Eine Viertelstunde zu spät betrete ich beschämt das Lokal und möchte mich entschuldigen. Doch mein Empfänger will erst gar nichts davon hören. Stattdessen weist Hsin-Ping Tu mich an den Tisch, wo der Tee schon auf uns wartet. Hoffentlich hat der Tee jetzt nicht zu lange gezogen, frage ich, doch er beruhigt mich mit einer Stimme, die so einladend ist, dass man sich direkt zu Hause fühlen muss. In den folgenden Minuten erfahre ich nicht nur allerlei über Geschichte und Wirkung fermentierter grüner Tees, sondern ebenso, dass Hsin-Ping übersetzt „herzlich und gesund“ bedeutet. Wie treffend, denke ich mir und freue mich über diese wohltuende Teezeremonie.
Zehn Minuten später sitze ich mit seiner Schwester Lo-Ping Tu zusammen, die auch die Inhaberin dieses gänzlich der vegan-vegetarischen Küche verpflichteten Asia-Restaurants Vegefarm ist. Ich bin gespannt, weil ich für dieses Tischgespräch im Prinzip nur eine Leitfrage habe: Schmecken die hier angebotenen Fleischimitate so gut, dass Fleischliebhaber wie ich beim Probieren derselben bekehrt werden könnten? „Zuallererst“, korrigiert mich die Ökotrophologin lachend, „möchten wir nicht bekehren, sondern Alternativen aufzeigen.“ Und derer drei hat sie uns heute zusammen mit duftiger Jasminreis-Beilage zubereitet.
Probiert und empfohlen: „Welches dieser Speisen würden Sie Erstbesuchern wie mir empfehlen?“, will ich zu Beginn wissen. Tu zeigt auf eine Schale, von der aus mich ein allzu bekanntes Gericht anlächelt: die Ente (12,80 Euro). Hier jedoch als Seitan-Variante, knusprig frittiert auf Brokkoli, Möhren und Zwiebeln in Erdnuss-Soße. „Das Gericht lebt von der Soße“, erklärt die 49-jährige Köchin, da die Ente nur leicht mariniert sei und relativ neutral schmecke. Das kann ich bestätigen, bin indes über die originalgetreue Konsistenz erstaunt. Die Erdnusssoße und das Gemüse sind gefällig, jedoch nicht hervorragend. „Für meinen Geschmack dürfte es pfeffriger sein“, zeigt sich die Taiwanesin kritisch, allerdings würden Gäste bei ihren Schärfevorlieben Sturm laufen.
„Die, die gerne Seafood-Gerichte essen, finden diese Tintenfischringe genial“, schickt Tu beim Anblick der nächsten Speise, Calamaris mit Thai-Curry (12,80 Euro), voraus. Wie kriegt man Tintenfischringe bitte schön imitiert, frage ich mich und lese später auf der Karte etwas von Konjak, Johannisbrotkernmehl, Süßkartoffelmehl und Algenextrakt. Und so wie die Mixtur mich an die Hexenküchen-Szene in Faust erinnert, erinnern die knusprig panierten Tintenfischringe sehr stark an die „Originalen“. Für die Veganerin sind diese sogar noch besser, weil sie aufgrund ihrer Herstellung nie gummiartig schmecken könnten. Bei so viel freilich naheliegenden Fleischvergleichen sollten die Nebendarsteller zuweilen nicht vergessen werden, was in diesem Fall sträflich wäre. Das mit Paprika, Möhren, Zwiebeln und süßem Basilikum bereitete Thai-Curry ist nämlich äußerst delikat, wenn auch Momente zu bitter.
„Gute Löwenköpfe müssen mit Stäbchen kleinzukriegen sein“, erklärt die Expertin vor dem finalen Gericht. Hinter den hier angebotenen „Löwenköpfen“ mit frischen Shiitake-Pilzen, Süßkartoffeln und Möhren (12,80 Euro) verbergen sich nämlich typisch chinesische Fleischklopse. Mein Konsistenzcheck hält dem ersten Qualitätskriterium schon mal stand: die Bällchen sind leicht zerteilt und verschwinden schnell im Mund. Ich bin perplex. „Die sind dem Original sehr ähnlich, nicht wahr?“, stellt die Küchenchefin mit einem wissenden Lächeln fest. Ja, aber so was von, denke ich mir. Dieses fluffige, zimtig-aromatische Klopse-Imitat beeindruckt mich, was von der an sich soliden Ingwer-Reiswein-Sauce leider nicht behauptet werden kann. „Bei dem Gericht muss man schon Anis mögen“, kommentiert Tu die hier fairerweise nicht gerade sparsame Verwendung der Gewürzpflanze. Man muss aber auch Süße mögen, sage ich, woraufhin prompt die Bestätigung folgt: „Ja, die Süßkartoffeln haben zu viel Süße mit reingegeben.“
Der Gruß aus der Küche: Auswärts isst Tu gerne bei Ramen Maneki in der Wache 6, wo sie die veganen Nudelsuppen schätzt und deren „Miso-Base” sehr gut nach traditionell japanischer Art hergestellt ist. Wenn es mal nicht asiatisch sein soll, kehrt sie häufig im Steintor bei Herr Schaefer ein, wo sie sich bei der wechselnden Speisekarte gerne überraschen lässt.
Weitere Informationen
Vegefarm Restaurant, Hamburger Straße 45, 28205 Bremen, Telefon 04 21/70 86 96 60, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 12 bis 23 Uhr, Sonntag von 17 bis 23 Uhr, Montag geschlossen, nicht barrierefrei, www.restaurant.vegefarm.de