Was für eine kuriose Situation: Im vergangenen Oktober ließ sich eine Gruppe junger Menschen in Bremen zu Fußball-Schiedsrichtern ausbilden, damals ging das trotz Pandemie vorübergehend sogar als Präsenzveranstaltung – aber sie alle haben auch sieben Monate danach noch kein einziges Spiel geleitet. „Das ist ein Problem, weil es gerade nach Anfängerkursen wichtig ist, dass die neuen Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen auch gleich zum Einsatz kommen“, sagt Torsten Rischbode, der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses beim Bremer Fußball-Verband. Doch in dieser Corona-Krise gibt es keine Spiele, und damit auch keine Möglichkeit für die neuen Schiedsrichter, Erfahrungen zu sammeln. Rischbode vergleicht das gerne mit einem Fahranfänger: „Wenn der den Führerschein hat, wird er auch immer sicherer, je öfter er fährt.“ Doch im Amateurfußball steht seit Monaten alles still. Auch die Pfeifen der Unparteiischen.
Heute wäre so ein gemeinsamer Kurs gar nicht mehr erlaubt. Man könnte solch einen Anfängerkurs zwar theoretisch auch per Onlinekonferenz durchführen, aber von der Idee haben die Ausbilder inzwischen Abstand genommen. Theorie ist eben nicht alles, gerade bei neuen Schiedsrichtern. Und Praxis ist derzeit nicht möglich.

Hofft auf seine Schiedsrichter: Torsten Rischbode vom Bremer Fußball-Verband
Wer schon die Schiedsrichterprüfung bestanden hat, sitzt nun aber trotzdem hin und wieder vor dem Computer. Ein paar gemeinsame Videokonferenzen sollen das Wir-Gefühl stärken, man verliert sich sonst schnell aus den Augen in so einer Pandemie. Die Schiedsrichterkreise Bremen-Nord, Bremen-Stadt und Bremerhaven bieten Regelschulungen online an, viel mehr kann man nicht machen. „Wir müssen abwarten, wie viele Schiedsrichter sich am Ende abgemeldet haben werden“, sagt Rischbode, „es ist meine größte Sorge, dass wir danach nicht mehr alle zur Verfügung haben.“
Handballer sind strikter, das könnte ein Vorteil werden
Diese Ungewissheit betrifft die Schiedsrichter wie jede Fußballmannschaft in diesen Zeiten, auch viele Spieler und sogar Trainer überlegen inzwischen, ob sie überhaupt noch weitermachen werden, wenn wieder so etwas wie Normalität einkehrt. Andererseits: Schiedsrichter wird man in der Regel aus Überzeugung. Rischbode: „Deshalb glaube ich, dass viele Kollegen uns erhalten bleiben nach Ende der Pandemie. Unsere Ungewissheit ist nicht so groß wie bei manchen Vereinen, die nicht wissen, ob sie noch genügend motivierte Spieler haben. Aber wir werden bei den Schiedsrichtern sicher auch welche erleben, die eine andere Beschäftigung gefunden haben, nachdem es so lange keine Spiele gab.“
Anders als zum Beispiel im Handball sind die Fußballvereine nicht verpflichtet, Schiedsrichter zu stellen, um am Spielbetrieb teilnehmen zu können. Zwar soll jeder Verein ab der C-Jugend aufwärts für jede Mannschaft auch Schiedsrichter im Verein haben. Doch wer das nicht schafft, muss deshalb keinen Ausschluss oder Punktabzug fürchten. Es wird ein Obolus als Strafgeld fällig.
Da sind die Handballer strikter, was sich auch nach der Pandemie als hilfreich erweisen könnte. Hier müssen die Vereine ein Schiedsrichterkontingent erfüllen, um mitspielen zu dürfen. „Die meisten Schiedsrichter auf den unteren Ebenen sind auch selbst Spieler oder Spielerinnen. Wenn die Vereine es schaffen, die in ihren Mannschaften zu behalten, dann bleiben sie auch uns erhalten“, sagt Lars Räcker, Schiedsrichterwart des Bremer Handball-Verbandes, der selbst 38 Jahre lang Spiele geleitet hat. In Bremen zählt er mehr als 300 Schiedsrichter-Lizenzen. Die jüngsten Unparteiischen sind um die 16 Jahre alt, die ältesten an die 70. Doch auf der Leistungsebene ist es nicht mehr so üppig. Ab Landesliga aufwärts leiten etwa 25 Schiedsrichter die Spiele, oft ist das mit mehrstündigen Fahrten verbunden, an manchen Wochenenden müssen sie bis zu vier Spiele leiten, von Freitag bis Sonntag.
"Viele wollen keine Verantwortung übernehmen"
Aktuell ruht natürlich auch im Handball der Spielbetrieb, die Ligen mussten nicht abgebrochen werden, weil erst gar keine Saison angefangen wurde. Die nächste Saison könnte im September beginnen, aber wer kann das schon genau sagen. Klar ist, dass es auch im Handball schon vor der Pandemie an motivierten Nachwuchs-Schiedsrichtern fehlte, die nicht nur deshalb zum Lehrgang kommen, weil ihr Verein das halt verlangt. „Viele sind heute nicht mehr gewillt, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen und dafür dann auch vor den Mannschaften einzustehen“, hat Räcker festgestellt, „das ist ein großes Problem und war schon vor Corona eine Herausforderung. Wenn wir in der Vergangenheit pro Jahr etwa 80 Schiedsrichter ausgebildet haben, dann waren vielleicht vier oder fünf darunter, die richtig Lust hatten und auch das Rüstzeug mitbrachten, um als Schiedsrichter später aufsteigen zu können. Und das waren dann schon viele.“
Doch im Moment werden gar keine neuen Leute ausgebildet. Natürlich haben auch die Bremer Handballer überlegt, ihre künftigen Schiedsrichter online zu schulen. Aber die Vereine haben sich im Wesentlichen dagegen ausgesprochen. Räcker kann das verstehen: „Die Befürchtung ist da, dass die Leute derzeit ohnehin online überlastet sind. So eine Schiedsrichterausbildung dauert etwa 20 Stunden. Das wären mehrere Abende mit Online-Kursen, nachdem viele Leute eh schon stundenlang am Rechner saßen. Da ist die Konzentration irgendwann nicht mehr da.“ Zudem dürfe man auch bei Handball-Schiedsrichtern den Praxisanteil nicht unterschätzen.
Ihre besten Leute, die auf der oberen Leistungsebene pfeifen, halten sie bei Laune, so gut es geht. Durch Anrufe, Chatgruppen oder digitale Meetings. „Es gibt schon Kollegen, die diese lange Pause sehr schade finden und die bereits mit den Hufen scharren“, freut sich Räcker, „die würden am liebsten sofort wieder pfeifen gehen.“ In den unteren Spielklassen, wo 90 Prozent der Unparteiischen selbst als Spieler aktiv sind, liegt es in der Verantwortung der Vereine, ihre Leute bei Laune zu halten. Je länger die Pause dauert, desto schwieriger wird das.
Normalerweise gibt es jedes Jahr Fortbildungen für die Schiedsrichter des Handball-Verbandes, aber im Moment ist nichts normal. Schon 2020 fiel das aus. Sollte im Herbst wirklich eine neue Saison beginnen, würden sie ihre Leute „alle wieder zusammenholen und einstimmen“, sagt Räcker, inklusive einer Regelauffrischung. Vor allem aber, um danke zu sagen. Dafür, dass sie trotz der Pandemie wieder an die Pfeife wollen.