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Bremens neue Sportprofessorin Ina Hunger: Die Aufbauhelferin aus Göttingen

Seit Jahren wird in Bremen beklagt, dass den Schulen die Sportlehrer und den Vereinen die Übungsleiter ausgehen. Mit dem Comeback des Sportstudiengangs soll gegengesteuert werden. Am Steuerrad: eine Kapazität.
17.05.2024, 13:05 Uhr
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Ina Hunger: Die Aufbauhelferin aus Göttingen
Von Olaf Dorow

2008 beschloss man sein Aus, zehn Jahre später war er endgültig abgewickelt. Und je länger er nicht mehr vorhanden war, umso stärker wurde bedauert, dass das so ist. Die Einstellung des Sportstudienganges an der Uni führte in Bremen zu beständig wachsenden Defiziten. Immer häufiger meldeten sich Sportfunktionäre, Vereine, Schulen oder Eltern öffentlich zu Wort und beklagten den Mangel. Zu wenig Sport und Sportlehrer an den Schulen, zu wenig Trainer und Übungsleiter in den Vereinen.

Das alles wird Ina Hunger nicht im Handstreich zum Guten wenden können. Als eine Art Rettungshelferin darf man sie vielleicht trotzdem bezeichnen. Sie besetzt seit April die erste von drei Sportprofessuren, die sich Bremen nun wieder leistet. Der Studiengang Sport ist reaktiviert worden: Zum Wintersemester 2024/25 werden die ersten 60 Lehramtsstudierenden erwartet, 30 für die Grundschule, 30 für die Oberstufe beziehungsweise fürs Gymnasium. In vier Jahren, so der Plan, werden es fast 400 Sportstudenten sein an der Bremer Universität. Den praktischen Teil der Ausbildung, auch das ein senatorischer Beschluss, sollen sie dann in einer neu erbauten Sporthalle auf dem Uni-Gelände absolvieren können.

Bis dahin wird Frau Professor Hunger viel Aufbauarbeit geleistet haben. Und genau das, sagt sie, habe sie gereizt. 58 Jahre alt, habe sie sich deswegen in das langwierige und anstrengende Bewerbungs- und Berufungsverfahren für die
ausgeschriebene Stelle gestürzt. Immerhin hat das Verfahren ein halbes Jahr gedauert. 70 Seiten lang eine Bewerbungsschrift, sechs Stunden lang eine Anhörung; sie musste vor einer externen Kommission einen Vortrag halten sowie eine Lehrveranstaltung. Erst dann bekam sie den Ruf - und ein weitgehend leeres Büro unweit des Fallturms. Wie zur Bebilderung der Aufbau- beziehungsweise Ausgangssituation steht noch nicht viel mehr drin als ein Tisch und ein Stuhl.

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Ina Hunger, geboren in Bremerhaven, aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen und dreifache Mutter, ist guten Mutes. Etwas Neues entstehen lassen, ihm Profil geben: Das möge sie, sagt sie. "Man ist nach 16 Jahren ja irgendwie auch in einer Routine", sagt sie. Sie war 16 Jahre lang Sportprofessorin in Göttingen, an jener Uni, an der sie einst studiert hatte. Promoviert wurde sie in Osnabrück, habilitiert in Münster. Der Packen-wir's-an-Gedanke ist jetzt in Bremen ein viel stärkerer als all die Gedanken und Informationen über die altersschwache Sport-Infrastruktur an ihrer neuen Wirkungsstätte. "Ich hab's mir schlimmer vorgestellt", sagt sie dazu. Das könne ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein: Sie kommt unvoreingenommen und von außen hierher, nicht etwa aus einem bremischen Jammertal.

Ein Jammer, sagt Ina Hunger sinngemäß, sei eher der vielerorts immer noch leicht geringschätzige Blick auf das, was nötig ist, um ein guter Sportlehrer oder eine gute Sportlehrerin zu sein. Fachwissen? Pädagogische Ausbildung? Kann ja wohl nicht so schwer sein, die Bälle oder die Stoppuhr rauszuholen und Auf-die-Plätze-fertig-los zu sagen, oder? Dieses Klischee haftet dem Beruf des Sportpädagogen noch immer ein wenig an, "und das ist eine Katastrophe", sagt Ina Hunger. Sie ist Sprecherin des Ethik-Rates der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaften (DVS), sie engagiert sich seit vielen Jahren für Diversität und Gleichberechtigung im Sportunterricht. Wie wirken die Angebote auf die Schüler? Das ist, auch sinngemäß formuliert, eines ihrer zentralen Forschungsprojekte.

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Hungers Credo: In pädagogischer Hinsicht sind Sport- im Vergleich zu Mathe- oder Chemielehrern eher mehr als weniger gefordert. Versage ein Kind bei einer Sportübung, sei das im Zweifelsfall etwas deutlich Heftigeres als ein Schweigen bei der Chemie-Aufgabe. Ein Kind könne in der Gruppe viel schneller entblößt werden, wenn es den Ball nicht fangen oder schlecht werfen könne. "Sportliches Können und Beliebtheit hängt in gewissen Altersgruppen eng zusammen", sagt die Professorin. Das Ziel einer guten Sportstunde sei ja nicht primär, dass jemand schneller rennen kann. Sondern, dass das Kind einen eigenen Zugang zur Bewegung findet. Mit all den Nebeneffekten für Selbstwertgefühl und Gesundheitsbewusstsein, die damit mitgeliefert würden.

Ina Hunger kann sehr begeistert und begeisternd über solche Themen sprechen. Dann fallen durchaus Sätze aus, sagen wir mal: der Champions League der Sportpädagogik. Wenn die Professorin zum Beispiel sagt: "Wir müssen den Sportunterricht neu denken." Auch das wird ihr in Bremen selbstredend nicht im Handstreich gelingen. Aber auf den Weg gemacht hat sich Ina Hunger jetzt schon mal. Allein ist sie dabei auch nicht mehr lange. In der vergangenen Woche sind die Zusagen der ausgewählten Kandidaten für die beiden anderen neuen Sportprofessuren in Bremen eingetroffen.

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