Kaum jemand, der damit gerechnet hatte, und doch ist es passiert: Eine gar nicht mal kleine Mehrheit hat beim Volksentscheid zur Bremer Galopprennbahn gegen die geplante Bebauung gestimmt. Das ist für den gesamten rot-grünen Senat, vor allem aber für die SPD und ihren Wirtschaftssenator Martin Günthner, der das Projekt initiiert und vorangetrieben hatte, ein weiterer Schlag ins Gesicht. Die Sozialdemokraten waren anders als die Grünen am Sonntag auch schon bei der Bürgerschaftswahl abgestraft worden. Im Falle der Rennbahn ist es die Quittung für schwere politische und handwerkliche Pannen.
Der Senat hatte seine Pläne für das rund 30 Hektar große Gelände zwischen der Vahr und Hemelingen anfangs schlecht bis gar nicht kommuniziert. Das war der Kardinalfehler. Ohne Not wurde in den Wochen und Monaten nach den ersten Schlagzeilen die Deutungshoheit über das Projekt den Gegnern überlassen. Erst danach bemühte sich Rot-Grün stärker um Einbindung, zum Beispiel im Gespräch mit den Ortsbeiräten. Zu dem Zeitpunkt hatte sich aber bereits der Gedanke verfestigt, dass mit der Bebauung wertvolle Natur zerstört wird, eine grüne Lunge, der mit Beton die Luft genommen wird. Das ist zwar so schlicht wie falsch, denn die Rennbahn und der Golfplatz mittendrin sind mitnichten ein Kleinod der Natur, nichts oder nur wenig, das unbedingt schützenswert wäre. So eine differenzierte Betrachtung drang aber nicht mehr richtig durch.
Hinzu kam, dass der Senat sich arrogant und unfair verhalten hat. Er pumpte kurz vor dem Volksentscheid viel Geld in die Werbung, um das Bauvorhaben zu retten – eine regelrechte Medienkampagne mit Beilagen, Flyern, Plakaten und Trailern im Kino. Gegen so viel Präsenz war die Initiative machtlos. Könnte aber sein, dass sie letztlich davon profitiert hat. Der David-Goliath-Effekt: Wischen wir der vermeintlich allwissenden und rechthaberischen Obrigkeit doch einfach mal einen aus.
Stimmzettel war nicht einfach zu verstehen
Einfluss auf die Abstimmung genommen hat möglicherweise auch, dass sie nicht einfach zu verstehen war. Wer für die Bebauung war, musste mit Nein stimmen. Nicht wenige vielleicht, die sich in der Wahlkabine vertan haben. Mag ja sein, dass es formale Gründe gab, die entscheidende Frage kompliziert zu stellen. Doch hätte man nicht trotzdem den Weg zur klaren Formulierung finden müssen? So nämlich: Sind Sie für die Bebauung der Rennbahn? Ja oder Nein?
Mehr Demokratie als bei einem Volksentscheid geht nicht. Die Bürgerinitiative hat sich nach Kräften bemüht, das Areal als grünen Ort für Freizeitgestaltung zu erhalten. Das war legitim und verdient Anerkennung, zumal die Akteure in der Bevölkerung so viel Unterstützung mobilisieren konnten. Ungeachtet dessen wäre ein anderes Ergebnis besser gewesen.
Bremen braucht neuen Wohnraum, was niemand bestreitet, selbst die Gegner der Rennbahn-Bebauung nicht. Bremen braucht bezahlbaren Wohnraum, möglichst viele kleine Einheiten, weil die Zahl der Ein-Personen-Haushalte kontinuierlich steigt. Der Senat hat mit seinen Bauprogrammen zwar schon einiges angeschoben, und längst sind auch die städtischen Wohnungsgesellschaften Gewoba und Brebau in der Spur, die privaten Firmen sowieso. Doch das reicht bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Eine Folge ist, dass die Mietpreise durch die Decke gehen – das einfache Spiel von Angebot und Nachfrage. Wer ein Drittel bis zur Hälfte seines verfügbaren Einkommens für das rare Gut Wohnung aufwenden muss, ist arm dran. Treiber dieser Kosten sind aber nicht nur die Vermieter, es ist auch das Land Bremen mit seiner vergleichsweise hohen Grundsteuer.
Weniger die SPD, ganz entschieden aber die Grünen haben sich im Senat dafür eingesetzt, auf eine möglichst intelligente Art und Weise Wohnraum zu schaffen. Das Zauberwort heißt Verdichtung. Keine Wiesen, die in Brokhuchting oder der Osterholzer Feldmark bebaut werden, keine Zerstörung von Natur, sondern Lücken füllen, die es in der Stadt zuhauf gibt. Neben dieser Art der Bebauung gibt es noch andere Projekte, die mindestens genauso wichtig sind, und dazu gehört die Galopprennbahn. Die Verkehrsanbindung ist gut, die Infrastruktur auch – lauter Vorteile zum Beispiel gegenüber der Überseestadt, die mit Autos verstopft ist und wenig Einkaufsmöglichkeiten bietet. Wenn dann auch noch gelingt, was die Planer sich vorgenommen haben, eine lockere Bebauung mit viel Grün – was will man mehr?
Was wollte man mehr, muss es heute heißen. Denn mit der Rennbahn als Wohngebiet ist es vorerst vorbei.
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