Was bringt einen jungen Marokkaner dazu, nach Deutschland zu kommen und in Bremen Menschen auszurauben? Antworten auf diese Frage gab am Mittwoch ein Prozess vor dem Landgericht, wo wegen schweren Raubes gegen einen 22-jährigen Antänzer verhandelt wird. Und auch die Antwort auf eine weitere Frage zeichnete sich an diesem Verhandlungstag geradezu exemplarisch ab: Warum ist es so schwer, ihm diese Taten nachzuweisen?
Kindheit und Jugend des Angeklagten in Marokko waren geprägt von Armut und einem Leben auf der Straße, berichtet der Facharzt für Psychiatrie, der den 22-Jährigen untersucht hat. Sechs Jahre ist er zur Schule gegangen, einen Abschluss hat er nicht. „Er kann etwas Arabisch und etwas Französisch lesen und schreiben“, fasst der Sachverständige die Schulbildung des Angeklagten zusammen. Seit seinem zwölften Lebensjahr nahm er Drogen und Tabletten, um seine Sorgen und Ängste zu verdrängen. Sich das Geld dafür zu besorgen, wurde zum alleinigen Lebenszweck.
Körperliche Auseinandersetzungen auf der Straße gehörten von frühester Kindheit an zum Alltag des Angeklagten, ebenso Gewalterfahrungen mit der marokkanischen Polizei. Mit 15 dann die Flucht nach Europa. Per Schiff, versteckt in einem Lkw. Zunächst nach Spanien, dann nach Frankreich, Italien und über die Schweiz schließlich nach Deutschland. Entwaffnend ehrlich die Antwort nach dem Warum: „Das Leben in Europa ist deutlich leichter.“
Für ein leichteres Leben nach Europa
Was auch für die Beschaffung von Cannabis und Tabletten gilt. Das ist wichtig für den Angeklagten, denn dessen Konsum steigt und damit auch der Druck, Geld dafür beschaffen zu müssen. In Bremen hat er laut Staatsanwaltschaft mehrere Straftaten begangen, zumeist gemeinsam mit einem Komplizen. Antanzdiebstähle sind darunter, ein Ladendiebstahl, Ketten, die den Opfern vom Hals gerissen wurden. Von Schlägen gegen die Brust ist in der Anklageschrift die Rede, von einer Frau, die zu Boden gestoßen wurde, von Pfefferspray und einem Messer, mit dem ein Opfer an der Hand verletzt wurde.
Um dem Angeklagten diese Taten nachzuweisen, vernimmt das Gericht Zeugen. Am Mittwoch waren es zwei der Opfer. Die Täter hätten sie und ihre Freundin sexuell belästigt – „die haben uns angetatscht, das war einfach eklig“ – erzählt eine 22-Jährige. Es habe eine Rangelei gegeben, eine Kette wurde vom Hals gerissen. Sie sei dann noch hinterhergelaufen und habe einen der Männer gestellt. Doch der habe sie zu Boden geschubst und sei dann entkommen. An das Aussehen der Täter habe sie keine Erinnerung, außerdem ohnehin Gedächtnislücken. „Ich hatte getrunken und gekifft.“ Als die Polizei die Frau am nächsten Morgen für ihre Aussage aufsuchte, lag deutlich vernehmbar Marihuana-Geruch in der Luft, berichtet einer der Beamten. Ein Mann, der bei dem Vorfall in der Nacht zuvor dabei war, sei äußerst aggressiv gewesen. Er spreche nicht mit der Polizei und überhaupt – er wolle jetzt schlafen, sie sollten später wiederkommen.
Auch der nächste Zeuge, Opfer eines Antanzdiebstahls, erzählt, dass er bei dem Überfall betrunken war. Wodka, wie viel könne er nicht sagen. Dass ihm der Täter die Kette vom Hals riss, habe er zunächst gar nicht bemerkt. Dass der Zeuge vor Gericht mithilfe einer Russischdolmetscherin vernommen werden muss, macht die Aufklärung der Tat nicht einfacher.
Verteidiger legen nach
Betrunken, bekifft, Gedächtnislücken ...? Zeugen, wie gemalt für die Verteidigung. Ihr Mandant ist schuldig, das bestreiten auch sie nicht. Aber was kann man ihm wirklich nachweisen? Entsprechend legen die Anwälte nach: Die Weste, in deren Tasche die Polizei ein Messer gefunden hat, gehöre nicht dem 22-Jährigen. Er habe die Weste eines Freundes angezogen, ohne das Messer zu bemerken. Und er habe die Frau auch keineswegs gestoßen, sondern lediglich eine Handbewegung in ihre Richtung gemacht. Der sei sie ausgewichen und dabei gestolpert. Dem außenstehenden Betrachter mag das wie hanebüchener Unsinn erscheinen, doch das Gericht muss dem nachgehen. Am 16. Oktober, dem nächsten Prozesstag.