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Zwei Rennen an einem Tag Reporter am Limit

Es ist Lauftag in Bremen. Morgens der Bremer Friedenslauf, abends der BMW-Firmenlauf. Schafft man zwei Läufe an einem Tag? WESER-KURIER-Reporter Jörn Hüttmann hat sich den Notizblock geschnappt und den Selbsttest gemacht.
22.07.2015, 00:00 Uhr
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Reporter am Limit
Von Jörn Hüttmann

Der Start gleicht einem Dammbruch. Kurz nach 10 Uhr fluten am Dienstag rund 1300 Kinder und Jugendliche vom Marktplatz in die Langenstraße. Es ist der Bremer Friedenslauf. Natürlich geht es dabei um den guten Zweck – wie so oft bei solchen Events. Als ich an der Ecke des Marktplatzes ankomme, verschwinden gerade die ersten Kinderköpfe in Richtung Martinistraße. Ein Platz im Hauptfeld – mehr war nicht drin. Aber heute ist das egal, es geht um das Ereignis, nicht um die Zeiten.

Es ist Lauftag in Bremen. Morgens der Bremer Friedenslauf, abends der BMW-Firmenlauf zur Spätschicht. Der eine in der neunten, der andere in der achten Auflage. Insgesamt gehen über 4700 Sportlerinnen und Sportler bei den einzelnen Läufen an den Start. Aber schafft man auch zwei Läufe an einem Tag? Ich werde es sehen. Im Gewusel neben mir laufen Daria Chojnacka und Furkan Kas. Die 17-jährige Gymnasiastin aus Vegesack muss einer Gruppe jüngerer Schüler ausweichen. Sie gehen Schritttempo und sind in der Menge erst spät zu sehen. Rechts sprinten zwei Mädchen vorbei. Ein Drunter und Drüber.
„Wir starten erstmal langsam“, sagt Furkan. „Nicht, dass wir am Ende nicht mehr können“, sagt der 17-Jährige. Fünf Runden auf der 700-Meter-Strecke sind ihr Ziel – insgesamt dreieinhalb Kilometer. Machbar, habe ich vor dem Start noch gedacht. Aber im Chaos in der Langenstraße bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich auch heil ankommen werde. Was soll’s? Wir laufen ja für den Frieden.

Spenden für Flüchtlingsarbeit

„Das ist etwas allgemein formuliert“, erklärt Anette Klasing vom Lidice-Haus. Sie gehört zum Organisationsteam des Bremer Friedenslaufs. Es gehe, genauer gesagt, um Spenden für ein Begegnungsprojekt der Jugendbildungsstätte mit jüdischen und palästinensischen Jugendlichen und die Arbeit des Forums Ziviler Friedensdienste. „Die arbeiten im Libanon mit Flüchtlingen aus Syrien“, sagt Furkan Kas. Im Politikunterricht haben er und Daria darüber gesprochen. Und das sei auch das erste Ziel des Friedenslaufes, sagt Anette Klasing. „Wir wollen die Schüler im Vorfeld informieren und dann beim Lauf Spenden sammeln.“ Aber wozu der Lauf, spenden kann man doch auch so? Klasing widerspricht: „Für junge Leute braucht man einen Event – und Sport ist eben attraktiv.“ Die Zahlen geben ihr Recht. Die 1300 Teilnehmer haben sich selbstständig Sponsoren gesucht, die für jede absolvierte Runde zahlen. „Wenn nach Abzug aller Kosten noch 15 000 Euro übrig bleiben, ist das ein toller Erfolg“, sagt Anette Klasing. Die genauen Ergebnisse gibt es aber erst nach den Sommerferien.

Daria und Furkan haben jetzt schon drei Stempel auf dem Unterarm – gut zwei Kilometer sind geschafft. Die Spendenkasse wird also mindestens sechsmal klingeln. Daria sponsert sich mit einem anderen Mitschüler gegenseitig. Furkan hat seinen Vater als Mäzen gewonnen. Das Feld ist deutlich ausgedünnt. Einige gehen nur noch, andere haben es sich in Cafés an der Strecke gemütlich gemacht und die Schnellen haben jetzt ordentlich Vorsprung.

