Im Haus des Innensenators am Contrescarpe gab es am Dienstagvormittag Kino. Ein bisschen zumindest. Gezeigt wurde ein fünfeinhalb Minuten langer Kurzfilm, produziert von Fabian Boé beziehungsweise dessen Atelier Bojé-Design. Bojé arbeitet schon seit Längerem mit Utz Bertschy zusammen, so erzählt es der Lauf-Manager. Mithilfe des Fünf-Minuten-Videos wollte Utz Bertschy an diesem Dienstag zu Beginn eines informellen Gesprächs den Behördenvertretern sein Konzept zum 16. swb-Marathon vorstellen: einem Staatsrat aus der Innenbehörde, zwei Vertretern des Ordnungs-, einem des Sportamts, einem Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung sowie einem Referenten für Infektionsschutz aus dem Gesundheitsressort.
Wie die Filmkritik im Einzelnen ausgefallen ist, ließ sich am Dienstag nicht in Erfahrung bringen. Marathon-Veranstalter Bertschy behauptete zumindest hinterher, dass der Film gut angekommen sei. Tenor sei gewesen: Ja, so könnte es vielleicht etwas werden mit der auf der Kippe stehenden Großveranstaltung, die für den 4. Oktober vorgesehen ist. Die Kinorunde habe beschlossen, die Angelegenheit weiter zu prüfen und weiter im Austausch zu bleiben. Laut Innenbehörde läuft das Prozedere für eine Freigabe in Zeiten einer Pandemie so ab: Das Gesundheitsressort entscheide nach Infektionsschutzgründen, ob ein Marathon vorstellbar ist. Beziehungsweise in welcher Größe oder unter welchen Bedingungen. Falls ja, werde das Ordnungsamt gemeinsam mit dem Verkehrsressort und der Polizei die praktische Umsetzung begleiten. Bertschy sagt, er brauche eine Entscheidung bis zum 15. Juli.
Der Bremen-Marathon als solches ist dabei nicht das Reizthema. Die Gretchenfrage lautet eher: Wie laufen sie denn? Wie kann es funktionieren, wenn mit Covid-19 ein unsichtbarer Feind auftritt, den es dringend auf Abstand zu halten gilt? „Wenn wir es geschickt angehen“, sagt Utz Bertschy, „dann könnte es etwas werden.“ Es sei ja nicht bekannt, ab wann ein Impfstoff als Gegenmittel zur Verfügung steht. Also: Eigenverantwortung, gepaart mit schlauen Konzepten, das wäre für ihn der Weg durch die Pandemie. Im Politiker-Sprech hat sich dafür längst der Begriff „auf Sicht fahren“ etabliert.
Das Bojé-Video beginnt mit dem Slogan „Ein Bremer Modell: Mit Bedacht, Umsicht, Respekt und Energie zur zeitgemäßen Distanz beim swb-Marathon“. Und endet mit einem bekannten Hansestadt-Motto: „Buten und Binnen, Wagen und Winnen“. Zwischendurch wird in einer Art Zeichentrickfilm ein Marathonläufer, der Maik Gruber genannt wird, von der Anmeldung bis zum Heimweg begleitet. Gruber, der für den 42,195 Kilometer langen Marathon gemeldet hat, bekommt sein Starterpaket mit Maske, Hygienetüchern, Anweisungen, Zeitmess-Chip und Startnummer nach Hause geschickt. Damit begibt er sich in ein Parkhaus der Innenstadt, wo in einem ihm zugewiesenen Parkdeck ein Klappstuhl mit seiner Nummer für ihn bereit steht. Inklusive Versorgungsgürtel, Handtuchponcho und Hygieneausstattung für den Lauf. Sein persönlicher Umkleidetrakt quasi.
