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Untersuchungsausschuss Sozialbetrugsverdacht Sozialamtschefin hat Erinnerungslücken

Warum konnten über 1000 Armutsmigranten in Bremerhaven jahrelang unberechtigt Sozialleistungen beziehen? Bei der Klärung dieser Frage kam der Untersuchungsausschuss am Freitag kaum voran.
03.02.2017, 20:57 Uhr
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Sozialamtschefin hat Erinnerungslücken
Von Jürgen Theiner

Warum konnten über 1000 Armutsmigranten in Bremerhaven jahrelang unberechtigt Sozialleistungen beziehen? Bei der Klärung dieser Frage kam der Untersuchungsausschuss am Freitag kaum voran.

Im Bremerhavener Sozialamt sind bisher keine organisatorischen oder personellen Konsequenzen gezogen worden, die geeignet wären, einen erneuten massenhaften Sozialleistungsbetrug frühzeitig zu erkennen oder gar zu verhindern.

Das ist am Freitag im parlamentarischen Untersuchungsausschuss deutlich geworden, der die organisierte Ausplünderung der Sozialkassen in den Jahren 2013 bis 2016 aufklären soll. Als Zeugin war diesmal Astrid Henriksen geladen. Die 51-Jährige ist Leiterin des Sozialamtes der Seestadt.

Sei 2012 koordiniert sie zudem eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe, die sich mit Fragen der Zuwanderung aus den osteuropäischen EU-Staaten beschäftigt. Wie schon in den zurückliegenden Zeugenbefragungen interessierte die Parlamentarier auch bei Henriksen zuallererst, wann sie in ihrer dienstlichen Funktion das erste Mal Anzeichen für einen systematischen Sozialleistungsbetrug durch Armutsmigranten aus Südosteuropa wahrnahm. Im Herbst 2013, erinnerte sich die Amtsleiterin.

Immer wieder Erinnerungslücken

„Wie haben Sie darauf reagiert?“, wollte der Ausschussvorsitzende Nelson Janßen (Linke) von ihr wissen. „Das kann ich heute nicht mehr sagen“, lautete die Antwort. Diesen Satz sollten die Ausschussmitglieder, leicht variiert, noch mehrfach von Henriksen hören. Immer wieder taten sich bei ihr Erinnerungslücken auf, und so sehr sich die Abgeordneten auch mühten – Erhellendes kam während der etwa sechsstündigen Befragung kaum heraus.

Janßen und Sülmez Dogan (Grüne) hielten Henriksen Vermerke und Berichte einer Awo-Beratungsstelle vor, die 2013 mit kommunalen Mitteln für die Betreuung der osteuropäischen Zuwanderer eingerichtet worden war.

Diese Papiere enthielten frühzeitig diverse Hinweise auf massenhafte Scheinselbstständigkeit bei den zugewanderten Bulgaren, Rumänen und Griechen, auf die Bruchbuden, in denen sie hausten, sowie auf zahlreiche andere Missstände wie systematische Ausbeutung und Prostitution.

Kein Grund für Nachforschungen

Die Berichte warfen auch ein schlechtes Licht auf die Vereine „Agentur für Beschäftigung und Integration“ (ABI) sowie „Gesellschaft für Familie und Gender Mainstreaming“, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, den systematischen Sozialleistungsbetrug durch die Zuwanderer ermöglicht und selbst davon profitiert zu haben.

Für Astrid Henriksen waren die von der Awo ausgesandten Alarmsignale jedoch offenbar kein Grund, eigenständige Nachforschungen anzustellen und die Praktiken der Vereine zu hinterfragen. „Wir haben da auch draufgeschaut“, sagte Henriksen, angesprochen auf die Berichte. Doch mehr passierte nicht.

Den finanziellen Schaden habe ja vor allem das Jobcenter Bremerhaven gehabt, so Henriksen. Soweit sie wisse, habe diese Behörde deswegen mit der Awo im Dialog gestanden. Anders gesagt: Die Sozialamtsleiterin verließ sich augenscheinlich darauf, dass andere Institutionen den Verdachtsmomenten nachgingen.

Überraschende Information

Geld verlor allerdings auch das Sozialamt. Nicht Millionen Euro wie das Jobcenter, aber immerhin Hunderttausende. Gut 500.000 Euro zahlte die kommunale Behörde für Hausaufgabenhilfe und Nachhilfestunden, die ABI den Kindern der Migranten angeblich erteilte. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrem laufenden Ermittlungsverfahren davon aus, dass diese Leistungen gegenüber dem Sozialamt zwar abgerechnet, aber zumindest teilweise nicht erbracht wurden.

In diesem Zusammenhang kam am Freitag eine überraschende Information auf den Tisch. Nach Sülmez Dogans Darstellung ist erst vor wenigen Tagen beim Bremerhavener Amtsgericht ein neuer Verein eingetragen worden, der ebenfalls Lernhilfe anbietet. Zu den Gründungsmitgliedern sollen laut Vereinsregisterauszug mehrere Personen aus dem ABI-Dunstkreis gehören.

Aus der Deckung wagt sich inzwischen auch wieder ein ABI-Akteur, der die Migranten ins Jobcenter begleitete und ihnen dort mutmaßlich dabei half, Sozialleistungen zu erschleichen. Gegen den Mann bestand zwischenzeitlich Hausverbot im Jobcenter, das Ende 2016 auslief. Nun tauchte er dort wieder auf. Das Hausverbot wurde daraufhin erneuert.

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