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Serie: Weniger ist mehr Social-Media-Verzicht: Was bewirkt eine Woche ohne Instagram und Co.?

Soziale Netzwerke gehören zum Alltag von Elias Fischer, doch sie rauben Zeit. Eine Woche verzichtete der WESER-KURIER-Volontär in einem Selbstversuch auf Instagram, Whatsapp und Co. Wie hat es sich angefühlt?
20.12.2023, 05:00 Uhr
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Social-Media-Verzicht: Was bewirkt eine Woche ohne Instagram und Co.?
Von Elias Fischer

Wenn mich Menschen auf mein Verhältnis zu sozialen Medien ansprachen, schwadronierte ich noch vor einigen Wochen gerne rum. Instagram, X, Whatsapp und Co. seien "Fluch und Segen zugleich". Social Media böten schnellen Austausch, Meinungsvielfalt, Nachrichtenfülle und Unterhaltung. Gleichzeitig ärgerte ich mich zunehmend über mein Konsumverhalten: zielloses Aufsaugen unheilschwangerer Kommentare auf X, belanglose Schreiberei über Whatsapp oder ewiges Gaffen von Videos auf Instagram, bis die Augen viereckig sind. Zeit, meinen Ärger zu beseitigen, nahm ich mir wenig. Umso neugieriger war ich, als feststand, dass ich für den WESER-KURIER einen Selbstversuch starten soll. Eine Woche, in der ich gänzlich auf soziale Medien verzichten und mich fragen sollte: Wie viel Fluch und wie viel Segen bedeuten sie für mich?

Die Vorbereitung auf den Selbstversuch

Am Abend vor dem Detox, also dem "entgiftenden" Verzicht, liege ich im Bett und möchte die Social Media-Apps von meinem Handy löschen. "Warum eigentlich, wenn ich sie bloß für sieben Tage nicht nutzen darf?", frage ich mich. "Gute Vorbereitung", rede ich mir ein. "Wissen um mangelnde Selbstdisziplin", gestehe ich mir ein. Verwandlung dank Verzicht. Es fühlt sich ganz nach einem Neujahrsvorsatz an.

Doch wie an den Tagen zwischen den Jahren, kurz vor der Selbstoptimierung, gebe ich mich "ein letztes Mal" den alten lasterhaften Gewohnheiten hin. Über E-Bass-Solos und selbst gebastelte Instrumente lande ich auf einem Instagram-Profil, dessen User Samples in Rapsongs aufdeckt und mich fesselt. Zwei Stunden später endet meine Reise durch die verzweigten Gänge des sozialen Mediums, das ich wie die übrigen auch danach endlich lösche.

Tracking der Bildschirmzeit

In dem Monat vor meinem Verzicht hatte ich zwischen 162 und 701 Minuten pro Woche am Smartphone in sozialen Medien verbracht. Auweia. Etwas mehr als 20 Minuten täglich seien vertretbar, dachte ich. Die kämen schnell zusammen. "Aber 100 Minuten? Ist das noch normal, geschweige denn gesund?", fragte ich mich. Aus Interesse, ob mein Konsum überbordend ist, gehe ich am ersten Tag meines Selbstversuchs in die Bremer Innenstadt und befrage Menschen nach ihrem Nutzungsverhalten. Ich stelle fest: Viele Befragte verbringen mindestens genauso viel Zeit in den sozialen Medien wie ich, oft sogar mehr. Andererseits wissen viele von ihnen – anders als ich – sehr genau, wie lange sie sich täglich in den verschiedenen Apps aufhalten. Ich nehme mir vor, meine Bildschirmzeit nach dem Verzicht regelmäßiger zu beobachten.

