Sie werden immer mehr und gefährden den Hochwasserschutz in Bremen, sagen Expertinnen und Experten einhellig. Nutrias bauen ihre Habitate bevorzugt an Flussufern. Sie vermehren sich so schnell, dass die Bremer Landesjägerschaft mit der Bejagung der invasiven Art "kaum hinterherkommt", sagt Stadtjägermeister Richard Onesseit. Der technische Leiter des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer, Rolf Dülge, ist alarmiert. Was tun, damit die Deiche auch zukünftig halten?
Nutrias in Zahlen
Nutrias dürfen seit einigen Jahren bejagt werden. Dennoch steigt die Zahl der Population rasant an: Im Jahr 2017 habe man 200 Tiere getötet, 2018 waren es 500, für 2019/2020 meldete die Landesjägerschaft dem Deichverband 1300 bejagte Tiere. "Und die Zahlen steigen kontinuierlich weiter", so Richard Onesseit. Der Chef der Jägerinnen und Jäger in Bremen berichtet von über 2173 getöteten Tieren im Jagdjahr 2022/23. Ein Jahr später waren es bereits 2469 Tiere. Zahlen für das laufende Jagdjahr gebe es Ende März.
Vermehrung während des Jahrhunderthochwassers
"Man muss allerdings anmerken, dass durch die großräumigen Geländeüberflutungen im letzten Winter die Tiere sehr exponiert waren", sagt der Stadtjägermeister. Nun hoffe er auf einen Rückgang der Zahlen. Das Problem bei der Vermehrung der Tiere: "Als eingeschleppte Art sind sie nicht an hiesige jahreszeitabhängige Fortpflanzungszyklen gebunden und vermehren sich ununterbrochen. Zu sagen, sie vermehren sich wie die Karnickel, wäre eine maßlose Untertreibung", so Onesseit. Es gebe keine natürlichen Feinde – "höchstens den Seeadler", merkt Diplom-Biologe Rolf Dülge an. Nutrias seien groß und wehrhaft. "Sie sind als Beute für alle unsere Raubtiere unattraktiv", erklärt der Stadtjägermeister weiter. Lediglich starker, lang andauernder Frost könne ihnen gefährlich werden.

Stadtjägermeister und Revierinhaber Richard Onesseit
Wie schaden die Nutrias den Deichen?
"Abgesehen davon, dass sie Felder und Deiche unterwühlen, sind sie eine ökologische Katastrophe für Wasserlebewesen, weil der Auswurf, der bei der Bautätigkeit in den Gewässern landet, die aerobe Schicht vom Sauerstoff trennt und zu ausgedehnten Fäulniszonen führt", berichtet Onesseit. Das Durchschnittsgewicht eines Tieres liege bei acht Kilo. "Der Rekord liegt meines Wissens in Bremen bei 19 Kilo." Die Tiere würden fünf bis 15 Meter lange Bauten in die Deiche und in die Flussufer graben. Flussufer und Deiche würden so stetig unterhöhlt.
Wohngebiete inzwischen auch betroffen
Nutrias besiedeln auch Kleingarten- und Industriegebiete sowie Wohnviertel. "Wenn Sie sich die Stadt auf Google Maps von oben ansehen, können Sie erkennen, dass Bremen von unzähligen Gräben, Teichen, Flüssen und Seen durchzogen ist und dort, wo keine Gefahr droht und vielleicht das eine oder andere Leckerli abfällt, suchen sie regelrecht die Nähe des Menschen", sagt der Stadtjägermeister.

Gunnar Siedenschnur
Das sagen Natur- und Tierschützer
Gunnar Siedenschnur von der Biologischen Station Osterholz (Bios) kennt das Problem durchlöcherter Deiche und Grabenränder durch Beobachtung und aus Erzählungen der Deichverbände. "Gleichwohl bin ich kein ausgewiesener Experte für Nutria", betont der Umweltwissenschaftler und Ökologe. Ist er für oder gegen eine Bejagung? "Spontan verbietet der ethische Gedanke die Bejagung von Eltern- und Jungtieren, im Fall der Nutrias ist es aber für die Sicherheit der Menschen notwendig, die Bestände zu regulieren", stellt der 44-Jährige klar. Allerdings nur, wenn die Deichsicherheit in Gefahr sei. Bei der Frage Deichschutz versus Tierschutz müsse man sich im Einzelfall fragen: "Was wiegt an welcher Stelle schwerer?" Wenn Deiche unterhöhlt werden würden und Menschenleben in Gefahr sei, rechtfertige das eine ganzjährige Bejagung, sagt Siedenschnur. "Und zwar auch zu Zeiten, in denen sonst nicht gejagt wird."
So werden die Deiche geschützt
Laut Stadtjägermeister gibt es rund 80 Jägerinnen und Jäger, die die invasive Art in Schach halten würden. "Viele gehen täglich auf die Jagd", sagt Onesseit. "Wir müssen der Situation habhaft werden." Laut Deichverband zahle man den Jägern eine Prämie pro Tier und bezuschusse den Kauf von Fallen.