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Brieftaubenzüchter Heinke Steenken Rennsport des kleinen Mannes

Heinke Steenken aus Berne züchtet Brieftauben. Einige Preise hat er schon mit seinen Tieren gewonnen. Ihn fasziniert inbesondere das Heimkehrvermögen der Tauben. Manche kommen aber auch nicht zurück.
09.12.2015, 00:00 Uhr
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Von Bettina Dogs

Heinke Steenken aus Berne züchtet Brieftauben. Einige Preise hat er schon mit seinen Tieren gewonnen. Ihn fasziniert inbesondere das Heimkehrvermögen der Tauben. Manche kommen aber auch nicht zurück.

Es läuft im Grunde ähnlich wie bei Hunden. „Leckerlis“, sagt Heinke Steenken und grinst, „von klein an“. Eine Handvoll Erdnüsse, ein Becherchen Sonnenblumenkerne: „Es ist eigentlich ganz einfach.“ Ein Pfiff, eine Nuss. So geht’s los. Und dann: Nach jedem Freiflug eine kleine Leckerei im Schlag – und wieder ein Pfiff. „Und die Tauben lernen. Es lohnt sich immer zurückzukehren.“

Heinke Steenken züchtet Brieftauben. Solche, die mittellange Strecken zurücklegen und mit denen er schon einige Preise gewonnen hat. Doch das ist es nicht, weshalb der 66-Jährige sich ganz dem Rennsport des kleinen Mannes verschrieben hat. „Mich fasziniert einfach ihr Heimkehrvermögen.“

Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wie das Orientierungsvermögen einer Brieftaube genau funktioniert. Dass kleine Eisenkügelchen im Schnabel verantwortlich sind für den inneren Kompass, den die Vögel unbestritten haben, haben Forscher 2012 widerlegt. Stattdessen soll ein Teil des inneren Kompasses im Auge angelegt sein. „Es wird auch angenommen, dass sich die Tauben an Bodenmerkmalen, der Sonne und dem Salzgehalt der Luft orientieren“, sagt Heinke Steenken. „Es ist wohl ein Zusammenspiel aller Informationen, die den Tauben den Weg in den Heimatschlag zeigen.“

Körperliche Fitness nötig

Doch es ist nicht nur das Orientierungsvermögen. Um die Strapazen eines Fluges überstehen zu können, müssen Brieftauben auch körperlich fit sein. In der Reisezeit von Mai bis September werden die Vögel mehrmals von sogenannten Auflass-Stationen auf Heimreise geschickt. Pro Flug – zumindest ist das in der Mittelstreckenklasse von Heinke Steenken so – legen sie an einem Tag mehrere Hundert Kilometer zurück. „Brieftauben sind Hochleistungssportler.“ Und sie brauchen eine entsprechende Vorbereitung. Früh stimmt Steenken seine Tiere auf die künftigen Anforderungen ein. Mit Drei-Kilometer-Flügen geht es los, die nach und nach bis auf 20 Kilometer gesteigert werden. „Damit lernen die Tauben auch, ihre Wahrnehmung zu schärfen“, sagt er.

Steenken hängt an seinen Tauben. Also setzt er viel daran, die Vögel immer wieder heil nach Hause zu bekommen. Regelmäßig werden sie von einem auf Tauben spezialisierten Tierarzt untersucht; ein genau auf die Leistung abgestimmtes Futter füllt die Energiereserven der Tiere wieder auf, der Kot wird regelmäßig auf Parasiten geprüft. „Eine Taube kann nur fliegen, wenn sie gesund ist“, sagt Steenken. Damit der Weg zu den sogenannten Auflass-Stationen – die Orte, von wo aus die Tauben den Heimflug antreten – kein Stress bedeutet, gewöhnt er seine Tiere an die Transportboxen, damit sie etwas Angenehmes damit verbinden. „Zumindest legen sich meine Tauben immer auf die Flügel, wenn sie in die Boxen kommen.“ Bei Tauben ein Zeichen der Entspannung und des Wohlfühlens.

