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Bremer Leichtathletin Jonna Tilgner Baby Lorenz bestimmt den Trainings-Takt

Bremen. Leichtathletin Jonna Tilgner will bei den Olympischen Spielen 2012 in London starten. Dafür trainiert die junge Mutter inzwischen wieder sechs- bis siebenmal die Woche. Mit Baby Lorenz an der Seite ist es das ein ordentliches Programm.
13.12.2011, 05:00 Uhr
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Baby Lorenz bestimmt den Trainings-Takt
Von Olaf Dorow

Bremen. Lorenz sieht zufrieden aus. Er hatte sich gerade ganz schön aufgeregt und angestrengt, aber jetzt wirkt er sehr entspannt. Lorenz ist acht Monate alt und hat gerade in die Windel gemacht. Also legt ihn seine Mutter jetzt auf die Laufbahn, holt eine frische Windel aus ihrem Trainingsrucksack, und versorgt ihn.

Seine Mama bereitet sich auf die Olympischen Spiele in London vor, und so sieht das halt aus, wenn eine junge Mutter für London trainiert. Es werden eben noch die Spikes und jetzt aber die Windeln gewechselt. Oder andersherum.

Jonna Tilgner will das schaffen, Olympia in London. Zumindest will sie es versuchen. Sie ist 27 jetzt, das ist immer noch ein gutes Leichtathletikalter. Sie weiß, dass ihr Körper eine Menge leisten kann, sie lief schon mal im Glanz der Ringe. 2008 in Peking stand sie mit der 400-Meter-Staffel im Endlauf und wurde Achte. Sie will London sogar auf ihrer Spezialstrecke angehen, den 400 Metern Hürden. In dieser Disziplin ist sie zweifache Deutsche Meisterin und erreichte vor zwei Jahren das WM-Halbfinale. Sie blieb damals unter 56 Sekunden.

Lorenz bestimmt den Takt

Jetzt erfährt Jonna Tilgner gerade erneut, dass ihr Körper erstaunlich viel aushält. Sie trainiert inzwischen wieder sechs- bis siebenmal die Woche, was an sich schon ein ordentliches Pensum ist. Mit Baby Lorenz an der Seite ist es auf jeden Fall ein ordentliches Programm. Lorenz bestimmt den Takt. Er zahnt gerade, meldet sich darum mehrmals in der Nacht. "Was Tiefschlaf ist, weiß ich schon gar nicht mehr", sagt sie. Wegen Lorenz kann sie oft nur früh am Morgen oder spät am Abend trainieren. Wegen Lorenz wird sie im März auch auf ein wichtiges dreiwöchiges Trainingslager in Südafrika verzichten. Es wäre zu viel für den Kleinen.

Nicht nur, weil sie im April ein Kind bekommen hat - ein Wunschkind, das sei an dieser Stelle betont - ist der London-Plan ein ziemliches Abenteuer. Jonna Tilgner startet für den TuS Komet Arsten, lebt aber in Schweden, in Linköping. Ihr Mann Ola arbeitet dort als Programmierer in einem Forschungsinstitut. In Bremen schreibt Jens Ellrott, ihr langjähriger Trainer auf dem Weg in die deutsche Spitzenklasse, die Pläne. In Linköping gibt es zwar eine Leichtathletikhalle, aber nur Jugendtrainer. Mehrmals in der Woche fährt sie nach Norrköping, zu Krister Hultberg. In dessen Trainingsgruppe gibt es neben einigen Mehrkämpferin auch eine ambitionierte 400-Meter-Sprintern. Sara Bley schafft ungefähr 60 Sekunden, was in Schweden landesweit zu Rang drei langt.

Ellrott, Hultberg und Tilgner erarbeiten gemeinsam das Programm, Lorenz bestimmt die Eckdaten. Ehemann Ola hilft mit, sie einzuhalten. Es ist eine Art Patchwork-Training. Sechs Wochen nach Lorenz' Geburt hat Mama Tilgner, seit dem letzten Winter eine diplomierte Psychologin, wieder angefangen, wieder das zu sein, was sie so lange Jahre schon war: eine Frau, die rennt. Zunächst mit fünf Minuten Jogging und fünf Minuten Walking im Wechsel. Im September rief sie Ellrott an.

Kontakt zum Trainer mal online, mal direkt

Ab jetzt sollte wieder ein richtiger Trainingsplan her. Ihr Kontakt zum Trainer: mal online, mal direkt, so wie am Montag in der Leichtathletikhalle im Weserstadion. Sie ist gerade auf Kurzbesuch bei ihren Eltern in Hannover - und für einen Tag nach Bremen gefahren. Die Sprints auf der Laufbahn im Bauch des Weserstadions sehen flott aus. Sie wäre eine der wenigen, aber nicht die erste laufende Mutter, die ihr altes Niveau erreicht oder überbietet. Sie wirkt gereift und gestärkt durch das Muttersein. Sie sagt, dass sie staunt, was junge Eltern alles so wuppen können.

2010 fiel Jonna Tilgner aus den Förderkadern des Deutschen Leichtathletik-Verband DLV heraus. Sie hatte eine verkorkste Saison hingelegt, trotz hervorragender Eckwerte. Wenn sie jetzt ein DLV-Trainingslager besuchen will, würde der Verband es nicht finanzieren. Im Rahmen seiner Möglichkeiten würde das jetzt ihr Bremer Heimatverein übernehmen.

Gerne "zwei Bälle in der Hand"

Schon bald, nachdem sie gewusst hat, dass sie schwanger ist, wusste Jonna Tilgner auch, dass sie mit dem Leistungssport weitermachen will. Bis zum fünften Monat versuchte sie sich noch in Sprint-Übungen, bis zum siebten saß sie noch auf dem Ergometer. Sport habe schon immer zu ihrem Leben gehört, sagt sie, und schon immer hätte sie auch gerne "zwei Bälle in der Hand", wie sie es nennt. Nur Training? Wollte sie nicht und begann gleichzeitig ein Psychologie-Studium. Nur Mutter? "Nein", sagt sie, "nur Mama sein, ist superschön, aber das reicht mir nicht."

Der einfache Weg ist irgendwie nix für Jonna Tilgner. Nun wähnt sie sich"auf einem guten Weg" in Richtung London. Vorher sind noch die Europameisterschaften. Vielleicht reicht es "nur" dafür, aber das fände sie nicht schlimm. "Wenn ich das schaffe, hätte sich der ganze Aufwand doch auch schon gelohnt", sagt sie. Bei einer EM ist sie noch nie gestartet.

Tilgner musste nicht gedrängt werden

Jens Ellrott sagt, dass er seiner Athletin das Comeback zutraut. "Sie wollte von sich aus wieder einsteigen, sie musste nicht gedrängt werden. Das ist schon mal viel wert", sagt er. Jonna Tilgner muss ein gut gefülltes Tagesprogramm stemmen und wirkt gelassen dabei. Es gibt nicht nur London in ihrem Kopf, es gibt auch Lorenz, und das ist, psychologisch betrachtet, vielleicht gar nicht so schlecht. Der Titel ihrer Diplomarbeit hieß: "Wie viel Ausgleich braucht der Mensch?"

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