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Karina Schönmaier Das Bremen-Chemnitz-Modell

Für die WM-Turnerin zeichnet sich eine Lösung für den weiteren Karriereweg ab. Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch soll es in der Frage sein, ob sie in Bremen bleibt oder nach Chemnitz geht.
08.11.2022, 17:07 Uhr
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Das Bremen-Chemnitz-Modell
Von Olaf Dorow

Nach der WM ist vor dem Kurzurlaub. Die letzten Monate waren hart. Jetzt mal eine Woche Ruhe, das war der Plan. Glücklich und geschlaucht kam die Huchtinger Turnerin Karina Schönmaier, die es bei ihrer WM-Premiere in Liverpool als einzige Deutsche ins Mehrkampffinale und dort auf Rang 22 geschafft hatte, am Bremer Flughafen an. Schnell nach Hause und schön ausschlafen – so habe sie sich das gedacht, sagte sie. Doch daraus wurde nichts. Und Urlaub kann man das auch nicht nennen, was demnächst kommt.

Erstens kam sie doch nicht so schnell nach Hause. Am Flughafen überraschte sie ihr Verein TuS Huchting mit einem Empfang, der nicht nur eine Weile dauerte, sondern der es auch in sich hatte. Laut dröhnte Tim Bendzkos Hit "Hoch", laut jubelten die jungen Turnerinnen des Vereins und hielten ihre Plakate hoch. Karina Schönmaier wurde in die Luft geworfen und umzingelt von Blumensträußen, Luftballons, Riesenteddy. Sie war zu Tränen gerührt.

Zweitens: Sie will ihr Bundesliga-Team nicht hängen lassen und am Wochenende bereits wieder an die Geräte gehen, da bleibt nicht viel Zeit zum Entspannen. Vor allem aber steht Drittens an: der eventuell einzuschlagende Weg zum Bundesstützpunkt Chemnitz. Wochenlang hat sich die 17 Jahre alte Bremer Sportlerin des Jahres mit dem Gedanken gequält, ob sie nun nach Sachsen gehen oder in Bremen bleiben soll. Verwerfungen zwischen ihrer Mutter und ihrer Trainerin Katharina Kort hatten nicht eben dazu beigetragen, die Entscheidung zu erleichtern. "In Chemnitz zu trainieren, würde mir schon weiterhelfen", sagte Karina Schönmaier auch am Flughafen noch einmal, "aber genauso schwer ist es loszulassen. Ich bin tausendmal dankbar, dass ich das alles hier habe."

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Inzwischen ist ein Plan gefasst. Vereinfacht gesagt, will sie in Bremen bleiben, aber zumindest ein bisschen nach Chemnitz gehen. Es klingt fast nach einer salomonischen Lösung. Bremens derzeit wohl größtes Sporttalent, das sich berechtigte Hoffnungen auf einen Olympiastart 2024 in Paris machen darf, ist diejenige, die anders als die Konkurrenz fernab von Stützpunkt-Förderung bis in die erweiterte Weltspitze vorgedrungen ist. Und je älter, reifer und sportlich erfolgreicher sie wird, wird ihr immer bewusster, dass die Spitze der Weltspitze mit ihrem hausgemachten Bremer Modell kaum erreichbar sein wird. Größtes Handicap: die, nun ja, heruntergerockte Huchtinger Halle. Sie ist zu klein und zu alt. Die Stadt will sie abreißen und eine neue Halle bauen. Aber auch die könnte mit denen eines Stützpunktes nicht mithalten – und wird voraussichtlich erst fertig, wenn Olympia 2024 schon vorbei ist.

Die salomonische Lösung ist noch längst nicht bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Das komplette Startrecht soll aber beim TuS Huchting bleiben, Karina Schönmaier soll quasi die beste Bremer Turnerin bleiben, die zusätzlich in Chemnitz trainiert. Wie oft, steht noch nicht fest. Das Training in Bremen würde weiterhin ihre langjährige Betreuerin Katharina Kort übernehmen. Damit ihre Trainerstunden bezahlt werden können, würde die fortgeführte Unterstützung durch die Bremer Sportstiftung herangezogen werden können. So schildert es die Trainerin.

Vergleichbar mit der wackligen Angelegenheit auf dem Schwebebalken ist die Sache mit der Schule. Karina Schönmaier hat einen Realschul-Abschluss. Bis sie 18 ist, ist sie zu einer weiteren Ausbildung verpflichtet, entweder zu einer schulischen oder einer beruflichen. "Wir suchen nach der bestmöglichen individualisierten Lösung", sagt dazu Harald Wolf, der Leistungsport-Koordinator der Sportbetonten Schule an der Ronzelenstraße. Es ist quasi Teil des Versuchs, ein Bremer Toptalent weitgehend in Bremen zu halten. In diesem Fall ein Talent, das sehr an Bremen und seinem Huchtinger Mikrokosmos hängt. Die mäßige sportliche Konkurrenzfähigkeit Bremens außerhalb des Profifußballs ist ohnehin hinlänglich bekannt. Schwimmer Florian Wellbrock, Radsportler Lennard Kämna, Handballer Finn Lemke, Hürdensprinterin Carolin Nytra oder Hockeyspielerin Kristina Hillmann – sie alle gingen irgendwann weg, weil es anderswo ganz andere Möglichkeiten gab, die Träume von Olympia, WM-Medaillen oder Tour-de-France-Triumphen zu verwirklichen.

Karina Schönmaier sagt, dass sie das jetzt angehen will, dieses besondere Bremen-Chemnitz-Modell. Sie will das hinkriegen, sie hat doch schon so viel hingekriegt mit ihren erst 17 Jahren. Bei der WM in Liverpool schaffte sie es in der Mehrkampf-Qualifikation über die magische 50-Punkte-Grenze und wurde zweite Nachrückerin für das Finale der besten 24 Turnerinnen der Welt. Einen Tag vorm Finale war sie am Mittwoch vergangener Woche dann schon erste Nachrückerin, ehe sie am nächsten Morgen die Information bekam: Du bist heute im Finale dabei. "Das war megakrass. Ich war sehr aufgeregt", gestand sie. Als es am Abend zu den 8000 Zuschauern in die Halle ging, sei sie aber in eine Art Tunnel-Modus verfallen: Wettkampf genießen, Erfahrung mitnehmen, das Ding durchziehen. So kam es. Sie hatte nur ein paar kleine Wackler – und verbesserte sich noch um zwei Ränge. 

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