Stimmen müssen auch die äußeren Bedingungen. „Starker Regen, Gewitter oder Nebel bringen die Tauben in Schwierigkeiten“, sagt Steenken. In solchen Fällen bleiben die Vögel am Boden. Speziell geschulte Flugleiter beobachten bereits Tage vor dem Start die Entwicklung des Wetters und entscheiden dann, ob geflogen wird oder nicht. Steenken: „Die Tauben sollen es ja nicht unnötig schwer haben.“

Kritik von Tierschützern

Das heißt nicht, dass Steenken keinen sportlichen Ehrgeiz besitzt. Um seine Tauben so fit wie möglich zu halten, investiert er viel Zeit und auch eine Menge Geld. „Allerdings immer nur im Rahmen der Tiergesundheit“, betont er. Nicht nur über das monatlich erscheinende Verbandsblatt informiert sich der Berner über artgerechte Haltungsbedingungen und neueste Studien, sein Bücherregal steht voll mit Literatur zum Thema Brieftauben. „Wenn es an die Tierquälerei gehen würde, würde ich diesen Sport nicht ausüben.“ Dennoch wird auch im Brieftaubensport zu illegalen Mitteln gegriffen: Immer wieder kommt es vor, dass Tiere gedopt werden, um noch bessere Leistungen zu bringen. Für Steenken ein Unding: „Mit dem Brieftaubensport und der Freude am Tier hat das für mich nichts mehr zu tun.“

Nicht zuletzt deswegen steht der Sport mit den Vögeln auch bei Tierschützern in der Kritik. Weil die monogam lebenden Vögel beim Heimflug vor allem davon angetrieben werden, so schnell wie möglich zu ihrem Partner zurückkehren zu wollen, seien sie unnötigem seelischen Stress ausgesetzt, moniert etwa Deutschlands größte Tierrechtsorganisation Peta. Außerdem würde eine Vielzahl der Tauben nicht mehr von den Wettflügen heimkehren, weil sie entweder erschöpft und entkräftet sterben oder den Weg zurück nicht mehr finden.

„Es kann schon mal vorkommen, dass eine Taube nicht mehr zurückkommt“, schildert auch Brieftaubenzüchter Steenken. „Aber das hat viele Gründe.“ Mitunter ganz natürliche: Auch bei den Wettflügen sind Tauben nicht vor den Angriffen von Raubvögeln wie Wanderfalken, Sperbern und Habichten gefeit. Einmal sei eine seiner Tauben mit in den Schlag eines Züchterkollegen geflogen. Der hat ihn dann angerufen und Steenken ist die Strecke noch einmal gefahren, um seinen Vogel abzuholen. „Wir Züchter sind dazu verpflichtet, die Brieftaube mit einem Ring mit unserer Telefonnummer zu versehen.“ Sollte sich tatsächlich einmal ein Tier verirren, könne der Züchter umgehend informiert werden.

900 Kilometer kann eine Brieftaube am Tag im Schnitt zurücklegen, bei günstigen Wetterbedingungen auch mehr. Steenkens Vögel starten allesamt in der mittleren Leistungsklasse. Je nach Flug legen sie 100 bis 600 Kilometer zurück, in der aktuellen Saison hat der 66-Jährige – der für den Wettkampf eine Schlaggemeinschaft mit seinem Sohn Lars führt – zwölf Flüge absolvieren lassen. Mit seinen Alttieren. Bei den Jungtieren waren es fünf Flüge mit kürzerer Distanz. Für den Berner sind die Tauben mehr als nur sportliches Hobby. „Sie sind mein Ruhepol.“ Immer, wenn er gestresst sei, gehe er in den Taubenschlag. „Und dann komme ich entspannt wieder heraus.“ Und zurück lässt er dann immer eine gut gefüllte Schüssel mit Erdnüssen.

Gezielte Zucht seit 300 Jahren

Als Boten wurden Tauben bereits vor mehreren Jahrtausenden eingesetzt, die gezielte Zucht begann vor 300 Jahren. Mit Brieftauben wurde 1815 der Sieg der Schlacht von Waterloo an die britische Regierung übermittelt, und auch der Nachrichtendienst Reuters baute in seinen Anfängen auf Brieftauben als Boten. Erst 1996 schaffte die Schweizer Armee ihren Brieftaubendienst ab. In China, Japan und einigen arabischen Ländern erlebt die Brieftaubenzucht zurzeit einen Boom, chinesische Millionäre und gut betuchte Emire zahlen für leistungsstarke Siegervögel ein kleines Vermögen. 2013 wurde die belgische Turbo-Taube „Bolt“ für 310 000 Euro an einen chinesischen Liebhaber verkauft. Um viel Geld statt nur Pokale geht es auch beim südafrikanischen „Pigeon Race“, das jedes Jahr im Februar ausgetragen wird. An dem Elite-Rennen nehmen vor allem Züchter aus dem Ruhrgebiet teil, dem Schmelztiegel deutscher Brieftaubenzüchter. Bei einem Preisgeld von 150 000 Dollar für den Sieger ist es kein Wunder, dass dabei nicht immer mit legalen Mitteln gekämpft wird: Doping ist inzwischen auch im Brieftaubensport ein Thema.

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