Eigentlich begann die Woche wieder ganz normal für die Bremerin Merle Brunnée. In ihrer Heidelberger Wahlheimat sitzt die promovierte Ärztin – vom WESER-KURIER nicht ohne Grund "Frau Doktor Laufwunder" getauft – seit den Morgenstunden an einem Forschungsprojekt. Wie als wäre am Wochenende nichts gewesen. Doch nicht einmal 24 Stunden vor ihrem Arbeitsbeginn wurde die 30-Jährige wieder einmal ihrem Titel als "Frau Doktor Laufwunder" gerecht. Im nordrhein-westfälischen Alsdorf, unweit von Aachen entfernt, gewann Brunnée beim sogenannten "Powerman" die Duathlon-WM in der Mitteldistanz – ihr vierter Titel und ihr Dritter in Folge.
Und so ganz realisiert hat die Bremerin ihren Titel als Weltmeisterin auch noch nicht, als der WESER-KURIER sie fast schon bei der Arbeit störte: "Es fühlt sich ein wenig unwirklich an. Jetzt sitze ich wieder an meinen Statistiken, das ist fast schon ein Paralleluniversum." Klar, die Beine seien noch etwas müde, "ich bin aber so im Glück, dass dieses Gefühl dominiert", sagt Brunnée. Ein Glück, welches sie sich wahrlich verdient hat, nach einem Wettkampf, der höchst intensiv war. Da war auch die Siegeseiskugel, die sich Merle Brunnée nach dem Rennen redlich verdient hatte, noch mal ein Genuss mehr: "Die musste einfach sein und schmeckte noch mal köstlicher."
Nach insgesamt 20 Kilometern Laufdistanz, geteilt durch 60 Kilometer Radfahren, durchquerte Merle Brunnée als erste Frau das Siegerband bei strahlendem Sonnenschein, knapp 20 Grad Temperatur und mit einem ebenfalls strahlenden Lächeln nach 2 Stunden 42 Minuten und genau einer Sekunde. 54 Sekunden vor ihrer Rivalin, der Britin Rachel Brown, die es ihrer deutschen Konkurrentin freilich nicht einfach machte.
Beim ersten Zehn-Kilometer-Lauf war die 30-Jährige nämlich durch ein hohes Tempo der Britin und ihrer deutschen Mitkontrahentin Madlen Kappeler etwas unter Druck geraten. "Ich hatte es mir schon vor dem Wettkampf gedacht, habe mich dadurch aber nicht verunsichern lassen", resümiert Brunnée. Denn sie wusste, dass sie auf dem folgenden 60-Kilometer-Radrundkurs ihre Stärken ausspielen kann. Es kristallisierte sich zunächst eine Siebener-, dann eine Fünfer-, und schließlich eine Dreiergruppe heraus, die die Verfolgung hinter Brown und Kappeler aufnahmen.
Aufholjagd auf dem Rad
Auf Position drei liegend wechselte die Bremerin dann aufs Rad. "Nach 15 bis 20 Minuten habe ich dann die Lücke auf Madlen zugefahren. Doch Rachel zu erreichen, gestaltete sich zäher als gedacht", erinnert sich die 30-Jährige. In der zweiten der dritten Runde war es dann aber so weit: Die Bremerin überholte ihre Rivalin von der Insel, erradelte sich einen Vorsprung von knapp dreieinhalb Minuten nach insgesamt 1:23 Stunden Radfahren. "Es ist natürlich ein kleines Katz-und-Maus-Spiel. Man ist permanent am Rechnen, weil ich wusste, dass Rachel die stärkere Läuferin ist. Da wollte ich die Lücke auf dem Rad so weit wie möglich ausfahren."
Nach dem zweiten Wechsel ins Laufen musste sie dann aber etwas "bezahlen", dass sie auf dem Rad so viel investierte, wie es Brunnée betont: "Die Beine machen dann einfach nicht mehr so schnell, wie es der Kopf gerne hätte." Und die Rechnerei ging weiter, immer mit der Hoffnung, dass der herausgefahrene Vorsprung reicht. Denn die Britin war schnell – wie erwartet. Fast zweieinhalb Minuten holte sie beim Schlusslauf auf. Brunnée: "Ich konnte bis zum Ende die Lücke halten und bin die letzten 500 Meter gerade ins Ziel gelaufen. Das ist ein fantastisches Gefühl, wenn man es einfach nur noch zu Ende laufen muss."

Die finalen zehn Kilometer mit Bravour gemeistert: Merle Brunnée konnte ihren Vorsprung halten.
Die Glückshormone, die trieben an – und das sah man ihr auch an. Unterstützt vom Heimpublikum, ihren Eltern, ihrem Partner und natürlich ihrem Trainer, die ihr beim Rennen Zwischenstände reinriefen, war das Lächeln auf den letzten Metern nicht mehr aus dem Gesicht zu schneiden. "Dieser Titel war wirklich noch einmal etwas mehr besonders, wegen der Menschen an der Strecke, die meinen Namen riefen."
Zusätzlich habe der runde Kurs alleine wegen der Atmosphäre geholfen: "Mental ist es nicht so einfach, immer die gleiche Runde zu laufen. Aber man wird damit belohnt, dass durch das Kompakte am Streckenrand viel mehr los ist. Das ist so viel wert und beflügelt, auch wenn der Druck natürlich auch ein bisschen größer ist", sagt die Bremerin. Ihre Mutter Christiane, die in Bremen ein Marketing-Büro betreibt, fieberte natürlich mit. Und erzählt freudig, dass die Tochter nicht verbissen, sondern einfach aus "Spaß" ihren Sport ausübt. "Man ist natürlich auch stolz", erzählt sie: "Sie ist aber auch so bescheiden mit ihrem Erfolg, das macht es viel bemerkenswerter und noch mal schöner."
Merle Brunnée ließ den Erfolg ebenso bescheiden ausklingen, wie sie in die nächsten Wettkämpfe geht. "Alsdorf ist eine wunderbare Adresse, um die Sonne zu genießen." Und nach dem obligatorischen Eisschlecken ging es dann mit dem angereisten Tross gemütlich essen. Am nächsten Tag stünde ja wieder die Arbeit an für "Frau Doktor Laufwunder".
Die Parallelwelt, wie sie es selbst beschreibt, muss dann für etwa drei Wochen weichen, dann steht der Ironman auf der Kanaren-Insel Lanzarote an. Die erste Langdistanz in diesem Jahr. "Ich möchte das Beste aus mir rausholen", mit der Hoffnung, dass sie auch einige hundert Kilometer vor der westafrikanischen Küste vorne wieder dabei ist.