Es ist ein kühler Montagmorgen in Bremen, nicht nur auf der Sportanlage des ATS Buntentor auf dem Stadtwerder. Zehn, vielleicht elf Grad im Schatten, aber in der Sonne herrlich warm. Im Eingangsbereich zur Anlage arbeiten die Handwerker am neuen Umkleidehaus des Vereins. Das Dach ist schon länger gedeckt, inzwischen schreitet der Innenausbau erkennbar voran. Hinten auf dem Rasenbereich der Anlage, in der Nähe der Tribüne, trainieren in gebührendem Abstand voneinander zwei Gruppen zu den Klängen lateinamerikanischer Musik: dort die Ü 60-Turner, hier die Zumba-Gold-Tänzerinnen von Perdita Krämer. Die Übungsleiterin ist mit ihrem Handy und der mobilen Lautsprecherbox für die Beschallung zuständig.
Im überwiegend strahlend daherkommenden Wetter bewegen sich die Aktiven an diesem Tag im übertragenen Sinne in einer Grauzone. Denn nachdem das Land Bremen neun Tage zuvor wieder Freiluftsport auf öffentlichen und vereinseigenen Sportanlagen gestattet hat, sind danach zumindest offiziell Sportler nur in Zweiergruppen ihrer Leidenschaft nachgegangen – etwa beim Tennis oder beim Golf und stets, weil die behördlichen Auflagen es so bestimmen, unter Wahrung des Abstandsgebots und der Hygieneregeln.
Das Bild, das sich an diesem Montag dem Beobachter auf dem Kuhhirten bietet, ist in der aktuellen Corona-Zeit kein alltägliches Bild. Im Gegenteil. Es ist die absolute Ausnahme, weil der Vorsitzende des ATS Buntentor und dessen Vorstandskollegen sich nicht länger damit abfinden wollen, dass dort, wo viel Platz ist, Training in Gruppen weiterhin untersagt ist. „Wir haben mehr als 2500 Mitglieder“, sagt Jürgen Maly, der ehrenamtliche Vereinschef und hauptberufliche Rechtsanwalt, „seit sieben Wochen betreiben wir nur virtuellen Sport oder Einzelsport. Die Menschen lechzen nach Sport in der Gruppe, und wir als Vorstand haben die Verpflichtung, das zu ermöglichen.“ Das Pikante daran: Es scheint nicht klar zu sein, ob nur zwei oder doch mehr Personen zusammen Sport machen dürfen. Und wegen dieser Unklarheit fordert Maly Bremens Behörden zum Duell.

Jürgen Maly, Vorsitzender des ATS Buntentor und hauptberuflich Jurist, hat ein Gutachten erstellt, dem zufolge er seit Montag auch den Trainingsbetrieb größerer Vereinsgruppen auf der Sportanlage Kuhhirten gestattet.
Was ist passiert? Jürgen Maly ist nach dem Studium der Bremer Corona-Verordnung, der sogenannten Allgemeinverfügung Freiluftsportanlagen sowie weiteren eigenen Recherchen zu Urteilen aus den vergangenen 30 Jahren zu dem Schluss gekommen, dass die Beschränkung auf zwei Personen unzulässig ist. In der Bremer Allgemeinverfügung vom 24. April mit Gültigkeit ab 25. April heißt es unter anderem: „Menschenansammlungen auf und vor der Sportanlage sind unzulässig.“ Doch was ist eine Menschenansammlung?
Jürgen Maly hat in stundenlanger Arbeit ein Gutachten erstellt und es, wie er betont, als Jurist und nicht als Vereinsvorsitzender unterschrieben. Am vergangenen Sonnabend ließ Maly dem Sportamtsleiter Christian Zeyfang das Gutachten zukommen. Kern des Gutachtens: Sport in Gruppen bis maximal zwölf Personen sei aktuell erlaubt. Als ATS-Vorsitzender wiederum bezieht sich Maly auf das Gutachten und gibt per Vorstandsbeschluss Übungsleitern grünes Licht für Trainingseinheiten in größeren Gruppen.
Zustimmung fürs Freilufttraining
Von denjenigen, die am Montag von dieser vereinsseitigen Lockerung der Corona-Bestimmungen profitieren, erhält der ATS-Vorstand Zustimmung. „Als ich von dieser Möglichkeit gehört habe, habe ich gleich zugegriffen“, sagt Perdita Krämer. Während der vergangenen Wochen hat sie mit ihren Gruppen nur virtuell via Skype oder Zoom trainieren können. „Da ist das Training heute etwas ganz Besonderes“, sagt sie. Jürgen Maly hat das Geschehen auf der Anlage zufrieden verfolgt und sagt, dass sich das Freilufttraining künftig sogar wachsender Beliebtheit in seinem Verein erfreuen könnte. Entsprechende Äußerungen aus den Reihen der Turner und Tänzer habe er gerade erhalten.
Spannend ist an diesem Montag natürlich, wie das informierte Bremer Ordnungsamt mit dem Vorpreschen des ATS Buntentor umgeht. Verstöße gegen die Verordnungen stellen immerhin eine Ordnungswidrigkeit dar, die teuer werden könnte. Auf den Fall, dass Ordnungskräfte den Abbruch des Übungsbetriebs fordern, ist Maly vorbereitet. Dann würde er bei Gericht umgehend einen Antrag auf Einstweilige Verfügung stellen, sagt er. Doch weder am Vor- noch am Nachmittag, als eine Fußball-Jugendmannschaft trainiert, schreiten Ordnungskräfte auf dem Kuhhirten ein.
Keine Strafen für ATS Buntentor
Sportsenatorin Anja Stahmann (Grüne) hat am Dienstag während der Senatspressekonferenz – in Abwesenheit des für das Ordnungsamt zuständigen Innensenators Ulrich Mäurer (SPD) – angedeutet, dass dem ATS Buntentor kein Ungemach mehr drohe. „Wir werden niemanden in Ketten legen“, sagte Anja Stahmann auf Nachfrage des WESER-KURIER. Vielmehr deutete sie an, dass der Senat zusammen mit Ordnungsamt und Gesundheitsamt das Konzept des ATS-Buntentor-Vorsitzenden Jürgen Maly bewerten werde. „Wir werden zu Lösungen kommen“, versprach die Sportsenatorin.
Sehnsucht nach Normalität
Je länger die Corona-Krise die Gesellschaft in ihrem Bann hält, desto größer wird offensichtlich der Wunsch nach weiteren Lockerungen der gegenwärtigen Beschränkungen. Der Alleingang des ATS Buntentor zwei Tage vor der Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer (Mittwoch) ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich Vereine nach einem normalen Übungsbetrieb sehnen. Und dass sie offensichtlich auch bereit sind, dafür einen Weg zu gehen, den nicht alle Seiten für den richtigen Weg halten. Die Krise wird die Sportverbände und -vereine noch lange verfolgen. Sie wird wohl nur gemeistert werden, wenn am Ende alle an einem Strang ziehen.