Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Bremer Schiedsrichterin Jennifer Rehnert "Ich pfeife lieber Männer als Frauen"

Nach ihrer Pfeife müssen sich auch Männer richten: Die Bremer Fußball-Schiedsrichterin Jennifer Rehnert erzählt über ihre Erfahrungen im Männerfußball, über ihr Image als Blondinchen und eine Schule fürs Leben.
11.10.2021, 18:21 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Jean-Julien Beer

Frau Rehnert, nehmen Sie uns mal mit in Ihre Kindheit: Warum entscheidet sich eine 14-Jährige dafür, einen Schiedsrichterkurs zu machen?

Jennifer Rehnert: Damals habe ich bei OT Bremen Fußball gespielt. Da kamen in der Regel nicht die besten Schiedsrichter. Deshalb habe ich mich oft aufgeregt und gemeckert, wenn es aus meiner Sicht Fehlentscheidungen gab. Auch noch zu Hause. Irgendwann sagte mein Vater zu mir: Rede nicht so viel darüber, sondern zeige, dass du es besser kannst. So habe ich mich mit einer Mitspielerin zum Kurs angemeldet.

Inzwischen haben Sie sich einen Namen gemacht und pfeifen auch die Männer in der Bremen-Liga. Wie schwierig war der Aufstieg?

Bei uns Frauen fängt das mit der Landes- und Verbandsliga an. Es ist bei uns nicht üblich, dass man auch Jungs pfeift. Wenn der Verband meint, dass er das einem Mädchen zutraut – erst dann darf man rüber in die Männersparte. Ich habe in der Männer-Kreisliga angefangen, also bei richtigen Amateuren. Wenn der Verband auch dort mit einem zufrieden ist, wird man hochgestuft. So kam ich bis in die Bremen-Liga.

Hielten Sie es anfangs auch für eine gute Idee, Männer zu pfeifen?

Ich fand das super. Ich habe keine Berührungsängste. Ich war schon mit 16 Jahren Assistentin in der Bremen-Liga, im Gespann von Allen Chen. Dadurch konnte ich viele Jahre lang alles beobachten. Irgendwann wollte ich selbst auch dort Spiele leiten, das Umfeld war mir vertraut. Und es ist ja so: Ich pfeife lieber Männer als Frauen.

Warum?

Weil es etwas Besonderes ist. Auch wenn das ein wenig traurig ist, dass es noch nicht die Normalität ist. In der Bremen-Liga der Männer zu pfeifen, ist das Ziel jedes Schiedsrichters in Bremen. Ich wollte das auch. Wenn man das als Frau schafft, ist es doppelt schön. Ich glaube, es gab seit Christine Frai keine Frau in Bremen, die so hoch bei den Männern gepfiffen hat. Männer spielen auch einen anderen Fußball: Viel körperbetonter, da musst du dich ganz anders ins Zeug legen und noch mehr deine Frau stehen, da musst du Durchsetzungsvermögen haben. Bei Frauenspielen kommt man an eine Grenze, an der man sich nicht mehr weiterentwickelt. In der Männerliga wollen die Spieler ganz andere Dinge von dir: Die reden viel mehr, die spielen härter, es ist ein anderer Fußball. Als Schiedsrichterin kann ich mich da extrem entwickeln. Das macht mir mehr Spaß.

Ist der Umgang mit einer Schiedsrichterin bei den Männern anders?

In einer Frauen-Liga ist es normal, dass eine Frau pfeift. Das bemerkt niemand. Wenn ich zu einem Männerspiel komme, gibt es einige komische Blicke. Wirklich negative Erfahrungen habe ich aber nie gemacht. Der Umgang war immer nett und respektvoll. Natürlich hört man mal einen Spruch, der in den Bart gemurmelt wird. Nach dem Motto: Was will denn die Frau hier? Das passiert auch in der Vereinsgaststätte, wenn ich den Schlüssel für die Schiedsrichterkabine haben möchte. Dann heißt es: Aber heute spielen doch die Männer. Ich weiß, sage ich dann. Es ist halt besonders, weil ich die einzige Frau bin, die solche Spiele in Bremen pfeift. Die Männer sind das nicht gewöhnt.

Lesen Sie auch

Gibt es Männer, die im Spiel besonders respektvoll mit Ihnen umgehen?

Tatsächlich haben viele Männer so eine Art Beschützerinstinkt. Gerade bei einer jüngeren Frau. Viele Männer haben vor Frauen einen anderen Respekt als vor männlichen Schiedsrichtern. Aber natürlich  gibt es immer auch schwierige Typen, die murmeln ihren Unmut vor sich hin. Aber 90 Prozent der Männer gucken erst blöd, wenn ich komme – und wenn der erste Pfiff richtig ist, sind sie begeistert. Die haben offenbar nicht diese Erwartung, die denken eher: Da kommt so ein Blondinchen, die hat sowieso keine Ahnung. Ich bin im Spiel aber auch mal lauter und strenger, und irgendwann ist es dann normal.

Haben Sie mal einen Mann mit Roter Karte vom Feld geschickt?

Ja, mit Gelb-Rot. Da gab es auch keinen Grund zu meckern. Der Spieler kam zwar kurz auf mich zu, zwei Mitspielern haben ihn dann aber weggeschubst und in die Kabine geschickt. „Lass sie in Ruhe“, haben sie gesagt, „die Entscheidung war richtig.“ Wie gesagt: Beschützerinstinkt. Man erfährt schon viel Respekt von den Männern.

