Klare Worte aus Klebeband: „500 Schiffe, 735 Züge, 1942 – 1944 mehr als nur Dienstleister – gegen das Vergessen“ haben Unbekannte an die Scheiben des Abrisshauses von Kühne + Nagel plakatiert.
Ihre Botschaft war bis zum Freitag über alle neun Etagen des Stammsitzes an der Martinistraße zu lesen. Ein Hinweis auf die Vergangenheit des Logistikunternehmens.
Die Aktion spielt auf die Rolle von Kühne + Nagel während der NS-Zeit an. Nach Angaben von Historikern kam dem Unternehmen damals eine Schlüsselrolle beim Abtransport der Möbel von Juden aus den besetzten Westgebieten zu. Eine Gruppe von Bremern will dauerhaft daran erinnern. Sie planen seit Längerem, in der Nähe des neuen Stammsitzes ein Mahnmal zu errichten. Nach einem Ideenwettbewerb steht bereits der Gewinner-Entwurf fest, die Bremische Bürgerschaft hat dem Bau eines solchen Mahnmals zugestimmt. Wann und wo der Entwurf umgesetzt wird, ist aber weiterhin unklar. Im Februar und März werden sich der Beirat Mitte und der Landesbeirat "Kunst im öffentlichen Raum" mit einem möglichen Standort befassen. Die Kulturdeputation der Bremischen Bürgerschaft hat das Thema bereits für kommenden Dienstag auf die Tagesordnung gesetzt.

"Es ist wichtig, an die historischen Fakten zu erinnern", sagt Henning Bleyl, der für die Tageszeitung taz das Mahnmal initiiert hat. Bis heute blende Kühne + Nagel diesen Teil der Unternehmensgeschichte aus. "Diese Geschichtsretusche darf nicht hingenommen werden", meint Bleyl. Für das Mahnmal sei die Schlachte der richtige Ort. "Dort, im Vorgängerbau des gerade abgerissenen Gebäudes, wurde der Profit aus dem gigantischen Westeuropa-Geschäft verbucht".
Logistiker der Nazis
Auf Nachfrage des WESER-KURIER wollte sich Kühne + Nagel am Freitag weder zu der Protestaktion noch zur Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte äußern. Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs oder Sachbeschädigung hat die Logistikfirma bislang nicht gestellt. „Von den Eigentümern ist noch niemand auf uns zugekommen“, hieß es aus der Pressestelle der Bremer Polizei.
Der Historiker Johannes Beermann ist bei den Recherchen zur Enteignung von Juden in Bremen auf die Verstrickungen von Kühne + Nagel mit dem Nazi-Regime gestoßen. In seinem Beitrag zum Buch "Raub von Amts wegen" befasst er sich ausführlich mit der Rolle Bremer Logistikunternehmen im Dritten Reich. Kühne + Nagel nahm demnach eine Schlüsselrolle bei der sogenannten M-Aktion der Nazis ein. Das M steht für Möbel. In den 1940er-Jahren transportierte Kühne + Nagel die Einrichtung aus den Wohnungen geflüchteter oder deportierter Juden aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Luxemburg nach Deutschland. Zunächst wurden damit Amtsstuben ausgestattet; später wurden die Gegenstände günstig an Deutsche verkauft.
Nach Beermanns Recherchen traf 1942 in Bremen der erste von Kühne + Nagel gecharterte Frachter ein. Geladen hatte er Betten, Stühle, Schränke und andere Möbel. Bis 1944 brachten 500 Schiffe und mehrere Hundert Züge die geraubten Güter nach Deutschland – sie stammten aus rund 69 500 Wohnungen. In Bremen wurde ein Teil davon im Gasthaus Hemelinger Tivoli, an der Schießhalle der Bremer Schützengilde und in der Ankleidehalle des heutigen Weserstadions eingelagert und später verkauft.
Die Bremer Architektin Angie Oettingshausen hat mit ihrem Entwurf „Leerstellen und Gesetzeslücken“ den Ideenwettbewerb für das Mahnmal gewonnen. Ein drei Meter hoher Raum, einzusehen von oben und von der Seite. Durch Glasplatten ist eine ehemals bewohnte Wohnung erkennbar. Schattierungen an den Wänden zeigen, wo einst die Möbel standen – ein Verweis auf den Raub an jüdischen Familien. Das Fehlen der Möbel solle auch für die Weigerung von Kühne + Nagel und anderen Unternehmen stehen, "sich der Verantwortung für die eigene Geschichte zu stellen".
Christian Weber, Präsident der Bürgerschaft, befürwortet ein Mahnmal in der Nähe des neuen Firmensitzes. Allerdings sei es der Sache nicht dienlich, allein ein Unternehmen in den Fokus zu rücken, teilte Webers Sprecher Horst Monsees mit. Auch andere Bremer Firmen seien in die Verbrechen der Nazis verwickelt gewesen. Diese Auffassung teilt auch Mahnmal-Initiator Bleyl. Gleichwohl habe Kühne + Nagel den mit Abstand größten Anteil an diesen Geschäften gehabt. Von der Protestaktion sind nur noch Trümmer übrig: Am Freitag rissen Bauarbeiter die Fenster aus dem Gebäude. Und mit ihnen die Botschaft aus Klebeband.