Der Friedenslauf ist für die Vegesacker Zehntklässler ein Highlight. Es macht Spaß, zusammen zu laufen, sagt Daria. „Für den guten Zweck laufen wir gerne.“ Außerdem sei der Lauf in der „müden Zeit“ kurz vor den Zeugnissen eine willkommene Abwechslung, erklärt Klassenlehrer Jörg Selke, der auch auf der Strecke unterwegs ist. „Und ich will nachher noch mit Freunden an den Werdersee“, sagt Furkan. „Das passt gut zusammen.“ Mittlerweile ist Furkan die Distanz deutlich anzusehen. „Ich gehe gleich erst einmal was trinken und mache eine Pause“, sagt er. Vor uns sprintet eine Mutter mit Kinderwagen durchs Feld. Aber wir sind nicht mehr so schnell, dass es für sie eng werden würde. Nach dem Stempelstand dreht Furkan ab. Ich will die Zielmarke schaffen, hänge mich an Daria dran.

Die Atmung wird kürzer, die Gespräche knapper. „Früher Akrobatik“, keucht Daria. „Nachmittag, Arbeit, Kiosk im Freibad Blumenthal.“ Ich nicke nur noch. Damit ist klar, das war’s für mich. Kräfte sparen. Daria zieht davon. Furkan überredet mich am Wasserstand, noch eine Runde zu gehen. „Dann habe ich die fünf Runden voll.“ Und 700 Meter auslaufen kann ja nicht schaden. Bei mir ist Schluss nach sechs Runden, Furkan ist noch eine siebte gelaufen und Daria hat zehn geschafft. Dafür glüht ihr Kopf. „Es lief besser, als ich dachte“, sagt Daria.

Alle 25 Sekunden eine Firma

Am Abend kurz vor dem Start des Firmenlaufes steckt mir die Strecke vom Morgen noch deutlich in den Knochen. Auch jetzt geht es um den guten Zweck: Fünf Euro Spende gehen pro Starter an die Special Olympics Bremen (SOB). Einer Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung, die unter anderem Basketball, Tischtennis und Fußball für Behinderte anbiete, erklärt Christian Dirbach von SOB. Beim Firmenlauf sind sie auch mit dabei und ich starte mit in ihrem Feld. Rechts von mir steht Eduard Merkel an der Startlinie. Er ist einer der Sportler der Special Olympics. „Ich will mit den anderen ins Ziel kommen“, sagt er und zieht an mir vorbei. Vor dem Ziel will er warten, aber bis dahin bleibt noch Zeit, um sich auszupowern.

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Vor uns sind schon die Betriebsteams von BMW und der AOK auf den Weg gegangen. Jeweils mit 25 Sekunden Abstand. Das ist auch die einzige Zeit, die an diesem Tag gestoppt wird. „Sportlich gesehen ist der Lauf zu vernachlässigen“, sagt Organisator Utz Bertschy. Aber die Laufszene sei im Umbruch. „Früher wurde um die Wette gerannt, jetzt geht es um den Event – gemeinsam mit den Kollegen etwas zu erleben.“ Bertschy denkt auch an den Nachwuchs: „So erreicht man Leute, die sonst beim Anblick einer Stoppuhr weglaufen.“
Am Anfang der Schlachte ist Eduard Merkel nicht mehr zu sehen. Die Gruppen fallen langsam auseinander, das Feld wird unübersichtlicher. Meine Waden brennen. Rechts taucht ein rotes Shirt auf: Luise Müller vom Mini-Team der Bremer BMW-Niederlassung. „Der Betrieb hat sich aufgeteilt. Wir sind die chilligeren“, sagt Müller. Wir kommen ins Plaudern. Das Zwicken in den Beinen ist vergessen. So ist die Strecke zu schaffen. Für Müller und ihr Team ist klar, dass sie gemeinsam im Ziel ankommen wollen. „Und dann trinken wir noch ein Bier.“ Ich komme schließlich mit einem Pulk der AOK an. Zwei Läufe an einem Tag sind also machbar. Je weniger Wettbewerb, desto besser. Die insgesamt 9,2 Kilometer sind für Spitzensportler zwar ein Klacks – aber auf mich wartet ein Muskelkater. Und für das Feierabendbier fehlt die Zeit – der Redaktionsschluss drängt.

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