Im Vergleich zu anderen Städten zeigte sich Bremen schon im Mittelalter besonders offen für Neuankömmlinge. Sie gewährte den Bürgerstatus auch Angehörigen niederer Stände, wie die Vortragsbesucher jüngst bei der Reihe „Wissen um elf“ erfahren haben. „Auch Diener und Mägde durften hier Bürger werden: In Magdeburg zum Beispiel war das ausdrücklich verboten“, erzählt Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Staatsarchivs, als er im Haus der Wissenschaft gemeinsam mit dem Mittelalterforscher Ulrich Weidinger die bereits im vergangenen Jahr erschienene Neu-Edition des Bremer Bürgerbuchs präsentiert.
Jeder, der in Bremen zwischen anno 1289 und 1519 den Bürgerstatus erhalten hat, ist namentlich im sogenannten Bremer Bürgerbuch verzeichnet. Zusätzlich dazu sind oftmals auch Herkunft und Beruf vermerkt, was die Amtsschrift zu einem „Flaggschiff der Mittelalterforschung“ macht, wie Historiker und Archivar Konrad Elmshäuser im Haus der Wissenschaft sagt. Es sei darüber hinaus nämlich auch das älteste Bürgerbuch, das über einen solch langen Zeitraum durchgängig geführt worden ist. Es stammt aus einer Zeit, in der sich Städte gerade erst gebildet haben, so Elms-häuser weiter. Elmshäuser: „Dieser Prozess hat im ausgehenden zwölften Jahrhundert begonnen.“
Anders als heute musste das Bürgerrecht im Mittelalter noch erworben werden. Viele der Neubürger, die aus ländlichen Gebieten – etwa aus Oldenburg, Hoya, Westfalen und dem Gebiet der Oberen Ems – nach Bremen kamen, waren von niederem Stand und gehörten demzufolge einem Grundherrn. Auch ihre Kinder waren von Geburt an Leibeigene. „Wer sich in einer solch bedrückenden Lebenssituation befunden hat, für den muss die Stadt wie eine Verheißung geklungen haben“, sagt Elmshäuser, „denn wer ein Jahr und einen Tag lang innerhalb der Stadtmauern gelebt hatte, konnte ab diesem Zeitpunkt von seinem Herrn nicht mehr zurückgefordert werden.“
Mit dem öffentlichen Bürgerschwur erlangten die Neubürger aber nicht nur ihre Freiheit, sondern auch das Recht, Grund und Boden zu erwerben und einem Berufsstand beizutreten. „Das machte die Stadt als Lebensort so attraktiv, dass sie immer mehr Menschen angezogen hat.“
Bremen wuchs stetig weiter, und im Jahre 1289 waren es schließlich so viele Neubürger geworden, dass der Schwur nicht mehr nur mündlich geleistet, sondern auch schriftlich im Bürgerbuch festgehalten wurde. Knapp 30 000 Namen sind dort insgesamt verzeichnet.
„Auf das Jahr gesehen schwankt die Zahl“, ergänzt Mittelalterforscher Ulrich Weidinger, der drei Jahre lang an der Transkription der historischen Schrift gearbeitet und für die Neu-Edition jeden Namen einzeln entziffert hat: „Mal sind es 150 Menschen, die in einem Jahr den Bürgerschwur leisten, mal keiner.“ Die Bedingungen dafür wurden vom Bremer Rat festgelegt, der auf diese Weise die Zuwanderungspolitik regelte. Es musste ein gewisser Geldbetrag entrichtet werden, und jeder potenzielle Neubürger brauchte einen Bremer, der persönlich für ihn bürgte.
Nachdem 1350 viele Bremer der Pestepidemie zum Opfer gefallen waren – 6800 sollen es gewesen sein und damit die Hälfte der Stadtbevölkerung – erleichterten die Ratsherren die Einwanderung und zogen damit viele Menschen aus dem Umland an. „Das wiederum gefiel dem benachbarten Grafen von Hoya gar nicht“, erzählt Elms-häuser „und so kam es in der Folge zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Bremen und Hoya.“ Daraufhin sank die Zahl der Neubürger wieder.
„Das Bürgerbuch ist Zeugnis der Stadt- und Bevölkerungsentwicklung Bremens“, sagt Weidinger, „aber auch eine Forschungsquelle für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt.“ Die Berufe der Menschen sind oft mit aufgeführt, und über den Namen des männlichen Haushaltsvorstands hinaus sind ebenfalls die von Frau und Kindern vermerkt.
„Wenn es dann an manchen Stellen noch zusätzlich heißt ‚Heinrich, der Sohn des Johannes‘, lassen sich auch Verwandtschaftsbeziehungen herstellen.“ Am häufigsten kamen namentliche Variationen vor, die vom Beruf des Schuhmachers und des Schmieds abgeleitet sind. Aber auch viele Schneider und Böttcher seien in dem Buch verzeichnet. „Erstaunlich ist“, sagt Ulrich Weidinger, „dass der Segelmacher in einer Stadt wie Bremen nur einmal im gesamten Zeitraum von 230 Jahren auftaucht.“ Die Publikation, die im Selbstverlag des Bremer Staatsarchivs erschienen und im Buchhandel für 45 Euro erhältlich ist, sei nicht nur wichtig für die Mittelalterforschung, wie Elmshäuser sagt, sondern sie sei auch für die allgemeine Öffentlichkeit von großem Interesse.
Wer im Staatsarchiv Einblick in das Amtsbuch nehmen möchte, kann dies über die normalen Öffnungszeiten hinaus auch am Sonnabend, 5. März, tun. Zum bundesweit stattfindenden Tag der Archive ist das Staatsarchiv dann von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Ab 11 Uhr werden stündlich Führungen in den Magazinen und Werkstätten angeboten, und im Lesesaal läuft ein Bücherflohmarkt. Im Foyer wird die Ausstellung „The Beat goes on“ über Leben und Werk der Bremer Fotografin Jutta Vialon gezeigt. Und der Arbeitskreis der Bremer Archive informiert an seinem Infostand über die bremische Archivlandschaft. Der Eintritt ist frei.