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Neustädter findet 100 Jahre alten Tauchbootbrief seines Großvaters / Recherche bringt spannende Fakten ans Licht Post unter Wasser

Neustadt. Es ist ein seltenes Puzzleteil der Bremer Geschichte, das Bodo Harms an diesem grauen Nachmittag in den Händen hält. Wie einen geheimnisvollen Schatz präsentiert der Neustädter einen kleinen Briefumschlag, der mit einer ungewöhnlichen Aufschrift aufwarten kann: „Tauchbootbrief“ steht darauf, eine Adresse im amerikanischen „San Franzisko“ und ein Datum, das 100 Jahre zurückliegt.
04.04.2016, 00:00 Uhr
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Von Karin Mörtel

Es ist ein seltenes Puzzleteil der Bremer Geschichte, das Bodo Harms an diesem grauen Nachmittag in den Händen hält. Wie einen geheimnisvollen Schatz präsentiert der Neustädter einen kleinen Briefumschlag, der mit einer ungewöhnlichen Aufschrift aufwarten kann: „Tauchbootbrief“ steht darauf, eine Adresse im amerikanischen „San Franzisko“ und ein Datum, das 100 Jahre zurückliegt.

„Der Absender war mein Großvater Heinrich Harms, den ich nie kennengelernt habe“, erzählt der 74-jährige Rentner. Er weiß daher nicht viel über den Mann, der auf einem Foto seinen Sohn im Matrosenanzug auf dem Arm trägt und ernst dreinblickt. Er starb 1939, vier Jahre vor der Geburt seines Enkels. Im Nachlass seiner Mutter hat Bodo Harms nun erst kürzlich den Brief gefunden – und ist neugierig geworden, was wohl dahintersteckt. „Ich wühle gern in der Familiengeschichte“, gibt er schmunzelnd zu.

Warum der Brief offenbar nie sein Ziel in Nordamerika per U-Boot erreicht hat? Das findet Harms besonders spannend. Auf der Suche nach Antworten hat er Geschichtsbücher gewälzt und festgestellt, dass Bremen eine Schlüsselrolle einnimmt, wenn es um diesen ungewöhnlichen Postweg unter Wasser ging: „Im Ersten Weltkrieg wollte Deutschland weiterhin Handelsbeziehungen mit Amerika pflegen, die Briefbeförderung aufrecht erhalten und wichtige Rohstoffe transportieren“, hat er in Erfahrung gebracht.

Denn ab März 1915 war durch die britische Blockade der Schiffsverkehr zwischen Deutschland und den USA komplett zum Erliegen gekommen. Daher haben risikofreudige Bremer Reeder des Norddeutschen Lloyd im November 1915 gemeinsam mit der Deutschen Bank die „Deutsche Ozeanreederei“ gegründet. Ihr Ziel: unbewaffnete Handels-U-Boote bauen, die unerkannt von den Engländern den Atlantik überqueren sollten. In Kiel ließ die neue Reederei tauchfähige Handelsschiffe bauen. Die beiden ersten wurden „Bremen“ und „Deutschland“ getauft – und es sollten gleichzeitig bis heute die einzigen Handelstauchboote bleiben.

Unter strikter Geheimhaltung lief schließlich die „U-Deutschland“ am 22. Juni 1916 von der Wesermündung aus. Bei dieser ersten Fahrt war noch keine Post mit an Bord. „Niemand hatte damit gerechnet, dass das Boot tatsächlich in Amerika ankommen würde – das war eine riesige Sensation“, beschreibt Bodo Harms die Unternehmung. Nach etwa 20 Tagen erreichte die Besatzung des weltweit ersten Handelstauchbootes die Westküste Nordamerikas und entlockte mit ihrem Auftauchen den überraschten amerikanischen Lotsen angeblich lautstarke Flüche.

Auch die Rückfahrt nach Bremen gelang unversehrt, obwohl die Briten nichts unversucht ließen, das U-Boot abzufangen. „Die Rückkehr war ein einziger Triumphzug, und die Besatzung wurde von der Bevölkerung und dem Bremer Senat wie Helden gefeiert“, hat Harms in Erfahrung gebracht. Der Maler Willy Stöver hat das damalige Großereignis in einem Gemälde festgehalten, das heute im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven hängt. „Ich habe mir extra antiquarisch das Buch von Kapitän Paul König besorgt, in dem er sehr spannend von dem Abenteuer berichtet“, sagt Harms und zeigt ein Büchlein mit dem Aufdruck „Die Fahrt der Deutschland“.

Letzte Tauchbootfahrt abgeblasen

Wer sich im jetzigen Bremer Stadtbild auf Spurensuche begibt, wird Kapitän König auch in der Böttcherstraße finden. „Dort tritt er auch heute noch rechts vom gotischen Roseliushausgiebel als einer der Ozeanbezwinger zum Glockenschlag seine Rundwanderung an“, weiß der geschichtsinteressierte Neustädter Rentner.

Das letzte Kapitel der Geschichte um den ungewöhnlichen Brief zeigt, wie dünn der Faden ist, der die Lebensgeschichte seines Opas mit dem berühmten Kapitän verbindet: Im Laufe der Monate eskaliert der U-Boot-Krieg immer weiter, und die Gefahren für die Überfahrt steigen. Trotzdem vereinbart die Reichspost mit der Deutschen Ozeanreederei die Mitnahme einfacher Briefe für die geplante dritte Reise nach Nordamerika.

Heinrich Harms hört davon und will ebenfalls ein Schriftstück versenden. Der Seepoststempel weist den 15. Januar 1917 als Datum aus, an dem der Brief seinen Weg über den Atlantik antreten sollte. Doch wegen des erwarteten Kriegseintritts der USA wird die Fahrt abgeblasen.

„Der Brief wurde dann am 8. Februar über das Hauptpostamt an der Domsheide an meinen Großvater zurückgeschickt“, sagt Harms und zeigt die entsprechenden Vermerke auf dem ungewöhnlichen Umschlag. „Tauchbootgebühr erstattet“ ist da zu sehen. Ob Heinrich Harms sich über die 20 Reichspfennig gefreut haben mag, die er zurückbekommen hat? Wohl eher nicht. Nur zwei Monate später erklären die Amerikaner tatsächlich den Deutschen den Krieg – das Ende des Deutschen Kaiserreiches ist eingeläutet.

Neben dieser postgeschichtlichen Episode konnte Bodo Harms auch weitere Bruchstücke aus dem Leben seines Großvaters anhand von kleinen Zeitungsschnipseln und Postkarten rekonstruieren: „Ich habe herausgefunden, dass er ,Restaurateur‘ gewesen ist und hinter der historischen Baumwollbörse ein Lokal betrieben hat“, sagt Harms. Außerdem geben historische Postkarten darüber Auskunft, dass er ein – für die damalige Zeit ungewöhnlich – reiselustiger Weltenbummler gewesen sein muss. „Des Deutschen Reiches Herrlichkeit ist Arbeit, Fleiß und Einigkeit“, schrieb Heinrich Harms beispielsweise im März 1929 während einer Orientfahrt an seinen Sohn.

Ob er auch einst in Nordamerika gewesen ist und daher an „Mr. Peters“ seine Unterwasserpost nach „Amerika“ abschicken wollte, weiß Bodo Harms 100 Jahre später nicht. Denn was in dem Tauchbrief-Umschlag steckte, ist wohl für immer verschollen, bedauert er: „Neugierig wäre ich schon gewesen, was drin stand, aber das wird wohl ein Geheimnis bleiben.“

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