Herr Rezewski, wie beurteilen Sie die Situation des Radverkehrs in Bremen?
Jens Rezewski: In dem begrenzten Raum einer Stadt kommt es zwangsläufig zu Konflikten. Wenn jeder nur im Sinn hat, möglichst schnell von A nach B zu kommen und es alle Beteiligten an Rücksicht vermissen lassen, entstehen gefährliche Situationen. Große Sorgen bereitet uns die Lage an einigen Brennpunkten. Dazu zählen vor allem die Wege, an denen sich Menschen mit verschiedenen Interessen und Fortbewegungsmitteln treffen, wie es an der Hamme und der Wümme der Fall ist. Dort stoßen Rad- und auch Rennradfahrer auf Fußgänger, Skater und Hundebesitzer, das führt zu brenzligen Situationen. Ähnlich sieht es im Berufsverkehr auf Hauptrouten wie der Wilhelm-Kaisen-Brücke aus.
Das klingt, als wären die neuralgischen Punkte übersichtlich und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis man dafür Lösungen finden könnte.
Vermutlich könnte man durch bauliche Maßnahmen durchaus Fortschritte machen, aber bekanntlich ist die Haushaltslage in Bremen angespannt und erlaubt nicht, beispielsweise eine neue Wilhelm-Kaisen-Brücke zu bauen. In naher Zukunft wird da nicht viel möglich sein. Wir sind an der AG Rad beteiligt, die das Verkehrsressort ins Leben gerufen hat. Dort suchen wir gemeinsam nach Lösungen, die bezahlbar sind.

Jens Rezewski, Leiter der Verkehrspolizei.
Die AG Rad ist nötig, weil sich der Radverkehr so verändert hat, dass sich die Stadtplanung dem anpassen muss?
Genauso ist es. Der Radverkehr hat deutlich zugenommen. Früher war Radfahren in erster Linie eine Freizeitbeschäftigung, heute legen viele Menschen damit Tag für Tag den Weg zur Arbeit zurück, auch aus dem Umland. Wer schnell zum Ziel kommen will, stößt sich an jeder Störung durch Fußgänger oder Autofahrer. Manche verhalten sich deshalb nicht immer so, wie sie sollten.
Doch selbst auf vorbildlich ausgebauten Radstrecken kommt es mitunter zu Konflikten, weil Verkehrsteilnehmer Regeln missachten oder quasi die Sau rauslassen.
Sicher spielt auch Verkehrspsychologie eine Rolle. Da gibt es bei der Polizei noch Nachholbedarf. In Zukunft wird es mehr und mehr darum gehen, Verhaltenstheorien mit Städtebau in Einklang zu bringen. In Städten wie Kopenhagen wird schon nach dieser Philosophie gehandelt. Der Radverkehr befindet sich beispielsweise in der Mitte der Fahrbahn, sodass es weniger Konflikte mit parkenden Autos und Fußgängern gibt.
Gibt es auch eine AG Fußgänger? Wer vertritt ihre Interessen?
Die Interessen von Fußgängern werden in den Planungen und in unserer Arbeit selbstverständlich ebenfalls berücksichtigt, auch wenn das in der Öffentlichkeit nicht immer so wahrgenommen wird. Uns ist klar, dass Passanten das schwächste Glied in der Kette sind.
Tatsächlich werden immer wieder Klagen laut, eben auch von Fußgängern, dass die Radfahrer in Bremen offenbar kaum mit Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie sich so verhalten, dass andere darunter leiden. Gibt es gezielte Kontrollen?
Es sind deutlich weniger geworden. Jedes Jahr gibt es eine Präventionsaktion, bei der wir Radfahrer darauf hinweisen, wie gefährlich es ist, beispielsweise ohne Licht zu fahren. Aber unsere Personaldecke lässt nicht zu, dass wir ansonsten systematisch kontrollieren.
Trägt das nicht auch zu dem Bild bei, das sich derzeit mitunter auf Bremens Straßen bietet?
Ich würde mir wünschen, dass wir mehr unternehmen könnten. Aber repressive Maßnahmen alleine ändern die Situation nicht grundlegend. Von 2012 bis 2015 gab es solche Schwerpunktmaßnahmen, ohne durchschlagenden Erfolg. Es gibt Städte, die mit einer Polizei-Radfahrstaffel ganz erfolgreich sind, Hamburg und Berlin zum Beispiel. Aber ich sehe nicht, dass die bremische Polizei dazu in absehbarer Zeit die Kapazitäten hat.
Die Bremer Polizei hat sozusagen Besseres zu tun, als Radrowdys zu fassen?
Uns wird in der Bevölkerung oft vorgeworfen, dass irgendwo ein Streifenwagen mit Besatzung fährt und nichts passiert, wenn ein Radfahrer in unmittelbarer Nähe etwas Verbotenes tut. Dahinter steckt aber keine laxe Haltung gegenüber Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung. Die Zahl der Streifenfahrten ohne einen Einsatz ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Wenn ein Polizist in einem Streifenwagen zu einer Schlägerei gerufen wird, kann er nicht mal eben einen Radfahrer anhalten und verwarnen.
Grenzt das nicht an Kapitulation?
Nein. Es gibt natürlich Dinge, die wir nicht ändern können. Wir diskutieren beim Deutschen Verkehrsgerichtstag seit Jahren darüber, warum wir die Menschen nicht davon abbringen können, am Steuer das Handy zu benutzen. Wer dabei erwischt wird, kassiert einen Punkt und eine Geldbuße, dennoch ändert sich nichts. Die Gesellschaft verändert sich, dagegen gibt es kein Patentrezept, und das zeigt sich eben auch im Straßenverkehr. Wenn sich überall ein gewisser Egoismus durchsetzt, ist es sehr schwer, dagegen anzukommen. Man kann sich nur wünschen, dass die Menschen lernen, wieder besser aufeinander aufzupassen.
. . . zumal, wenn es um Leib und Leben geht.
Das stimmt. Radfahrer werden, sofern sie einen Unfall verursachen, sehr oft verletzt, manchmal lebensbedrohlich. Wir müssen aber von hohen Dunkelziffern ausgehen: Wer mit dem Rad verunfallt, meldet sich nicht bei der Polizei, wenn niemand anders beteiligt ist. Es gibt Studien aus Münster, in die Krankenhäuser eingebunden waren, die zeigen, dass die Zahl der Verletzen drei Mal so hoch war als die, die die Polizeistatistik ausgewiesen hatte.
Womöglich kennen nicht alle Radfahrer die Straßenverkehrsordnung.
Wir tun, was wir können, damit sie sie kennen. Es gibt keinen Grundschüler, der nicht den Fahrradführerschein macht. Es mag sein, dass es hier und da Wissenslücken gibt. Aber dass man bei einer roten Ampel anzuhalten hat, wird wohl jedem bekannt sein.
Sie sprachen den Deutschen Verkehrsgerichtstag an, eine Konferenz, die sich auf das Straßenverkehrsrecht konzentriert und an der sie seit einigen Jahren teilnehmen. Zeigt sich im Austausch mit Kollegen, dass Bremen eine Sonderstellung einnimmt, was die Radverkehrspolitik betrifft?
Viele Großstädte, vor allem auch Münster und Freiburg, leiden unter den gleichen Problemen wie wir. In Münster wird restriktiver gegen Verkehrssünder auf zwei Rädern vorgegangen, das hat aber einen Grund – es kam zu deutlich mehr Todesfällen. Das ist uns bislang glücklicherweise erspart geblieben und bleibt hoffentlich auch so.