"Boris, spielst Du Gitarre? Alina, singst Du gerne?" Lehrerin Oksana Shuliarenko hat ihre kleine Klasse zum Sitzkreis versammelt und stellt der Gruppe Fragen auf Deutsch. Die Jugendlichen antworten, aber meist nur halblaut. Sie verstehen schon vieles in der neuen Sprache. Aber wenn es gilt, selbst Deutsch zu sprechen, sind sie noch zögerlich. Im Alltag verständige er sich momentan noch meist auf Englisch, sagt etwa der 15-jährige Artem.
In Gröpelingen gibt es seit dem Frühjahr die erste Schule in Bremen, an der ausschließlich ukrainische Kinder unterrichtet werden: Willkommensschule Ohlenhof heißt sie. Zum Schuljahresbeginn wurde eine zweite Willkommensschule in Hastedt eröffnet. Der Standort Ohlenhof wurde Ende April gegründet – zuerst mit 50 Kindern, erzählt Schulleiterin Anna Heider. Inzwischen hat sich die Zahl verdreifacht, 150 Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 16 Jahren gehen hier zur Schule.
25 Stunden Sprachkurs pro Woche
Die Willkommensschule nutzt ältere Mobilbauten auf dem Gelände einer Gröpelinger Grundschule. Zuvor wurden diese Container von der benachbarten Oberschule Ohlenhof genutzt, die inzwischen in einen Neubau umgezogen ist. Die Kinder lernen 25 Stunden pro Woche Deutsch, 15 weitere Stunden haben sie Fachunterricht in ihrer Muttersprache: Mathematik, Naturwissenschaften und Sport werden auf Ukrainisch unterrichtet. Das ist möglich, weil ein Großteil der Lehrkräfte, die hier arbeiten, selbst aus der Ukraine kommt. Auch Lehrerin Shuliarenko ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Sie wechselt im Unterricht zwischen Deutsch und Ukrainisch hin und her und kann Grammatikregeln in ihrer Muttersprache erläutern.

Anna Heider leitet die Willkommensschule am Ohlenhof in Gröpelingen. Hier gehen 150 Kinder zur Schule, der Standort ist auf die Klassen 5 bis 10 ausgerichtet.
Zehn Kinder sind an diesem Tag da und üben Fragen stellen, Vokabeln rund um das Thema Schule und den richtigen Gebrauch des Akkusativs. Oksana Shuliarenko nutzt ihr Lehrer-IPad, um das Hörverständnis zu trainieren. Eine Stimme nennt verschiedene Begriffe auf Deutsch. Die Schüler sollen in die Hände klatschen, wenn Wörter fallen, die Schulsachen beschreiben: "Das Pferd – der Bleistift – der Orangensaft – die Schere", tönt es aus dem Tablet. Die Jugendlichen hören konzentriert zu, viele Begriffe hören sie schon sicher heraus.
"Alle wollen zurück"
Die Motivation zum Deutsch lernen ist für viele aber auch von einem Zwiespalt geprägt, das schildert die Schulleiterin ebenso wie die Deutschlehrerin. "Es ist schwer für die Schülerinnen und Schüler, hier Normalität zu spielen, wenn ihr Land gerade in Schutt und Asche gelegt wird", sagt Anna Heider. "Alle wollen zurück in die Ukraine, aber jetzt ist es dafür noch zu früh, es ist noch zu gefährlich", sagt Oksana Shuliarenko.

Tablets kommen hier im Sprachkurs ständig im Einsatz – zum Beispiel bei einer Übung zum Hörverständnis mit einem deutschen Lied.
Wie sehr lohnt es sich für die Jugendlichen, die Sprache zu lernen, wenn unklar ist, wie lange sie hierbleiben? "Vor den Sommerferien haben manche gesagt, wir fahren bald wieder zurück, wir wollen nicht Deutsch lernen", schildert Shuliarenko. Inzwischen seien viele motiviert, die Sprache zu sprechen. "Wir sagen ihnen: Deutsch ist kein Koffer, den ihr tragen müsst, das könnt ihr im Kopf mitnehmen", sagt sie. Auch für das Arbeitsleben in der Ukraine könne es nützlich sein, Deutsch zu lernen, argumentiert die Lehrerin. Sie selbst hat vor dem Krieg in der Ukraine Deutsch studiert. "Es war immer mein Traum, nach Deutschland zu gehen – aber nicht wegen eines Krieges", sagt die 44-Jährige.
Dankes-Botschaften im Flur
Sie betont mehrmals, wie dankbar sie und ihre Schüler seien, dass sie hier sind, dass Bremen die Geflüchteten aufnahm, dass es diese Schule gibt. Auf Initiative von ukrainischen Lehrkräften im Kollegium gab es in der Willkommensschule kurz vor den Sommerferien ein Fest, bei dem viele Kinder und Lehrer ihre Dankbarkeit ausdrückten, sagt Schulleiterin Heider. Der Eingangsbereich der Schule zeugt noch davon: Dort hängen Luftballons und viele handgemalte Bilder. "Danke!" und "Die Ukraine liebt Deutschland" ist darauf zu lesen. Schüler haben Blumen gemalt und Dankes-Botschaften mit bunten Handabdrücken verziert.

Im Eingangsbereich der Willkommensschule haben Schüler und Lehrer auf vielen Bildern ihre Dankbarkeit ausgedrückt, dass sie in Bremen aufgenommen wurden.
"Für den Anfang, um Deutsch zu lernen, ist diese Schule sehr gut", sagt Schülerin Alisa. Drei Jugendliche aus der Klasse werden nun an eine reguläre Bremer Oberschule wechseln. "Viele Kinder hier wollen gerne auf eine deutsche Schule gehen", sagt die Lehrerin. In den Räumen der Willkommensschule hören sie Deutsch bislang nur von ihren Lehrkräften.
Krieg ist im Klassenzimmer präsent
Oksana Shuliarenko kann hier gut auf die Situation ihrer Schüler eingehen. Sie weiß selbst, wie es sich anfühlt, wenn man vor dem Krieg fliehen muss. Und der Krieg ist auch immer wieder plötzlich präsent im Klassenraum, erzählt die 44-Jährige: "Viele Themen sind sehr schwierig", sagt die Lehrerin. "Wir sprechen über das deutsche Essen, das für die Kinder sehr interessant ist, über Kartoffelsalat zum Beispiel. Und dann sprechen wir über ukrainisches Essen, und ein Kind fängt auf einmal an zu weinen, weil es seine Heimat vermisst." Vermintes Gelände also, fast überall. Zum Beispiel, wenn sich die Frage stellt, ob die Klasse eine Dokumentation zum Zweiten Weltkrieg ansehen will, die viele zerstörte Häuser zeigt. Und auch bei vermeintlich harmlosen Themen: "Wir sprechen im Deutschkurs über das Thema Familie", sagt Shuliarenko. "Aber manche Kinder in meinen Klassen haben ihre Eltern verloren. Ich frage einen Schüler nach seinem Vater, und dann sagt er: ,Mein Vater ist an der Front gestorben.'"