Es passierte am Mittwoch beim Training. Die Übung wollte nicht recht gelingen, so schildert es Karina Schönmaier. Und plötzlich habe es wie Click gemacht in ihrem Kopf: Die Übung muss aber jetzt mal sitzen, sie fährt doch bald zur WM! Bremens großes Turntalent vom TuS Huchting trainiert gerade in Chemnitz beziehungsweise demnächst in Frankfurt – und sie ist gerade dabei zu begreifen, dass sie es tatsächlich geschafft hat. Sie hat sich für die Weltmeisterschaften in Liverpool qualifiziert, wohin die deutsche Nationalmannschaft am kommenden Mittwoch aufbricht und wo am Sonntag darauf die Titelkämpfe beginnen.
Für Karina Schönmaier ist dieses WM-Ticket nicht nur das größte sportliche Ding, das der gerade erst 17-jährigen amtierenden Bremer Sportlerin des Jahres gelungen ist. Sie hätte das schon fast sicher geglaubte Ticket beinahe verpasst. Vor allem: Es kam vor dem Hintergrund der noch nicht entschiedenen schwersten Entscheidung ihres Lebens zustande. Da sei ein großer Druck in ihrem Kopf, sagt sie. Jeder in der Szene – und auch so mancher außerhalb der Szene – würde wissen wollen, was sie nun macht. Soll sie zum Bundesstützpunkt nach Chemnitz wechseln oder doch lieber in Bremen bleiben? In Chemnitz hat sie die besseren Trainings- und Rahmenbedingungen, in Bremen hat sie ihre Familie, ihre Freunde, ihre vertraute Umgebung. Hat sie ihre langjährige Trainerin Katharina Kort. Zum Hin und Her in ihrem Kopf kommt erschwerend hinzu, dass ihre Trainerin sie weiter vollumfänglich betreuen würde. Aber nicht mehr unentgeltlich, nachdem die Mutter der Athletin ohne Absprache in Chemnitz vorgesprochen haben soll.
Vielleicht werde es so laufen, sagt Karina Schönmaier: Nach der WM sei eine trainingsfreie Woche geplant. Die wolle sie quasi nutzen, um Abschied von Bremen zu nehmen und sich auf den Wechsel nach Sachsen einzustimmen, der mit Blick auf Olympia und ihre sportlichen Ambitionen ein richtiger wie wichtiger Schritt sei. Und sollte es überhaupt nicht funktionieren in Sachsen, würde sie halt zurückkehren nach Huchting. "Das denke ich zumindest jetzt", sagt sie, "aber vielleicht denke ich in zwei Wochen schon wieder anders."
Im Idealfall bekommt sie in den nächsten Tagen all diese Gedanken komplett heraus aus ihrem Kopf. Sie muss sich auf die WM konzentrieren. Sie weiß ja, wie angespannt sie gewesen ist, als am vergangenen Wochenende in Rüsselsheim die zweite WM-Qualifikation lief. Die erste hatte sie gewonnen, diesmal wurde sie Dritte. Am Boden klappten die Landungen nicht wie gewünscht. Am Stufenbarren touchierte sie den Holm mit dem Fuß und kassierte ordentlich Punktabzug dafür. Beim Pferdsprung blieb sie fehlerfrei. Am letzten Gerät, dem Schwebebalken, hätte es wohl das Ende der WM-Träume bedeutet, wenn sie gepatzt hätte und vom Balken gerutscht wäre. Das war ihr in dieser Saison schon passiert, und zwar nicht nur einmal. Sozusagen war der Schwebebalken auf dem besten Weg, ihr Angst- und Zittergerät zu werden.
Doch Karina Schönmaier hielt dem Druck stand. Sie blieb drauf auf dem schmalen Balken, sie kassierte keinen weiteren Punktabzug und durfte die Glückwünsche für den WM-Platz entgegennehmen. Zumindest das ist schon mal eine Erfolgsstory geworden.