Zumeist bewegte ich mich vor dem Detox auf Whatsapp, gefolgt von Instagram. Besonders die Dauer, die ich mit dem Messengerdienst zugange war, fand ich verblüffend. Sie überschritt regelmäßig eine halbe Stunde täglich. Während der Entgiftungswoche wird mir mehr und mehr bewusst, warum. Mein Umfeld und ich telefonieren selten noch klassisch, treffen uns nicht für alle Absprachen persönlich. Wir nutzen unter anderem die Video-Anrufe auf Whatsapp, tauschen Informationen oft schriftlich in Chats aus. "Segen", denke ich. Ich kann immer und überall auf der Welt reagieren und agieren, weil ich mein Smartphone ohnehin dabei habe.

Als ich auf Whatsapp verzichte, habe ich plötzlich den Eindruck, dass mein Umfeld auf mich verzichtet. Trotz meiner Ankündigung, nur über Mail oder Anrufe erreichbar zu sein, dringt wenig zu mir durch. "Aber ist es nötig, alles immer gleich zu erfahren oder mitzuteilen?", denke ich. "Es ist ein Fluch, ständig verfügbar sein zu müssen und es von anderen ebenso zu erwarten." Beinahe logisch merke ich, wie der Druck in der Woche meines Selbstversuchs nachlässt. Es fühlt sich angenehm an, bewusst Nachrichtenapps zu durchforsten, Menschen anzurufen, sich nach musikalischen Schätzen im Netz umzuhören.

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Sinnloses Entsperren

Die "Entgiftung" wirkt wohltuend. Ich spüre kein Verlangen danach, durch Social Media-Feeds zu scrollen oder Nachrichten einzutippen. Meine angeschlagenen Daumensehnen freut's. Ich weiche auch nicht auf Social Media-Apps im Browser aus. Aber ich stelle fest, wie routiniert ich im Alltag grundlos zum Smartphone greife. Egal, ob in der Bahn, beim Laufen oder sogar in Gesprächen. Weil ich aber meist nichts gezielt nachschauen möchte, fühle ich mich ertappt. Auf meiner nächsten Bahnfahrt beschließe ich, es überhaupt nicht zu nutzen. Ich genieße die Zeit. Zu wissen, dass ich jederzeit Langeweile mit meinem Smartphone überbrücken kann, ist ein "Segen". "Fluch", dass ich Besinnung nicht häufiger zulasse. Während meines Selbstversuches zücke ich immer seltener willkürlich mein Handy, meine Bildschirmzeit sinkt.

Ich bilde mir nach vier, fünf Tagen des Selbstversuchs ein, Aktivitäten wieder konzentrierter und befreiter zu erleben. Kopf ausschalten beim Sport, Texte mitrappen oder lästige Hausarbeiten schnell erledigen – all das scheint zu fluppen. Am Abend vor dem Social Media-Comeback bin ich optimistisch, dass der Weg zu einem besseren Umgang nicht mehr weit ist.

Aber bereits am ersten Tag danach stelle ich mir die Frage, wie ich meinen Konsum künftig kontrollieren will. Ein dauerhafter Verzicht kommt für mich nicht infrage – weder beruflich noch privat. Ich scheue mich einen Monat lang, die Social Media-Apps wieder zu installieren. Als ich es schließlich mache, fange ich rasch an, eingestellte Zeitlimits etwa für Instagram zu ignorieren. Auf Whatsapp texte mindestens genauso viel wie vor dem Versuch. "Verflucht, der bewusste Konsum ist Arbeit", denke ich. Gleichzeitig sei es ein Segen, dass mich Social Media von Zeit zu Zeit dazu zwingt, mein eigenes Nutzungsverhalten zu reflektieren; zu schauen, was mir guttut und was nicht. Eine Woche später fange ich an, meinen Feed aufzuräumen.

Zur Sache

Elias Fischer (30), Volontär beim WESER-KURIER, hat für die Serie "Weniger ist mehr" freiwillig eine Woche lang vom 18. bis zum 24. September auf Social Media verzichtet. Den Text stellte der Autor zwei Monate später, gegen Ende November, fertig.

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