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In Delmenhorst in Sicherheit Wie Werders Schachprofi Zahar Efimenko mit Russlands Invasion umgeht

Spitzenspieler Zahar Efimenko holte einst die deutsche Schachmeisterschaft für Werder. Auch er musste mit seiner Familie die ukrainische Heimat verlassen – und kämpft mit seinen Mitteln gegen den Krieg.
04.07.2022, 18:00 Uhr
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Wie Werders Schachprofi Zahar Efimenko mit Russlands Invasion umgeht
Von Olaf Dorow

Neulich in Mühlheim musste er gegen einen Russen antreten. Es war nur ein Schachspiel, aber es war nicht einfach für Zahar Efimenko. Schach ist der Sport für den Kopf, und in seinem Kopf ist seit Monaten der Krieg. "Es wird hundert Jahre dauern", sagt Zahar Efimenko, "bis wir Ukrainer den Russen vergeben können für das, was sie tun." Dabei gehört er noch zu den Ukrainern, denen es, nun ja: ganz gut geht. Mit einem Visum für Leistungssportler konnte Werders Bundesliga-Profi  ausreisen. Er musste sich nicht trennen von Frau und Kind, er lebt seit Anfang Mai mit seiner Frau Maria und seinem sechsjährigen Sohn Nikita in Delmenhorst.

Sie sind in Sicherheit. Sie mussten "nur" ihre Heimat verlassen, sie müssen "nur" diese Bilder ertragen, die Zerstörung und Leid in ihrer Heimat zeigen. Sie müssen "nur" um die Eltern und Freunde bangen, die dortgeblieben sind. Efimenkos Eltern leben in der Westukraine, die Schwiegereltern auf der Krim. Sein erster Schachlehrer, zu dem er noch engen Kontakt pflegt, lebt in Kramatorsk, dort, wo auch er herkommt und wo er später studierte. Kramatorsk im Osten der Ukraine war Anfang April überall in den Nachrichten. Laut der Berichte warteten Menschen in der Bahnhofshalle auf ihre Evakuierung, als Raketen einschlugen. Fast hundert Menschen sollen umgekommen sein, darunter 16 Kinder.

Es sei ein Unterschied, sagt Zahar Efimenko, ob man diese TV-Bilder in Deutschland sieht oder daheim. Er hat mit seiner Familie in Mukatschewo gelebt, nahe der ungarischen Grenze. Wenn die Alarmsirenen heulten, was regelmäßig vorgekommen sei, seien sie schnell in den Keller gegangen. Die Wohnung habe in der fünften Etage gelegen, das war kein sicherer Ort bei Luftangriffen. Als der Krieg begann am 24. Februar, habe ihn seine Frau um fünf Uhr geweckt. Er habe es nicht glauben können, dass Putins Armee von allen Seiten angreift. Dann sah er im Fernsehen die Bilder, wie Panzer Richtung Kiew rollten. "Da kam die Panik, das war der erste Impuls", sagt Efimenko.

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Der zweite Impuls sei gewesen: Ich will kämpfen. Der Schachspieler, der wie seine Frau von Schachturnieren und -unterricht lebt, wollte sich registrieren lassen. Die nüchterne Erkenntnis, dass er noch nie eine Waffe in der Hand hatte, ließ ihn umdenken. Das, was er kann, ist doch Schach. Er kann das sehr gut. Seit fast zwei Jahrzehnten schon reist er zu Werders Bundesliga-Spielen an, 2005 schrieb er grün-weiße Geschichte. Am 8. Mai, auf den Tag genau ein Jahr nach Werders Fußball-Triumph in München, holte er im Finale um die deutsche Schach-Meisterschaft gegen Köln-Porz im Weserstadion den entscheidenden Punkt. "Das war für uns damals wie das Tor von Wynton Rufer im Europacup-Finale", sagt Oliver Höpfner, Werders Schach-Vorsitzender.

