Der helle Ohrensessel ist ihr Lieblingsplatz im Wohnzimmer. Doch für seine Aufnahme bittet der Fotograf die Bremer Frau des Jahres 2022 lieber auf das rote Biedermeiersofa. Das Erbstück wird wertgeschätzt und war ebenso wie Hiltrud Lübben-Hollmann für viele Menschen ein verlässlicher Halt.
"Mund halten", entfährt es der humorvollen 83-Jährigen leise schmunzelnd, als sie präzise Anweisungen erhält. "Viele Jahre des Lebens habe ich das sehr gut gelernt." Sie sei nicht so die "Frontfrau", sagt die ruhige und zufrieden wirkende Hastedterin von sich. Dennoch hat die Frau der leisen Töne jahrzehntelang beharrlich ihre Stimme für sozial benachteiligte Frauen erhoben – als Gewerkschafterin, Sozialpädagogin, Quril-Mitbegründerin und Stifterin. Vor allem dafür, dass Frauen durch eine Berufsausbildung finanziell unabhängig werden.
Tun, was wichtig und nötig ist
"Ich muss immer tun, was wichtig und notwendig ist", formuliert Hiltrud Lübben-Hollmann ihren inneren Antrieb. "Wenn das auf dem offiziellen Weg nicht geht, muss ich gucken, wie das gelingt und wen ich dafür begeistern kann." Dieser Devise ist sie auf ihrem Lebens- und Berufsweg konsequent gefolgt.
Den Grundstein für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Zusammenhalt als wichtige Werte haben ihre Großeltern gelegt, bei denen sie aufgewachsen ist. "Von ihnen kam immer wieder der Hinweis: Demokratie lebt nicht vom Grundgesetz, sondern dadurch, dass wir uns selbst einbringen", erinnert sich Hiltrud Lübben-Hollmann. "Die Nachkriegszeit hat mich geprägt."
Wohnraum und Nahrung waren knapp. Viele Flüchtlingsfamilien aus Ostpreußen und Schlesien wurden im Emsland angesiedelt. Da habe ihre Großmutter sie angehalten, das nebenan zugezogene Mädchen einzuladen, um ein kleines Kälbchen anzuschauen, erzählt sie. "Und im ganzen Dorf wurde versucht, an der Integration zu arbeiten", sagt sie mit Blick auf ein paritätisch besetztes Theaterensemble.
Zu angepasste Frauen
Schon damals mochte sich die stets Gerechtigkeit anstrebende Hiltrud mit der Rolle der zur Zurücknahme, mit ihren Worten "zu ewiger Manövriermasse" erzogenen Frau nicht abfinden: "Das ging mir so nahe." Als 19-Jährige ging sie nach Wuppertal an die DRK-Krankenschwesternschule, arbeitete einige Jahre in dem Beruf und wollte dann Sozialarbeit studieren. So kam Hiltrud Lübben-Hollmann 1986 nach Bremen, übernahm "im großen Krankenhaus" Tagdienste und studierte abends an der Fachhochschule.
Doch alsbald begann eine lange, schwere Zeit für sie. Sie erkrankte sehr schwer und verbrachte vier Jahre mit Unterbrechungen in Heilstätten. "Lernen hat mir immer sehr großen Spaß gemacht", betont die willensstarke 83-Jährige und hat nie damit aufgehört. Die ehrgeizige Optimistin wollte alle Prüfungen bestehen. Daraus schöpfte sie Kraft und Zuversicht. Mit Durchsetzungskraft und dank unkonventioneller Lösungen konnte Hiltrud Lübben-Hollmann die ihr in den Weg gelegten Steine beiseite schaffen.
Bei ihrem Berufsstart 1972 in einem sozialen Brennpunkt im Bremer Westen hat sich die examinierte Sozialarbeiterin von Anfang an ein Netzwerk aufgebaut. Ein zu dritt entwickeltes Konzept zur Arbeitsgruppenbildung sei in eine Anordnung für alle Sozialarbeiter der Stadt gemündet, berichtet sie von ihrem ersten Vorstoß. "Es hat unterschiedlich gut funktioniert, aber war das, was die Arbeit dringend brauchte."
Dieser Anstoß ist ihr zufolge Jahre später in die Neuorganisation der Sozialen Dienste gemündet. Danach leitete Lübben-Hollmann den Fachbereich für Erwachsene, auch mit Behinderungen. Der Aufbau eines völlig neuen Arbeitsbereichs habe sie gereizt, bekennt sie, auch als aktive Gewerkschafterin. Weil sie auf Kommunikation und Teamgeist setzt, fand Lübben-Hollmann viele Gleichgesinnte in Bremen, die die kompetente Fachkraft bis heute sehr schätzt.
Zuvor hatte sie mit alleinerziehenden Müttern im Westen der Stadt zusammengearbeitet, zumeist mit mehreren Kindern. "Sie waren über Generationen hindurch gewöhnt, staatliche Transferleistungen zu beziehen", sagt Hiltrud Lübben-Hollmann. Schnell kam ihr der Gedanke, ihnen über die engmaschige Betreuung hinaus niedrigschwellige berufliche Bildungsangebote zu machen. Ihr Selbstbewusstsein fördern und finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen, war das Ziel.
Lübben-Hollmann war 1986 Mitbegründerin des Vereins Quirl in Walle. Er machte ihren Klientinnen Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote in den Breichen Kochen und Nähe und bot parallel dazu eine Kinderbetreuung. "Wir müssten die Frauen da abholen, wo sie stehen", betont die bis zur finanziell bedingten Auflösung des Vereins 2014 ehrenamtlich tätige Vorstandsfrau. Die Mutmacherin dieser Frauen ist stolz darauf, dass die Quirl-Kinderhäuser weiter bestehen. "Sie glauben es ja nicht", weist die 83-Jährige mit unbändigem Freudestrahlen im Gesicht darauf hin, dass es Klientinnen oder ihre Töchter auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben. Weil ihr diese Frauen so sehr ans Herz gewachsen sind, hat Hiltrud Lübben-Hollmann eine Stiftung zur Frauenförderung gegründet.