Nico Röger ist seine körperliche Beeinträchtigung auf den ersten Blick nicht anzumerken. Vor mehr als 25 Jahren hatte er Knochenkrebs, sodass dem damals knapp Zehnjährigen Knie und Unterschenkel des rechten Beins amputiert werden mussten. Dank seiner Prothese bewegt sich der 35-Jährige im Alltag ohne Hilfsmittel.
Bei Jacob Wolff ist das anders. Nach einem Sturz vom Dach 2006 ist der gelernte Zimmermann inkomplett querschnittsgelähmt. Das heißt: Ein paar Schritte kann der 41-Jährige noch zurücklegen, aber im Grunde ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Was Röger und Wolff eint: Beide machen um ihr Handicap nicht viel Aufhebens. Und beide sind begeisterte Sportler mit Erstliga-Erfahrungen.
Sie fühlen sich als Sportler und nicht als Behindertensportler
„Der Sport bringt Lebensqualität“, antwortet Nico Röger auf die Frage, was ihm Rollstuhlbasketball gegeben habe. „Für Kopf und Körper ist wichtig, sich zu bewegen“, beschreibt er, was für behinderte und nichtbehinderte Sportler gleichermaßen gilt. „Mich hat mein Sport da abgeholt, wo ich nach dem Unfall stand“, sagt Jacob Wolff.
Sein Sport hieß bis 2016 Sledge-Eishockey und heißt jetzt Para-Eishockey – Eishockey auf einem Schlitten, auf dem der Spieler mit zwei kurzen, mit Spikes besetzten Schlägern sitzt. Para-Eishockey und Rollstuhlbasketball ist gemeinsam, dass sie von Aktiven mit und ohne Handicap gespielt werden können und dass Mädchen und Jungen, Frauen und Männer in der gleichen Mannschaft antreten können.
Die Begeisterung, mit der Röger und Wolff über ihren Sport sprechen, macht deutlich, wie glücklich sie als Sportler sind. Im Rollstuhl oder auf dem Schlitten fühlen sie sich nämlich als Sportler und nicht als Behindertensportler, wie sie betonen. Sie haben ein Handicap, ja, aber daran denkt im Spiel doch niemand. Was beide stört: Schon allein der Begriff Behindertensport baue Hemmschwellen auf.
„Unser Sport, wenn man ihn denn überhaupt wahrnimmt, unterliegt Vorurteilen“, sagt Röger, „manch einer glaubt, er sei zum Beispiel nicht rasant genug.“ Wolff formuliert es schärfer. „Behindertensport – da sehen viele gleich eine Rote Karte“, sagt er. Und meint damit: Allein schon der Begriff halte potenzielle Interessenten davon ab, den Sport auch nur auszuprobieren. „Also lass uns über Sport und nicht über Behindertensport reden“, fordert Wolff.
Es ist nicht alles schlecht
Nico Röger muss lachen, als er die Frage nach dem Stellenwert des Behindertensports hört. Er reagiert aber nicht mit Freude, sondern mit bitterer Ironie. „Wenn Politiker gerade auf Stimmenfang sind, kommen sie zu uns in den Verein“, sagt er, „wenn sie sich keinen Mehrwert von einem Besuch versprechen, bleiben sie weg.“ Immerhin habe die Berichterstattung zugenommen, sagt Jacob Wolff, aber im Vergleich zu anderen Ländern liege Deutschland „mit acht Minuten Tageszusammenfassung von Großerereignissen“ ganz weit hinten.
