Zwischen zwei Bahnübergängen weit draußen im Nirgendwo wird an der Landwirtschaft der Zukunft getüftelt. Riepholm heißt das Fleckchen, das zur Stadt Visselhövede gehört und im Landkreis Rotenburg/Wümme liegt. Wenn es nach Nadia Bremer geht, sollen vom Riepholmer Modell-Acker, so nennt sie 25 Hektar ihrer Fläche, Impulse für eine Landwirtschaft ausgehen, die im Klimawandel bestehen kann. Schwarzkümmel, Linsen, Öllein oder Buchweizen baut Bremer hier an; Kulturen, die man an in dieser Gegend nicht erwartet.
Als „die Frau aus der Stadt“ bezeichnet sich Nadia Bremer schmunzelnd. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Bremen. Von Haus aus ist sie Diplom-Kauffrau, hat einen Masterabschluss in Nachhaltigkeitsmanagement. Jetzt macht sie Landwirtschaft. Vor zwei Jahren hat sie von ihrem Onkel einen Bauernhof in Riepholm geerbt, einen Familienbetrieb in sechster Generation. „Ich möchte den Hof und das kulturelle Erbe um jeden Preis erhalten“, sagt sie.
Es gibt leichtere Vorhaben. Der Klimawandel ist längst in Niedersachsen angekommen. Extrem trocken waren die Jahre zuletzt, und wenn es doch Niederschläge gab, wie etwa 2021, dann als Starkregen, einem anderen Extrem. Wachsen Kartoffeln oder Rüben unter diesen Bedingungen in Zukunft noch so, wie man es seit Jahrhunderten kennt? Oder müssen die Landwirte umdenken?
Riepholmer Modell-Acker ist Praxisprojekt unter realen Bedingungen
Nadia Bremer denkt neu. Wachsen oder weichen, so heißt es in der Branche heute gern. Immer größere Flächen bewirtschaften, immer mehr Tiere halten – oder den Hof aufgeben, bedeutet das. Wachsen oder Nische, diese Frage hat sich Bremer gestellt. Und beantwortet. Mit Nische. Sie betreibt Ökolandbau. „Wir wollen Kulturen finden, die für die klimatischen Veränderungen gewappnet sind“, sagt sie. Dafür gibt es jetzt den Riepholmer Modell-Acker.

„Ich möchte den Hof und das kulturelle Erbe um jeden Preis erhalten“, sagt Nadia Bremer.
In den nächsten zehn Jahren will Bremer hier verschiedene Kulturen anbauen, sieben sind es im Moment. Eine Schaufläche von fünf Hektar Größe wandert dabei von Jahr zu Jahr übers Gesamtfeld. Das Besondere am Modell-Acker: Bremer lässt sich bei ihrer Arbeit von den Menschen, die es interessiert, über die Schulter schauen. Parzellengröße, Saatzeitpunkt, Aussaatstärke, Düngebedarf oder Ertragserwartung werden regelmäßig im Internet unter www.modell-acker.de dokumentiert. Der Riepholmer Ansatz ist eine Art Experimentierlabor unter freiem Himmel, ein Praxisprojekt unter realen Bedingungen.
Einen „Meilenstein für den Ökolandbau“ nennt Yuki Henselek das Projekt, „einzigartig in seiner Art“. Henselek ist Geschäftsführerin des Bioland-Landesverbandes Niedersachsen/Bremen. Bioland gehört zu den Partnern von Bremer, begleitet das Projekt praktisch und wissenschaftlich. Außerdem hat sich Bremer im benachbarten Bioland-Betrieb Wilkens einen weiteren Verbündeten gesucht. Die Kosten für das Projekt belaufen sich auf 15.000 Euro pro Jahr, gedeckt durch Sponsorengelder.
Hier draußen, direkt an der Bahnlinie Visselhövede-Uelzen, gibt es Felder, soweit das Auge reicht, dazwischen vereinzelt Bauernhöfe. Bis in den Ortskern von Visselhövede sind es rund vier Kilometer zu Fuß. Ein Bauer ist an diesem Tag mit seinem Trecker bei der Arbeit. Sonst sind es vor allem Spaziergänger mit Hunden oder Wanderer, die in der Gegend unterwegs sind.
Der Riepholmer Modell-Acker liegt am Nordpfad Riepholm-Gilkenheide. Die preisgekrönten Nordpfade, 24 Rundwanderwege im Landkreis Rotenburg, sind äußerst beliebt. Immer wieder, sagt Bremer, seien Wanderer und Spaziergänger zu ihr gekommen und hätten gefragt: Was wächst denn hier? Was kann man hier überhaupt anbauen?

Die Lage des Riepholmer Modell-Ackers ist ideal: Er ist Teil des beliebten Nordpfad-Wanderweges Riepholm-Gilkenheide.
Antworten darauf gibt jetzt ein Lehrpfad mit elf Infotafeln, die entlang des 800 Meter langen Grasweges zwischen den beiden Bahnübergängen in den Boden gerammt sind. Die Schilder erklären, was es mit diesem Ort und ganz generell mit Buchweizen, Öllein oder Sonnenblumen auf sich hat, was Fruchtfolgen sind, welche Funktionen eine Blühwiese hat und was gemeint ist, wenn in der Landwirtschaft von einem „Knick“ auf dem Feld die Rede ist. (Antwort: Es sind Baum- und Strauchhecken, 814 Meter Hecke sind es auf Bremers Äckern).
„Wir stellen fest, dass sich immer mehr Menschen für Ernährung interessieren, dass sie wissen wollen, woher ihr Essen kommt“, sagt Henselek, „wir stellen dabei aber auch fest, dass das Wissen über die Landwirtschaft, über die Herstellung und Verarbeitung der Produkte häufig fehlt. Dafür ist der Modell-Acker wichtig: Wir möchten Landwirtschaft und besonders den Ökolandbau für die Bevölkerung erfahrbar machen, Landwirtschaft und Gesellschaft wieder stärker verbinden, denn nur gemeinsam lassen sich die Herausforderungen der Zukunft meistern.“
Nadia Bremer ist gerade dabei, ihren beruflichen Übergang zur Landwirtschaft zu vollziehen. Bis Oktober 2021 hat sie den geerbten Betrieb als Nebenerwerbshof geführt, jetzt macht sie es hauptberuflich. Im März hat sie sich mit einem anderen Landwirt aus Riepholm zu einer GbR zusammengeschlossen. Sechs Rinder leben inzwischen wieder auf dem Hof, auf dem der Vater, der in der Nachbarschaft wohnt, regelmäßig nach dem Rechten schaut, wenn die Tochter bei ihrer Familie in Bremen ist.
Sie habe viel gelernt, seitdem sie den Hof übernommen habe, sagt Bremer. Zum Beispiel, wie unkalkulierbar das Geschäft sein kann. 2021, sagt sie, hätten sie endlich wieder eine gute Heuernte gehabt. Aber dann sei die Scheune mit dem Heu beim starken Regen abgesoffen. Aber sie will sich von so etwas nicht unterkriegen lassen. „Das Höfesterben in der Landwirtschaft macht mich traurig“, sagt sie, „aber gleichzeitig motiviert es mich auch wahnsinnig, diesen Hof zu halten.“ Dafür lässt sie sich was einfallen. Den Modell-Acker zum Beispiel.