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Sport steht jetzt über allem Wie die Paralympics das Leben von Mascha Mosel verändern

Mit der Qualifikation für die Spiele in Paris hat sich die Alltagsgestaltung der 21-Jährigen verändert: Ihr Studium tritt vorübergehend in den Hintergrund, Rollstuhlrugby ist zur Nummer eins geworden.
15.06.2024, 05:48 Uhr
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Wie die Paralympics das Leben von Mascha Mosel verändern
Von Jörg Niemeyer

Es geht ordentlich zur Sache auf dem Spielfeld. Krachend scheppern die Rollstühle der Gegenspieler zusammen – keineswegs aus Versehen, sondern gezielt. Es gilt, den Gegner zu stoppen, bevor er sich auf den Weg in Richtung Grundlinie macht. Oder, falls er schon auf dem Weg ist, ihn irgendwie noch am Überfahren der Grundlinie zu hindern. Denn wer den Ball hat und über die Linie fährt, erzielt auf diese Weise ein Tor für seine Mannschaft. Und wer am Ende des Spiels mehr Tore erzielt hat, hat gewonnen. So einfach ist das beim Rollstuhlrugby – und eben doch so schwer.

Rollstuhlrugby sieht gefährlich aus. Ist es das wirklich? Zusammenstöße gehörten zu diesem Sport dazu und seien, wie vereinzelte Unfälle, nicht zu verhindern, sagt Mascha Mosel. Die 21-Jährige muss es wissen, denn sie ist Nationalspielerin und fährt sehr wahrscheinlich als Mitglied des deutschen Teams Ende August zu den Paralympischen Spielen nach Paris. Aber wirklich gefährlich sei die Sportart nicht. "Es ist ein fairer Sport", sagt sie, "es gibt klare Regeln, und auch im Umgang der Spieler untereinander ist Fairness Trumpf." Streit auf dem Spielfeld gebe es kaum. "Was der Schiedsrichter sagt, ist Gesetz", sagt Mascha Mosel. Und ganz offensichtlich akzeptieren die Aktiven diese Rollenverteilung auch an diesem Regionalliga-Spieltag in Achim. Nicht immer ohne einen zweifelnden Blick, aber ohne große Diskussionen.

Mascha Mosel, deren sportliche Heimat die Achimer Heroes des TSV Achim sind, erwischt es wenig später selbst. Die Bundesliga-Spielerin ist von der Dresdener Mannschaft angesprochen worden, ob sie aushelfen könne. Das macht sie gerne. "Wir wollen doch alle Spaß haben", sagt sie. Es gebe insgesamt wenig Spieler, und wenn dann noch jemand ausfalle und ein Team gar nicht mehr antreten kann, sei das sehr schade. Erst recht vor dem Hintergrund, dass die Regionalligisten lange Reisen in Kauf genommen haben, um zu spielen. Draußen auf dem Parkplatz stehen Autos aus Dresden, Berlin, Hamburg und aus dem Emsland. Die Aktiven nehmen vieles auf sich, um ihren Sport auszuüben. Da legt dann niemand Protest ein, wenn sich ein Verein mit einer Aushilfe verstärkt hat. Die Regeln lassen die Aushilfe mit einem offiziellen Zweitstartrecht sogar ausdrücklich zu.

Sturz mit dem Rollstuhl

Mascha Mosel ist als Mitspielerin begehrt. Die Bundesliga-Akteurin hat vor diesem Regionalliga-Spieltag mehrere Anfragen bekommen – wohl auch deshalb, weil sie ihren Sport sehr gut beherrscht. So dürfte es kein Zufall sein, dass es die Emsländer, bei denen ebenfalls eine Frau im Kader steht, in der Partie vor allem auf die Nationalspielerin abgesehen haben. Sie wird besonders eng bewacht und schon in der dritten Spielminute, nachdem sie dem Gegner mal entwischt ist, von dem heranrasenden Spieler mit der Trikotnummer 43 so unsanft gestoppt, dass sie mit ihrem Rollstuhl umkippt. Die Begegnung wird unterbrochen, das Gefährt mit der unversehrten 21-Jährigen wieder aufgerichtet – und schon geht es weiter.

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Rollstuhlrugby steht im Leben von Mascha Mosel aktuell an Nummer eins. "Sogar vor meinem Studium", sagt sie, "der Sport nimmt gerade extrem viel Zeit in Anspruch, macht aber auch extrem viel Spaß und hat mir viele Freundschaften beschert." Dass ihr Studium in Hannover vorübergehend an Bedeutung verloren hat, liegt natürlich an den Paralympics. Diese Veranstaltung sind die Olympischen Spiele der Behinderten, zu denen die gehbehinderte Bremerin gehört. Sie leidet unter Cerebralparese, kann laufen, aber auf eigenen Beinen keine langen Strecken zurücklegen.

Die Beeinträchtigung hindert sie jedoch nicht daran, Leistungssport zu machen. Ihr Trainingsplan sei auch schon vor der Qualifikation für Paris mit sechs Einheiten pro Woche voll gewesen, hinzu kämen noch sogenannte Workouts zu Hause, also Gymnastik- oder Kraftübungen. "Viel mehr geht wegen des Studiums auch nicht", sagt Mascha Mosel. Was sich seit März aber in ihrer Lebensgestaltung verändert habe, sei die Ausrichtung – die zielt jetzt auf die Paralympics. Zum einen in mentaler Hinsicht, weil die Sportlerin sich mit jedem Tag, den das Turnier in Frankreich näherrückt, mehr freut. Zum anderen in sportlicher Hinsicht, weil jetzt die gezielte Vorbereitung auf die Spiele beginnt.

Fünf Trainingslager bis Paris

Ab dem Wochenende 22./23. Juni stehen bis zur Abreise nach Paris am 21. August noch fünf Maßnahmen mit der Nationalmannschaft an. Nicht mitgerechnet sind mögliche Videokonferenzen und spezielle Anleitungen ihres Trainers, der sie aus der Ferne mit Trainingsplänen und Hinweisen zum Beispiel auf Entlastungspausen versorgt. Aus Termingründen kann Mascha Mosel derzeit nicht mit den Achimer Heroes trainieren, spielt aber für sie weiterhin in der Bundesliga. Solange Mascha Mosel nicht offiziell vom Deutschen Behindertensportverband (DBS) nominiert ist, sieht sie sich auch nicht hundertprozentig in Paris. Am 19. Juli werde verkündet, wer Deutschland an der Seine vertreten wird. Bis dahin hält sich die Studentin noch zurück. "Ich bin aber optimistisch, in Paris auch dabeizusein", sagt sie.

Im Kader des deutschen Teams ist die Bremerin eine von nur zwei Frauen. Im Rollstuhlrugby kann, muss aber nicht in gemischten Mannschaften gespielt werden. Und im Gegensatz zu einigen anderen Sportarten, ist im Rollstuhlrugby eine körperliche Beeinträchtigung der Aktiven Bedingung. "Es hat sich gezeigt, dass in meiner Sportart Menschen ohne Behinderung zu schnell zu überlegen sein würden", sagt Mascha Mosel. Sie freut sich jetzt auf ihre erste Paralympics-Teilnahme und hofft auf eine möglichst lange Karriere in der Nationalmannschaft. Gerade 21 geworden, sollte sie noch etliche Jahre vor sich haben – sofern sie ihr Leistungsvermögen halten kann und gesund bleibt.

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