Zahr Efimenko entschied sich, mit seinen Mitteln als Schachspieler gegen Russlands Krieg zu kämpfen. Er spielte und lehrte, um Geld für die Armee schicken zu können, er schickte Lebensmittel und Medikamente in den Osten des Landes. Dort hätten die Menschen, sagt er, bisweilen nur fünf, sechs Stunden Zeit gehabt, um zu überlegen, was sie jetzt machen sollen. Ganz im Westen der Ukraine habe er mehr Zeit gehabt. Ende April entschloss sich die Familie, nach vielen Nächten ohne Schlaf, zu gehen.

Sie packten das Auto, so voll es ging, mussten die ganze Schachliteratur und zu Nikitas großem Bedauern auch dessen Sammlung von 300 Spielzeugautos zurücklassen – und waren nach zwei Tagen Fahrt in Delmenhorst. Gennadij Fish, der seit vielen Jahren für Werder spielt, in Bremen lebt und ursprünglich auch aus der Ukraine kommt, hatte über Freunde die Wohnung besorgt. Damit war auch Werders dritter ukrainischer Spitzenspieler in Sicherheit. Kirill Shevchenko aus Kiew kam am Starnberger See unter, Alexander Areshchenko lebt mit seiner Familie derzeit im polnischen Katowice.

Ob sie jemals zurückkehren werden nach Hause? "Ich weiß es nicht", sagt Zahar Efimenko. Niemand wisse doch derzeit, wie das zuhause weitergeht, niemand könne für irgendwas garantieren. Solange der Krieg in seinem Land tobt, werde er in Deutschland bleiben, sagt er. Und von Deutschland aus versuchen, mit seinen Mitteln gegen diesen Krieg zu protestieren und etwas zu tun. Wenn am Donnerstag im Weserstadion das XXL-Turnier um die deutsche Meisterschaft startet, will er gemeinsam mit Landsmann Andrey Sumets ein Zeichen setzen. Efimenko und Sumets laden ab 18.30 Uhr zu einem Doppel-Simultan-Turnier gegen rund 30 Gegner ein. Das Startgeld und die Spenden der Gegner sollen an die ukrainischen SOS-Kinderdörfer gehen. Auch der frühere Werder-Star und Aufsichtsratschef Marco Bode hat sein Kommen zu der Aktion zugesagt.

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In der Schach-Bundesliga hat Zahar Efimenko zuletzt regelmäßig geliefert, auch wenn es nicht so einfach gewesen sei, sagt er, sich auf Schach zu konzentrieren. Na klar habe sich alles normalisiert, seit sie in Delmenhorst wohnen und keine Sirenen mehr dröhnen. Nikita sei schnell über den Verlust seiner Autosammlung hinweggekommen. Der Junge nehme den Umzug in einen mehr als tausend Kilometer entfernten Ort eher wie ein großes Abenteuer wahr, sagt sein Vater. Allerdings frage er, je näher der Termin der Einschulung rückt, immer häufiger nach, wie das denn gehen solle. Er könne doch kein Deutsch. Aber auch das will Familie Efimenko in den Griff bekommen, deren Prioritäten sich wie bei Millionen Landsleuten in den vergangenen Monaten verschoben haben. "Früher", sagt Zahar Efimenko, "ging es an erster Stelle um Schach." Zuletzt sei es um die Frage gegangen: "Wie bleiben wir am Leben?" 

Zur Sache

Großturnier im Weserstadion

Von diesem Donnerstag an geht es in den VIP-Räumen des Weserstadions um die deutsche Schachmeisterschaft. Bis zum Sonntag werden dabei in einer Art Großturnier die Spieltage 11 bis 15 ausgetragen. Das heißt, dass alle 16 Bundesliga-Teams nach Bremen angereist sind. Die Endrunde hatte zuletzt in einem Berliner Hotel stattgefunden, Werder sprang nach der Berliner Absage für 2022 ein. Um die Kosten stemmen zu können, hat Werders Schach-Abteilung, die das Turnier gemeinsam mit dem niedersächsischen Schachverband ausrichtet, finanzielle Unterstützung durch die Bremer Wirtschaftsförderung bekommen - und auch einen Namenssponsor gefunden. Das Event heißt offiziell "Grenke Endrunde der Schach-Bundesliga". 

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