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Gleichberechtigung in der Politik Mehr weibliche Perspektive per Quote

Der Beirat in der Vahr möchte mit einem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung Frauen mehr Redezeit in der Ortspolitik ermöglichen. Eine Idee, die im Bremer Westen durchaus Interesse weckt.
12.04.2021, 05:00 Uhr
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Mehr weibliche Perspektive per Quote
Von Anne Gerling

Der Vahrer Ortsbeirat will seine Geschäftsordnung ändern und eine Quotenregelung für Redebeiträge einführen. Kürzlich wurde dort ein Antrag angenommen, der für mehr Vielfalt und Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern sorgen soll. Nun ist es Sache der Senatskanzlei, die rechtliche Seite zu prüfen. Sofern sie keine Bedenken hat, kann die Geschäftsordnung in der Vahr geändert werden und der Vahrer Beirat wäre der erste in Bremen, der eine quotierte Rednerinnenliste einführt.

Den Antrag, dem die Vahrer Ortspolitiker Mitte März mehrheitlich zustimmten, hatten Eva Mahlert (SPD) und Kathrin Lammel (Grüne) eingebracht. Zu den Motiven der gemeinsamen Initiative, die von den jeweiligen Fraktionen unterstützt wurde, sagt Eva Mahlert: „Wir möchten etwas daran ändern, dass der Beirat zu wenig weibliche Perspektive hat.“ Natürlich sei ein Grund, dass weniger Frauen in dem Gremium vertreten seien. „Aber auch, weil Frauen sich offenbar eher zurückhalten und reflektieren und eine Wortmeldung auch zurückziehen, wenn ein Argument schon fünfmal genannt wurde.“ Die derzeitige Regelung führe dazu, dass häufig dieselben Personen zu Wort kämen.

Derzeit nimmt die Sitzungsleitung die Beiratsmitglieder in der Reihenfolge dran, in der sie sich melden. Auch mehrere Wortmeldungen zu einem Diskussionsgegenstand sind möglich. Die Idee: Es werden zwei Listen geführt – eine sogenannte quotierte Redner- und Rednerinnenliste und eine Erstrednerliste. Bei einer quotierten Rednerliste würde künftig die Sitzungsleitung Frauen und Männer immer abwechselnd zu Wort kommen lassen. Dabei sprechen Frauen grundsätzlich vor Männern. Die Erstrednerliste wiederum setzt diejenige oder denjenigen, der noch nichts zu einem Thema gesagt hat, vor denjenigen, der sich zu dem Thema schon mehrmals geäußert hat.

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Sollte sich keine Frau mehr zu einem Thema melden, bleibt die Redeliste so lange offen, bis auch kein Mann mehr etwas sagen möchte. Diese „weiche“ Quotenregelung unterscheidet sich von „harten“ quotierten Rednerinnenlisten, die geschlossen werden, sobald sich keine weibliche Wortmeldung mehr darauf befindet.

Der Antrag geht aber noch etwas weiter. So fordert er die Fraktionen auf, Redebeiträge fraktionsintern vorzubereiten, um Wiederholungen zu vermeiden. Denn häufig würden inhaltlich ähnliche Argumente ausgetauscht, was Sitzungen für Bürger oft langatmig erscheinen lasse, heißt es in dem Antrag. „Wir erhoffen uns von diesem Verfahren mehr Vielfalt und Perspektiven und dass Menschen, die sich sonst nicht so beteiligen, bessere Chancen bekommen“, so Kathrin Lammel.

Wäre die Quotenregelung auch für die Beiräte im Bremer Westen interessant? In Gröpelingen und Findorff sitzen zwölf beziehungsweise zehn Männer im Beirat – jeweils exakt doppelt so viele wie Frauen. Im Waller Beirat sind elf Männer und sechs Frauen vertreten. Kommen in diesen Gremien also Männer und Frauen gleichberechtigt zu Wort?

„Ich fände es schon gut, wenn Frauen öfter zu Wort kämen“, sagt jedenfalls die Gröpelinger Beiratssprecherin Barbara Wulff (SPD), „aber ich glaube, dass sie eher erst einmal motiviert werden müssen, sich zu melden.“ Frauen seien ihrer Beobachtung nach häufig schüchterner und zurückhaltender als Männer, so Wulff, die außerdem betont: „Wir brauchen mehr Basis, dann gibt es auch mehr Beteiligung von Frauen.“ Wichtiger seien deshalb Mentoring-Programme, wie ihre Partei sie regelmäßig anbiete – am 23. April starte wieder ein Programm für Frauen. „Da können Interessierte uns zu Sitzungen begleiten und wir besprechen mit ihnen, worum es geht“, so Wulff, die als Mentorin auch schon männliche Mentees an die Kommunalpolitik herangeführt hat.

