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Übernimmt der Staat das Erbe eines Toten, regelt Helga Klemp von der Finanzbehörde die letzten Dinge Sie kümmert sich um den Nachlass

Im vergangenen Jahr waren es 148 Fälle, in denen Bremen nach dem Tod eines Menschen das Erbe übernommen hat. Entweder gab es keine Angehörigen mehr oder sie wollten mit dem Erbe, das auch Schulden bedeuten kann, nichts zu tun haben. Helga Klemp ist die Frau in der Finanzbehörde, die sich um das sogenannte Fiskalerbe kümmert. Sie holt den Nachlass rein.
10.04.2014, 00:00 Uhr
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Sie kümmert sich um den Nachlass
Von Jürgen Hinrichs

Im vergangenen Jahr waren es 148 Fälle, in denen Bremen nach dem Tod eines Menschen das Erbe übernommen hat. Entweder gab es keine Angehörigen mehr oder sie wollten mit dem Erbe, das auch Schulden bedeuten kann, nichts zu tun haben. Helga Klemp ist die Frau in der Finanzbehörde, die sich um das sogenannte Fiskalerbe kümmert. Sie holt den Nachlass rein.

Die Wohnung liegt still in der Frühlingssonne. Auf dem Balkon ein Sack Erde zum Pflanzen, Töpfe und allerlei Gerät. Sie würde jetzt loslegen können, unwahrscheinlich, dass es noch einmal Frost gibt. Nur dass sie es nicht mehr kann. Die Frau ist tot, gestorben, weil sie krank war. Aus dem Leben gerissen, wie man sagt, denn der Tod kam überraschend schnell und sehr früh, die Frau ist nur 54 Jahre alt geworden. Was sie hinterlassen hat, auf dem Balkon, in den drei Zimmern, im Bad und in der Küche fällt mangels anderer Erben an den Staat, in diesem Fall an Bremen. Es ist ein sogenanntes Fiskalerbe.

Helga Klemp geht von Raum zu Raum und taxiert, was von der Einrichtung und dem Inhalt der Schubladen noch zu verwenden wäre. Der Schrank im Schlafzimmer eher nicht, obwohl er gut erhalten ist. „Den müsste man abbauen und wieder aufbauen, und das Gleiche noch mal, wenn er nach der Auktion den Besitzer gewechselt hat“, sagt die Finanzbeamtin. „So gut ist der Schrank auch wieder nicht, dass er das aushält.“ Anders die Möbel im Wohnzimmer. Dunkles, schweres Holz, schöne Verzierungen, ein bisschen antik fast und im Ganzen zu transportieren – „das wird bei der Versteigerung sicher gut weggehen“.

In der Küche stehen Waschmaschine und Trockner, beides wie neu. Der Kühlschrank ist auch noch topp und hat reichlich geladen: Wein, Saft, eingepackte Lebensmittel. Überhaupt sieht es so aus, als hätte die Frau zu leben gewusst. „Sie hat gut und gerne gekocht“, sagt Klemp. Und nicht nur das. An der Pinnwand im Flur hängen alte Konzertkarten, eine von Konstantin Wecker, ein Auftritt vor drei Jahren.

Was vom Leben übrig bleibt – Klemp sichtet und sortiert, sie sucht nach Geld, Wertsachen und Papieren. Sie stöbert bei einer fremden Person, die nicht mehr da ist. „Manchmal denke ich, es wäre toll gewesen, den Menschen gekannt zu haben.“ Es ist eine vage Vorstellung, die sich in ihr zusammenbaut, sie muss nicht stimmig sein, Klemp weiß das: „Ich durchschreite das Leben eines Unbekannten und bringe meine eigenen Bilder mit.“

Am Ende heftet sie dieses Leben ab, auch das der Frau, die im Januar starb und von ihren Angehörigen beerdigt wurde. Das Erbe hatten sie abgelehnt. Vielleicht, weil sie nicht viel erwarten konnten oder gar mit einem Minus rechnen mussten. Wer Schulden erbt oder andere Verpflichtungen, muss sie übernehmen.

Ein Risiko, das erledigt ist, sobald der Staat auf den Plan tritt. Ihm fällt dann allerdings auch die gesamte Hinterlassenschaft zu, egal, was noch gefunden wird – teurer Schmuck, eine seltene Uhr oder ein wertvolles Gemälde. Ansprüche anmelden können von nun an nur noch solche Angehörigen, von denen vorher nichts bekannt war.

Helga Klemp macht den Job seit 13 Jahren. Sie hat in dieser Zeit fast 2000 Fälle bearbeitet. Immer fängt es so an, dass die Gerichte entscheiden, wenn keine Erben ermittelt wurden. Sie überlassen die Angelegenheit einem Nachlasspfleger oder bestimmen, dass der Staat erbt und die letzten Dinge regelt.

Schauen, was da ist: Bares oder Geld auf dem Konto, Dinge von Wert. Kommt genug zusammen, werden zunächst einmal die Beerdigungskosten beglichen, sofern sie nicht von den Angehörigen übernommen wurden. Ist noch etwas übrig, dürfen sich mögliche Gläubiger bedienen, der Vermieter zum Beispiel. Irgendwann löst Klemp dann die Wohnung auf, und wenn sie damit fertig ist, ganz zum Schluss, hat sie ein Leben aufgelöst.

Für Bremen ist das Fiskalerbe in der Regel ein gutes Geschäft. Abzüglich aller Kosten, auch die der Verwaltung, sind in den vergangenen Jahren bei jeweils mehr als 100 Fällen mal rund 100 000 Euro, mal aber auch knapp 400 000 Euro übrig geblieben. Das Jahr 2009 war ein Ausreißer. Deutlich mehr Fälle als sonst, ein hoher Aufwand und niedrige Einnahmen. Das Ergebnis: Rund 13 000 Euro im Minus.

Einen Schatz hat Helga Klemp beim Stöbern noch nicht gefunden. Eher im Gegenteil: „Sie glauben gar nicht, wie viel Einsamkeit und Armut es gibt.“ Oft sind es gebrochene Biografien. Menschen, die im Beruf standen, genug Geld hatten und was man sonst braucht. Die plötzlich krank wurden oder arbeitslos, vielleicht beides, sich nicht mehr halten konnten. Die abgestürzt sind.

Klemp hat mit Schicksalen zu tun und bewahrt sie auf. „Ein Tick von mir“, sagt sie und lacht. Im Keller liegen Akten, die längst nicht mehr benötigt werden, weil die Frist, in der sie aufbewahrt werden müssen, abgelaufen ist. Schreddern? „Nur wenn kein Platz mehr ist“, sagt Klemp.

Sie zieht eine Kladde aus dem Schuber, Unterlagen über eine Frau, die 1948 in Bremerhaven gestorben ist. Die Behörde hat notiert, was im Nachlass war: 2,80 Mark, damals noch Reichsmark, Mantel (defekt), Kleid, Schürze, Hemd, Strickjacke, Pantoffeln (defekt).

Was vom Leben übrig bleibt.

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