Herr Wetjen, mit 68 Jahren geht die Karriere der meisten Politiker zu Ende, Ihre fängt gerade erst an. Wie kommt's?
Reinhold Wetjen: Nun, es ist kein wirklicher Anfang, aber tatsächlich die erste exponierte Stellung in der Partei, die ich angestrebt und bekommen habe. Die Gründe sind ja bekannt. Unsere bisherige Landesvorsitzende Sascha Aulepp wird voraussichtlich als Bildungssenatorin in den Senat aufrücken. Gefragt war eine kurzfristige Entscheidung, wer ihr an der Spitze der Bremer SPD nachfolgen soll – da gab es einige, die meinten, ich sollte das tun.
Warum sollten Sie?
Ich stehe in der Partei sehr stark für Erneuerung und andere Wege, die man gehen muss, um die Mitglieder zu motivieren und stärker einzubeziehen. Ich glaube, dass ist ein Punkt, den viele gut finden.
Über den Sozialdemokraten Reinhold Wetjen ist außerhalb Ihrer Partei kaum etwas bekannt. Was muss man über Sie wissen?
Es gibt eine Triebfeder meiner politischen Betätigung, und das ist der Kampf gegen Ungerechtigkeit. Das klingt erst mal recht allgemein. Aber es macht mich wahnsinnig, wenn ich sehe, dass Kinder in Armut leben. Es ärgert mich, wenn ich sehe, dass junge Menschen nicht an Bildungsangeboten teilhaben können oder dass die Universitäten Schwierigkeiten mit ihrer Finanzierung haben. Das sind alles Dinge, die in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurden. Ich stehe für Chancengerechtigkeit. Das findet sich in allen Bereichen wieder, in denen ich mich bisher engagiert habe.
Wenn Chancengerechtigkeit der Schlüsselbegriff ist: Was wird das konkret bedeuten für die Politik der Bremer SPD unter Reinhold Wetjen?
Da geht es zum Beispiel um die Behandlung der Stadtteile. Um Gröpelingen muss man sich ganz anders kümmern als um wohlhabendere Quartiere. Stichwörter sind da unter anderem Schulen und sonstige öffentliche Infrastruktur. Da gibt es teilweise große Defizite.
...für die Ihre Partei dann aber doch zumindest eine Mitverantwortung trägt. Schließlich regieren Sie seit 75 Jahren.
Das ist sicherlich so. Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass für uns gerade in den vergangenen Jahren strikte Sparauflagen galten. Die Budgets waren sehr begrenzt. Zuletzt konnten wir einiges nachholen, an den Kitas und Schulen hat sich die Ausstattung schon ein Stück verbessert. Wenn Sie Pädagogen in Gröpelingen oder vergleichbaren Stadtteilen fragen, dann werden viele von denen sagen: Ja, es tut sich was, aber es muss noch mehr werden.
Was ist ihr persönlicher Gestaltungsanspruch? Sie werden ja mehr wollen, als dem SPD-Bürgermeister politischen Flankenschutz zu geben.
Ich möchte, dass die Partei wieder als Motor wahrgenommen wird – für die Bürgerschaftsfraktion und auch für den Senat. Das heißt: Wir wollen die Leitlinien vorgeben. Wir wollen sagen: In diese Richtung soll es gehen.
Das sind hehre Worte. Aber Ihre Partei ist aktuell kaum in der Verfassung, solche Impulse auszusenden. In vielen Ortsvereinen ist die Arbeit fast zum Erliegen gekommen, zu den Sitzungen kommt nur noch eine Handvoll in Ehren ergrauter Genossen. Die Verankerung in der Gesellschaft ist der SPD teilweise verloren gegangen. Wie wollen Sie das ändern?
Die Situation ist unterschiedlich. Es gibt durchaus Ortsvereine, die sehr aktiv sind und inhaltliche Arbeit leisten. Ich räume aber ein, dass es auch Parteigliederungen gibt, wo es nicht so flott läuft. Das kann man aber ändern, zum Beispiel indem man über die Ortsvereinsgrenzen hinaus Arbeitsgruppen einrichtet zu bestimmten inhaltlichen Themen. Oder indem man Ortsvereine zusammenlegt, wie kürzlich erst in Hemelingen und Sebaldsbrück. Auf diese Weise finden sich dann wieder genügend engagierte Menschen zusammen, um inhaltliche Arbeit leisten zu können.
Es gibt einige Themenfelder, auf denen die Bremer SPD durchaus präsent ist, etwa bei Wirtschaft, Bau oder Finanzen. Auf anderen, wichtigen Gebieten ist selbst für interessierte Beobachter nicht klar, was Ihre Partei eigentlich will. Wo ist zum Beispiel das sozialdemokratische Konzept zur Zukunft der städtischen Kliniken?
Dass wir für den großen Kommunalbetrieb Gesundheit Nord eine Lösung brauchen, ist richtig, daran arbeiten wir noch. Und in der Tat haben wir auf verschiedenen Themenfeldern einen gewissen Nachholbedarf. Wir müssen es schaffen, alle Gebiete so gut abzudecken wie beispielsweise den Komplex Bau und Stadtentwicklung. Daran gilt es zu arbeiten.
Die SPD ist im Bund nicht mehr mehrheitsfähig, in Umfragen steht sie wie festgenagelt bei 15 Prozent. Kritiker sagen, es fehle der Partei an Profil, sie laufe nur noch den Grünen und den Linken hinterher. Wie kann die Sozialdemokratie wieder zu Kräften kommen?
Wir laufen keineswegs Grünen und Linken hinterher, sondern machen ein politisches Angebot, das den Interessen breiter Schichten entspricht, insbesondere denen der Arbeitnehmer. Gerade in der Corona-Zeit haben wir in der Bundesregierung viel für die weniger Begüterten in unserer Gesellschaft getan. Denken Sie an Stichworte wie Kurzarbeitergeld, Unternehmenshilfen, Pflege, Fleischindustrie, Kinderbonus – die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Zuletzt hat unser Kanzlerkandidat Olaf Scholz einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass es jetzt zu einer globalen Mindestbesteuerung kommt. Leider hat sich das bisher in den Umfragen nicht so bemerkbar gemacht, wie es sein müsste. Wir machen richtig gute inhaltliche Arbeit, aber sie kommt noch nicht an.
Oder meinen Sie: Sie wird schlecht verkauft?
Zumindest kommen nicht alle unserer Themen gleichermaßen gut an. Aber mal ganz ehrlich: Was diese Bundesregierung an Fortschrittlichem und Vernünftigem auf den Weg gebracht hat, das stammt von uns.
Das Gute stammt von der SPD: Gilt das auch für das Bremer Regierungsbündnis?
Wir sind jedenfalls diejenige politische Kraft in Bremen, die den notwendigen Umbau unserer Wirtschaft als ihre zentrale Aufgabe begreift. Wir müssen sie umbauen, um zukunftsfähige Arbeitsplätze zu haben, und dabei ist der starke Wissenschafts- und Forschungssektor ein wichtiger Partner. Auch ihn gilt es zu stärken. Diese Themen sind bei uns in den besten Händen.