Es sei allerdings nicht alles schlecht. So freut sich Röger darüber, dass die Prämien für Behindertensportler bei den Paralympics inzwischen angepasst worden seien. Das sei „Ausdruck von Wertschätzung“. Der Basketballer räumt aber ein, dass auch die Behinderten selbst Teil des Problems seien. „Viele wissen gar nicht, welche Möglichkeiten es im Behindertensport überhaupt gibt“, sagt er, „wir müssen diejenigen gewinnen, die glauben, dass sie keinen Sport machen können.“ Und dann bemüht Röger ein gewaltiges Bild. „Wer erst mal gesehen hat, welchen Sport er machen kann, nimmt das, was er vorher für die Chinesische Mauer gehalten hat, nur noch als Zaun wahr.“
Nach vielen Jahren Erfahrung wissen Nico Röger, dessen sportliche Heimat der TSV Achim ist, und Jacob Wolff von den Weserstars in Bremen-Walle nur zu gut, wie schwer Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit sind. „Der Gedanke, dass unser Sport etwas Minderwertiges sein könnte, muss raus aus den Köpfen“, sagt Wolff – sowohl bei Behinderten wie bei Nichtbehinderten. „Die Hälfte unserer Mannschaft bei den Achim Lions besteht aus Fußgängern“, sagt Röger. Bei den Weserstars ist es laut Wolff genauso, nur formuliert es der 41-Jährige witziger: „Para-Eishockey ist eine Integrationssportart. Wir integrieren Nichtbehinderte.“
Röger und Wolff verstehen sich auch als Botschafter für den (Behinderten-)Sport. Und deshalb freuen sich beide auf die „Internationale Reha-, Pflege- und Mobilitätsmesse für Alle“ vom 14. bis 16. Juni in Bremen (siehe Text unten). Die Messe diene auch der Gewinnung von Nachwuchs für den Behindertensport. Auf der Bürgerweide können Menschen mit und ohne Behinderung erleben und selbst ausprobieren, welche Möglichkeiten der Behindertensport bietet.
"Oftmals kommen Quereinsteiger zu uns"
„Zu spüren, wie wendig ein Rollstuhl sein kann, ist ein echtes Erlebnis“, sagt Jacob Wolff. Offensichtlich ist es auch ein nachhaltiges Erlebnis. „Viele Neuzugänge der Achim Lions haben den Kontakt auf der Messe geknüpft, hier können wir uns zum Anfassen präsentieren“, sagt Nico Röger und hofft auf Nachwuchs für Rollstuhlbasketball, Para-Eishockey oder auch andere, inzwischen weit verbreitete Sportarten wie zum Beispiel Handbikefahren.
Kurios dabei: Wenn Behindertensportler von Nachwuchs sprechen, denken sie nicht unbedingt an junge Menschen. „Oftmals kommen Quereinsteiger zu uns“, sagt Jacob Wolff. Er selbst war schließlich auch einer, der als End-Zwanziger nach einem Unfall sein Glück im Behindertensport gefunden hat. „Die Weserstars sind zu meiner Familie geworden“, sagt er, „mittwochs, wenn wir trainieren, gehe ich in mein Wohnzimmer.“ Und noch etwas hat Wolff erfahren: Ein Behindertensportler kann auch als älterer Mensch noch große, sogar internationale Erfolge feiern. Wolff ist mit den Weserstars dreimal deutscher Meister geworden, zählt seit Jahren zur Nationalmannschaft und verpasste mit ihr nur knapp die Teilnahme an den Paralympics.
Messe auf der Bürgerweide
Zu enge Türen, zu hohe Bordsteine oder Stufen, wo eine Rampe nötig wäre: Wer auf einen Rollstuhl angewiesen ist, trifft im Alltag auf viele Hindernisse. Ein Perspektivenwechsel, bei dem gesunde Menschen probeweise im Rollstuhl sitzen, kann helfen, für derartige Probleme zu sensibilisieren. Wer Interesse hat: Vom 14. bis 16. Juni läuft auf der Bremer Bürgerweide in den Hallen 6 und 7 die Reha-Messe für Menschen mit Behinderung, Senioren, Pflegebedürftige und Angehörige.
An drei Tagen gibt es vielfältige Informationen zu den Themen Rehabilitation, Pflege und Mobilität. Auf einem Testparcours können Rollstühle, Scooter, Handbikes oder Spezialfahrräder ausprobiert werden. Vereine, Verbände und Behörden stehen mit Beratern bereit. Und: Das Thema Behindertensport wird ganz groß geschrieben. In Halle 6 sind Sportflächen aufgebaut, auf denen zum Beispiel Rollstuhl-Basketball, Rugby, Badminton, Tanzen, Tischtennis und Tennis demonstriert werden. Auf einer sechs Quadratmeter kleinen Eisfläche präsentieren Para-Eishockeyspieler ihre Sportart. Viele Behindertensportarten sind übrigens auch für Menschen ohne Handicap geeignet. Die Öffnungszeiten der Messe sind am Freitag und Sonnabend von 10 bis 18 Uhr und am Sonntag von 10 bis 16 Uhr. Weitere Infos unter www.irma-messe.de.