Wie gehen Sie mit Fehlern um?

Niemand kann alles richtig entscheiden. Du merkst es, wenn du falsch gepfiffen hast oder etwas gesagt hast, was du bereust. Dann ist es eben auch die Kunst, Fehler vor den Spielern zuzugeben. Man muss es aber auch wieder ausblenden, sonst pfeift man das restliche Spiel nicht gut und zweifelt an sich. Fehler passieren nun mal. Die Spieler sind ja nun wirklich auch nicht fehlerfrei.

Welche Ziele haben Sie noch als Schiedsrichterin?

Zunächst einmal bin ich sehr stolz, dass ich in der Bremen-Liga pfeifen darf. Beim DFB als Assistentin in der zweiten Liga dabei zu sein, ist auch toll. Ich finde, dass ich schon viel erreicht habe. Aber natürlich: Wenn es noch den ein oder anderen Schritt weitergeht, dann gehe ich den gerne. Die Stärke eines Schiedsrichters ist aber auch Bescheidenheit, finde ich. Die Plätze weiter oben sind sehr begrenzt.

Warum gibt es in Bremen nur 20 weibliche Schiedsrichter, aber über 400 männliche?

Es ist  total schade, dass es so ist. Ich bin sehr selbstbewusst, ich kann auch mal das Arschloch auf dem Platz sein oder der Sündenbock. Ich kann das ab, auch die Kritik. Wenn du als Mädchen mit 15 Jahren anfängst, kannst du das natürlich noch nicht. Vielen Mädchen fehlt das Selbstvertrauen, es zu versuchen, da sind gleichaltrige Jungs anders. Mädchen machen sich zu viele Gedanken. Wenn man in jungen Jahren schwierige Spiele hat oder die Eltern am Spielfeldrand ausrasten, schreckt das viele mit 15 oder 16 ab, die hören dann auf. Aber jeder kann lernen, damit umzugehen. Wichtig war bei mir, dass ich anfangs eine Freundin mit im Kurs hatte. Ich weiß nicht, ob ich es sonst durchgezogen hätte.

Ist es eine gute Schule fürs Leben?

Total. Man wächst als Persönlichkeit, wird viel selbstbewusster und schnell selbstständig. Zeitmanagement, Organisation, du musst alleine mit den Trainern sprechen - das sind alles kleine Herausforderungen. Auch im Arbeitsleben hilft mir das enorm. Viele Führungskräfte sind männlich, da muss man sich als Frau durchsetzen können. Das habe ich als Schiedsrichterin gelernt. Genauso, unter Stress entscheiden zu können oder kritikfähig zu sein. Ohne die Schiedsrichterei wäre ich nicht im Ansatz so selbstbewusst, wie ich es jetzt bin. Ich spreche auch mit meinem Chef anders, weil ich es mir zutraue. Viele Frauen sind da eher zurückhaltend. Wenn Sie aber im Spiel 22 Charaktere auf dem Platz haben und dazu noch die Trainer – das ist wirklich eine Schule fürs Leben.

Der Bremer Verband sucht jetzt junge Schiedsrichterinnen. Sie würden es Mädchen empfehlen?

Ja, absolut. Die Mädels haben nichts zu verlieren, sie können nur gewinnen.

Würden Sie vor eine Klasse treten und Ihre Erfahrung weitergeben?

Da hätte ich richtig Lust drauf. Gerade um jungen Frauen mitzugeben, wie man mit Spielern umgeht und sich durchsetzt. Da gibt es so viele Themen: Fitness, Leadership, Spielführung. Ich würde mich gerne einbringen.

Wer ist eigentlich regelfester: die Männer oder die Frauen, die Sie pfeifen?

Das ist eine fiese Frage. Sagen wir mal so: Frauen sind anders, etwas ehrlicher, fast schon ein wenig tollpatschig. Wenn die ein Foul machen, dann tut es denen oft direkt leid und die entschuldigen sich dafür. Männer hingegen versuchen oft, sich irgendwie herauszumogeln. Aber was genau Handspiel ist, das wissen sie heute alle nicht mehr so genau…

Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.

Zur Person

Jennifer Rehnert (27)

ist Patentanwaltsfachangestellte in Bremen und machte 2009 mit 14 Jahren den Schiedsrichterschein. Heute pfeift sie Männer in der Bremen-Liga, ist Assistentin in der zweiten Bundesliga der Frauen und leitet Spiele der B-Juniorinnen-Bundesliga.

Zur Sache

Der BFV sucht Schiedsrichterinnen

Die Bremerin Christine Frai war viele Jahre die bekannteste Schiedsrichterin der Region. Sie pfiff in der Frauen-Bundesliga und international, auch in der damals drittklassigen Regionalliga der Männer. Sie wurde 2004 als Schiedsrichterin des Jahres vom DFB ausgezeichnet und 1995 als Bremens Sportlerin des Jahres. Heute gibt es im Bremer-Fußball-Verband (BFV) 444 Unparteiische, nur 20 sind weiblich. Das soll sich ändern: Der BFV möchte junge Mädchen und Frauen ansprechen und wenn möglich einen eigenen Schiedsrichterinnen-Kurs organisieren. Jedes Mädchen, dass das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann sich ausbilden lassen. Diese Anwärterlehrgänge sind kostenlos. Interessierte können sich unter der Mailadresse info@bremerfv.de melden.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)