In Viererreihen und im Drei-Sekunden-Takt
Dann geht's los. Seine Startreihe wird aufgerufen. Die Läuferinnen und Läufer sollen diesmal nicht gemeinsam auf die Reise geschickt werden, sondern in Viererreihen und im Drei-Sekunden-Takt. Je nach Zielzeit-Angabe die schnellsten zuerst, die langsamsten zuletzt. Die vier verschieden Distanzen – Marathon, Halbmarathon, zehn Kilometer sowie Kinderlauf – sollen an vier verschiedenen Stellen des Stadtkurses beginnen. Pro Distanz dürften bis zu 2000 Menschen loslegen.
Für Marathoni Gruber ist am Rathaus der Startstrich und die Ziellinie. Vorbei an sogenannten VIP-Zuschauern auf Stühlen müssten auf den ersten hundert Metern die Masken noch getragen werden, bevor sie abgenommen werden dürften. An fünf oder sechs Stellen, beginnend in der Obernstraße, soll es „Zuschauerketten in Abstandsform“ geben, so die Titulierung. Poolnudeln sollen dazu dienen, die Abstände einzuhalten. Im Parkhaus soll für jeden auf seinem Klappstuhl ein Zielbeutel bereitliegen. Mit einer Marathon-Medaille und einer Flasche Krombacher. Alkoholfrei, versteht sich. Und noch einer Überraschung, so verheißt es das Video.
Am Ende benutzt der fiktive Maik Gruber noch einmal ein WC auf der Domsheide und genießt die Dusche daheim. Das Glückshormon-Gefühl, einen Marathon geschafft zu haben, genießt er sowieso, auch wenn es keine neue Bestzeit geworden ist. „Das ist ihm an diesem Tag nicht wichtig“, sagt der Sprecher. Wenn er denn tatsächlich stattfindet, gilt beim Bremen-Marathon 2020 das bekannte olympische Motto wohl noch etwas mehr als sonst. Dabei sein ist alles. Rekorde dürften bei einem Rennen, das unter den gegebenen Umständen ausgetragen wird, wohl nicht purzeln.
Ist der Film, den der illustre Contrescarpe-Kreis am Dienstag zu sehen bekam, mehr als nur ein Werbefilm? Schöne heile Welt, alles reibungslos, alles klinisch rein und bitte nicht mit der Realität zu verwechseln? Das wohl eher nicht, es sollte weniger zum Kauf verführt als vielmehr ein Konzept illustriert werden. „Ein Restrisiko bleibt“, sagt Utz Bertschy, der dennoch hofft, dass am 4. Oktober gerannt wird. Bislang hätten sich etwas mehr als 2000 Laufwillige angemeldet. Das ist noch weit entfernt von jenen 8000, die im vergangenen Jahr an den Start gegangen sind. „Viele wollen aber die Entscheidung, ob es eine behördliche Freigabe gibt, noch abwarten“, sagt Bertschy. Bald soll sie fallen: die Entscheidung, ob der der fiktive Maik Gruber ganz reale Nachahmer bekommt.
Sebrantke will vorbereitet sein
Wenn vom Bremen-Marathon die Rede ist, sollte auch über Oliver Sebrantke geredet werden. Der 44-jährige IT-Fachmann hat das Rennen bereits sechsmal gewonnen. Mit seiner Freundin Janine Kaiser, einer ambitionierten Triathletin, teilt er das Hobby Ausdauersport. In diesem Jahr platzte wegen Corona der Plan, bei der Betriebssport-WM in Athen zu starten und zur WM im Halbmarathon nach Toronto zu fliegen. Beides wurde abgesagt.
Dass bei einem Bremen-Marathon mit zeitverzögertem Start eine Wettbewerbsverzerrung nicht zu vermeiden wäre, ist ihm bewusst. Schnell könne man zu voher gestarteten Läufern aufschließen und hätte so eine bessere Zeit. Der Umstand ändert jedoch nichts an Sebrantkes Motivation. Auch nicht die Ungewissheit über die Austragung. Er trainere so, als ob der Lauf stattfinden würde, sagt er. Er wolle präpariert sein und sagt unumwunden: „Ich bin heiß.“