Ähnliche Kampagnen gibt es auch bei den Grünen, wie die stellvertretende Waller Beiratssprecherin Brunhilde Wilhelm (Grüne) sagt. Auch ihrer Ansicht nach gilt es vorrangig, ein anderes Problem zu lösen: „Dass man für die Beiratsarbeit Menschen findet – und dann noch Frauen. Das ist ein Problem aller Parteien und wohl auch vieler Vereine: Je ehrenamtlicher, desto schwieriger ist es.“

Bislang sei eine Quotenregelung in Walle kein Thema gewesen, sagt Wilhelm: „Ich finde das aber spannend und vor allem die Idee einer Erstrednerliste finde ich einen ganz interessanten Punkt – wobei ich nicht weiß, ob das auch praktikabel ist. Das müssten dann die Mitarbeiterinnen im Ortsamt sagen.“

Da mit Brigitte Grziwa-Pohlmann (SPD), Kerstin Eckardt (CDU) und ihr selbst drei der vier größten Fraktionen Sprecherinnen hätten, habe sie nicht den Eindruck, dass Frauen in Walle zu kurz kämen: „Trotzdem würde ich das gerne auch mal in meiner Partei diskutieren wollen.“

„Sehr zahm“ findet die Findorffer Beiratssprecherin Anja Wohlers (Grüne) den Beschluss der Vahrer angesichts der Quotenregelung, die es schon lange im Grünen-Landesverband gibt: „Wenn keine Frau mehr sprechen will, entscheiden die Frauen, ob die Männer noch etwas sagen können. Von daher ist eine Quotenregelung für mich normal und mir auch sehr sympathisch.“ Für die laufende Legislaturperiode würde sie sie in Findorff trotzdem nicht wollen. „Es gibt dort aktuell – ohne Sachkundige Bürgerinnen – nur in meiner Fraktion und bei der SPD Frauen“, begründet sie dies: „Das würde bedeuten, dass unsere Parteien deutlich mehr Redezeit hätten. Viel wichtiger finde ich deshalb den Ansatz, dass die Listen-Aufstellungen quotiert werden.“

Ortspolitik sei ein mühsames Geschäft, unterstreicht Wohlers: „Die Einflussmöglichkeiten sind sehr beschränkt und man arbeitet sich ewig an einem Thema ab, das man vielleicht abschließen kann – vielleicht aber auch nicht. Das muss man sich auch erst mal leisten können. Deshalb haben wir als Beirat beantragt, dass die Aufwandspauschale für Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen oder minderjährigen Kindern erhöht wird.“

Ihre spontane Umfrage unter den Fraktionen zum Thema Quote habe nun außerdem ergeben: „Die CDU ist dagegen, weil das Diskussionsprozesse abwürgen würde. Außerdem müssten dann ihrer Ansicht nach noch andere Gruppen stärker berücksichtigt werden. Die Linke ist klar dafür – sie hatte auch den Haushaltsantrag für den Pauschalbetrag eingebracht. Die FDP ist auch dagegen, weil sich ihrer Ansicht nach die Frauen, die im Findorffer Beirat sind, schon jetzt Gehör verschaffen.“ Ihre persönliche Meinung: „Grundsätzlich sollte man das Thema Quote in Betracht ziehen, aber eher in Richtung Bürgerschaft gedacht.“ Angesichts der dort gezahlten Diäten könne man die Parteien dort eher in die Pflicht nehmen.

Auch Barbara Wulff wird den Vorstoß des Vahrer Beirats gut im Auge behalten. „Wenn das von der Senatskanzlei akzeptiert wird und sich bewährt, kann man überlegen, ob man es in die Muster-Geschäftsordnung aufnimmt“, sagt sie.

Eine andere Frage wäre die der Umsetzung – insbesondere bei Videokonferenzen, die den jeweiligen Stadtteilsachgebietsleitern schon jetzt ein hohes Maß an Konzentration abverlangen. Üblicherweise leiten sie Sitzungen alleine und müssen dabei die Technik im Griff haben, eine Rednerliste führen und sich ums Protokoll kümmern. Schon jetzt werden die Ortsamtsmitarbeiter dabei häufig von Beiratsmitgliedern unterstützt, die bei Wortmeldungen darauf achten, dass die jeweiligen Redner die maximale Redezeit einhalten. „Wir hatten neulich eine Beiratssitzung mit allen drei Stadtteilen“, erinnert sich Barbara Wulff, „da mussten wir drei Leute vor Ort haben, die das leiten. Wenn man dann noch auf die Quote achten müsste, bräuchte man womöglich noch mehr Personal.“

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Messbares Ungleichgewicht

Die Gleichberechtigung in der Politik ist in der Theorie zwar gegeben, tatsächlich sind Frauen in politischen Gremien häufig unterrepräsentiert. Der Anteil von Frauen beträgt im Bundestag und in den meisten Landesparlamenten unter dreißig Prozent. Es gibt verschiedene Ansätze, den Anteil von Frauen zu steigern. Die Grünen beispielsweise stellen ihre Wahllisten nach einem Reißverschlussverfahren auf: immer abwechselnd eine Frau und einen Mann werden auf die Liste gesetzt. An die Grenze kommt dieses System allerdings, wenn nur sich nur wenige Kandidatinnen überhaupt aufstellen lassen wollen. Auch beim Redeanteil der Bundestagsfraktionen sind Frauen häufig unterrepräsentiert. Während bei den Grünen und Linken über 50 Prozent der Reden von Frauen gehalten werden, sind es bei der AfD 9,8 Prozent und bei der CDU 15,6 Prozent. Paritätische, quotierte Rednerinnenlisten sollen den Redeanteil erhöhen. An einigen Universitäten, Studierendenparlamenten und Parteien sind diese inzwischen üblich. Unterrepräsentiert sind Frauen auch in den Medien. So ergab eine Recherche des Magazins „Spiegel“ über die eigene Berichterstattung, dass in 40.000 Artikeln 107.000 Mal Männer und 28.000 Mal Frauen namentlich genannt werden. In 42 Prozent der Texte kämen ausschließlich Männer als Protagonisten oder Experten vor, nur in sechs Prozent aller Artikel seien es Frauen.

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