Die Zahl ukrainischer Schülerinnen und Schüler ist drastisch gestiegen – und könnte noch weiter steigen: Wie sich die Situation momentan darstellt und was Bremen tut, um den Kindern und Jugendlichen einen Schulbesuch zu ermöglichen.
Wie viele ukrainische Kinder und Jugendliche sind im Land Bremen schulpflichtig?
Zu Beginn der Osterferien waren rund 2000 ukrainische Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter im Land Bremen angekommen. Von ihnen haben sich bislang knapp 800 für einen Schulplatz gemeldet. Weil zunächst einmal die Schuluntersuchungen anstehen, besuchen aber erst rund 520 von ihnen die Schulen in der Stadt Bremen. Das Land rechnet derzeit damit, dass insgesamt bis zu 2500 ukrainische Schülerinnen und Schüler kommen könnten. Bis zu den Sommerferien verzichtet Bremen wie alle anderen Bundesländer auf die Durchsetzung der Schulpflicht.
Reichen die Kapazitäten an den Schulen?
Nicht mehr. Bisher sollten alle ukrainischen Kinder in den Schulen einen Vorkurs besuchen und am besten gleichzeitig am Regelunterricht teilnehmen. Angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen weicht die Stadt jetzt aber von diesem Kurs ab. Als Ergänzung zum regulären Unterrichtsangebot werden sogenannte Willkommensklassen eingerichtet. Geplant sind sie vorerst für ein Jahr. "Das hilft uns in der Übergangszeit, wir wollen aber versuchen, so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich in das Regelsystem zu bekommen", so der designierte Bildungsstaatsrat Torsten Klieme kürzlich in der Deputation für Kinder und Bildung.
Sind die Willkommensklassen an die Regelschulen angegliedert?
Nein. Aus mehreren Willkommensklassen sollen sich Willkommensschulen an zentralen Standorten bilden. "Die Schülerinnen und Schüler der Willkommensklasse besuchen ausschließlich diese Klasse in der neuen Schule und sind nicht an eine Regelklasse angebunden", sagt Maike Wiedwald, Sprecherin des Bildungsressorts.
Wo sind die ersten Willkommensklassen beheimatet?
Die ersten fünf Willkommensklassen haben einen Mobilbau auf dem Gelände der Grundschule am Halmerweg in Gröpelingen bezogen. Diese Klassen bilden eine eigenständige Schule mit Anna Heider als kommissarischer Schulleiterin. Die 54-Jährige ist stellvertretende Schulleiterin der Oberschule Borchshöhe in Vegesack. Derzeit gibt es an der Schule eine Verwaltungskraft und sechs ukrainische Lehrkräfte, drei von ihnen sprechen Deutsch.
Gilt das neue Angebot für alle ukrainischen Schulkinder?
Nein. Für Grundschüler sind die Willkommensklassen nicht gedacht, sie sollen weiterhin Vorkurse besuchen und nach Möglichkeit am Regelunterricht in wohnortnahen Grundschulen teilnehmen. In den ersten Willkommensklassen in Ohlenhof werden ausschließlich elf- bis 16-Jährige der Jahrgänge 5 bis 10 unterrichtet – grob nach Jahrgangsstufen sortiert, sagt Schulleiterin Heider. Es gebe aber auch altersgemischte Klassen. Vor allem Kindern und Jugendlichen aus Sammelunterkünften bietet die Schule laut Heider einen sicheren Rahmen. "Sie empfinden als Geschenk, unter Ukrainern zu sein."
Was bezwecken die Willkommensklassen?
Die Willkommensklassen sollen erste Deutschkenntnisse vermitteln. "Sie sind dafür gedacht, ein erstes Ankommen und Eingewöhnen zu ermöglichen", sagt Maike Wiedwald, Sprecherin des Bildungsressorts. Doch es gibt noch ein wichtiges zweites Standbein: Den Kindern und Jugendlichen sollen die Gelegenheit erhalten, das abgebrochene ukrainische Schuljahr zu Ende zu bringen. Um das zu erreichen, kooperieren die Willkommensklassen eng mit der ukrainischen Online-School. Alle wichtigen Fächer werden unterrichtet. So sollen die Schüler einen regulären ukrainischen Abschluss machen können.
Warum wurde Ohlenhof als Standort gewählt?
Der Mobilbau war nach Fertigstellung des Neubaus für die Oberschule Ohlenhof gerade frei. Nach Angabe der Bildungsbehörde eine gute Chance, die verwaisten Räume für die Einrichtung der Willkommensschule zu nutzen. Zum Start in der vorvergangenen Woche kamen 53 Schülerinnen und Schüler. Theoretisch könnten bis zu 300 ukrainische Kinder und Jugendliche aufgenommen werden. Dieses Potenzial will die Behörde aber nicht ausschöpfen.
Sind noch weitere Willkommensschulen geplant?
Ja. Ein zweiter Standort ist an der Stresemannstraße geplant, dabei handelt es sich um das ehemalige Telekom-Gebäude. Zwei pensionierte Schulleiterinnen wollen die Leitung übernehmen, sagte der designierte Bildungsstaatsrat Torsten Klieme kürzlich in der Deputation für Kinder und Bildung. Als weiterer Standort sei der Mobilbau an der Grundschule Baumschulenweg vorgesehen, dieser steht aber erst nach den Sommerferien zur Verfügung. In Bremen-Nord wird ein weiterer potenzieller Standort geprüft.
Braucht Bremen mehr ukrainische Lehrkräfte?
Auf jeden Fall. Bislang beschäftigt Bremen 13 ukrainische Lehrkräfte, drei weitere stehen kurz vor der Einstellung. Insgesamt haben sich bisher 41 ukrainische Lehrkräfte gemeldet. Nach Rechnung der Bildungsbehörde werden aber für 1000 Schülerinnen und Schüler rund 60 Lehrkräfte benötigt. Bei einer erwarteten Zahl von 2500 Kindern und Jugendliche müssten demnach 150 Lehrkräfte bereitstehen – dreimal so viele wie vorhanden. "Deshalb wird es noch eine zweite Ausschreibung geben", sagt Ressortsprecherin Wiedwald.
Gibt es Zahlen zu traumatisierten Kindern?
Nein. Der Behörde stellt sich aber auf ukrainische Kinder und Jugendliche ein, die durch Kriegserlebnisse traumatisiert sind. "Wenn Kinder eine psychologische Hilfe benötigen, bemühen wir uns darum, möglichst schnell eine Unterstützung zu organisieren", sagt Wiedwald. Das Problem sei, ukrainisch- oder russischsprachige Fachleute zu finden. Die Schulen arbeiten mit Traumapädagogen zusammen, zusätzlich lassen sich Lehrkräfte beraten. Auch die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren sind für das Thema sensibilisiert.