der Gesellschaft“ für alle jungen Menschen in Deutschland.
„Der Bundesfreiwilligendienst und das Freiwillige Soziale Jahr sind eine gute Sache“, sagt Bürgermeister Bovenschulte. „Wir sollten dafür werben, dass viele junge Menschen sich dafür entscheiden und entsprechende Angebote zur Verfügung stellen.“ Einen verpflichtenden Dienst lehnt er ab. Es sei Aufgabe der Gesellschaft, der Schule und der Familie, den jungen Menschen ein vernünftiges Sozialverhalten zu vermitteln. „Und wer sich nicht daran hält, muss bestraft werden.“
Auch bei den Ortsamtsleitern Florian Boehlke aus Burglesum, Heiko Dornstedt aus Vegesack und Oliver Fröhlich aus Blumenthal stößt der Vorstoß aus Baden-Württemberg auf Reaktionen von Skepsis bis zu Ablehnung. „Ein soziales Jahr für alle wäre unangemessen, weil es auch jene treffen würde, die kein Konfliktpotenzial zeigen“, sagt Dornstedt. Fröhlich befürchtet, dass sich junge Menschen, die Respekt gegenüber Mitmenschen von zu Hause mitbrächten, benachteiligt fühlen könnten. Und für Boehlke gibt es „nicht nur eine richtige Lösung“: Soziales Miteinander müsse auf verschiedenen Ebenen geschult werden – von der Schule über die Jugendarbeit bis zur Integrationsarbeit in Sportvereinen.
Sie sei keine Freundin von Zwängen, sagt auch Osterholz-Scharmbecks Erste Stadträtin Bettina Preißner, denn Zwang stehe aus ihrer Sicht der Freude am Engagement entgegen. Grundsätzlich findet sie einen einjährigen Grunddienst für junge Menschen aber eine gute Idee. „Er wäre eine Ergänzung und eine gute Gelegenheit für junge Menschen, sich zu orientieren“, sagt Preißner.
Der Integrationsforscher Stefan Luft kann die Forderung nach einem verpflichtenden Jahr für junge Menschen nachvollziehen. „Für den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft und für das Bewusstsein, dass es Menschen in anderen Lebenswirklichkeiten gibt, wäre das hilfreich – auch unabhängig von der Herkunft“, sagt er.
Er verweist in diesem Zusammenhang auf die gespaltenen Stadtgesellschaften: Zu der sozialen Trennung in Arm und Reich und der demografischen Trennung in Alt und Jung sei seit den 1980er-Jahren die ethnische Komponente dazugekommen. Die Flüchtlingswelle 2015/16 habe diese Polarisierung verstärkt. Ein verpflichtendes Jahr etwa in einer sozialen Einrichtung oder bei der Bundeswehr kann aus Lufts Sicht helfen, Barrieren abzubauen.
In Bremen gibt es bislang keine vergleichbaren Vorfälle
Vorfälle, die vergleichbar sind mit denen auf dem Frankfurter Opernplatz oder in der Stuttgarter Innenstadt, gibt es in Bremen und der Region nach Aussagen aller örtlichen Politiker bislang nicht. Christian Porsch, Bürgermeister von Bassum, beobachtet aber kleinere Beschädigungen und körperliche Gewalt unter den Einwohnern seiner Stadt. Etwa rund um den Stiftspark oder beim Bahnhof gebe es immer wieder Vandalismus, „der mich unheimlich ärgert“.
Aus Sicht von Porsch sind Sozialverhalten, respektvoller Umgang und Rücksichtnahme Tugenden und Verhaltensweisen, die in vielen Elternhäusern immer weniger vorgelebt würden. Er wünsche sich unter anderem vom Land Niedersachsen, „dass es endlich seiner Aufgabe nachkommt und flächendeckende Schulsozialarbeit von der Grundschule an organisiert und finanziert“.
Neben den Ausschreitungen in Frankfurt und Stuttgart hatte es auch in Städten wie Hamburg oder Bremen Zwischenfälle gegeben: Nach dem Relegationsrückspiel von Werder gegen Heidenheim war die Situation im Viertel eskaliert, Polizisten wurden mit Flaschen und Knallkörpern beworfen. In Hamburg sieht sich der Senat angesichts dicht gedrängt feiernder Menschenmassen offenbar dazu gezwungen, den Außer-Haus-Verkauf von Alkohol einzuschränken. Auch in Bremen gibt es solche Zonen.