Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Die Geschichte der Bremer Woll-Kämmerei Seltene Pflanzen und wertvolles Fett

Als Nachfolgeorganisation des Fördervereins Kämmereimuseum hat Detlef Gorn die Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal gegründet. Er schreibt Texte über die Geschichte der Bremer Woll-Kämmerei.
04.10.2021, 20:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Seltene Pflanzen und wertvolles Fett
Von Julia Ladebeck

Blumenthal. Es ist ein reicher Fundus, den Detlef Gorn und seine Mitstreiter vom Förderverein Kämmereimuseum im Laufe der Jahre zusammengetragen haben. Er enthält Zeitzeugenberichte, Dokumente und Fotos, die die Geschichte der Bremer Woll-Kämmerei (BWK) und des Alltags der Arbeiterinnen und Arbeiter in Blumenthal dokumentieren. Nachdem der Förderverein aufgelöst wurde – derzeit befindet er sich noch im Status der Liquidation – hat Gorn einen Großteil des Materials dem Staatsarchiv übergeben. In digitalisierter Form steht es ihm und den Mitgliedern der Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal, die er als Nachfolgeorganisation ins Leben gerufen hat, aber weiterhin zur Verfügung. Es ist die Grundlage für Artikel über die BWK, die Gorn mittlerweile fast jeden Donnerstag über das soziale Netzwerk Facebook veröffentlicht.

Die Themen der Texte sind vielfältig. Sie handeln vom Betriebssport, von der Betriebsfeuerwehr, den Gebäuden, besonderen Persönlichkeiten, der Weihnachtszeit und dem Feierabend auf der BWK. Es geht um die Arbeit der Frauen, Aspekte des Nationalsozialismus und die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Einige Geschichten könnten selbst alteingesessene Blumenthaler zum Staunen bringen. Ein Artikel, den Gorn im April in die Facebook-Gruppe "Du kommst aus Bremen-Nord wenn" gestellt hat, richtet sich speziell an Botanik-Freunde. "Wussten Sie, dass in Blumenthal über 300 (!) Pflanzenarten nachgewiesen wurden, die es in ganz Europa nicht gab?", heißt es darin.

Hintergrund dieser Besonderheit war laut Gorn die Verarbeitung von Schafswolle, die aus verschiedenen Teilen der Erde stammte. "Die ,Rohwolle' von täglich 60.000 Schafen wurde in Blumenthal gewaschen, gekrempelt und zum Schluss gekämmt", so der 70-Jährige. Mit der Rohwolle kamen auch Samen und Pflanzen nach Blumenthal. "Sie wurden ,anhaftend eingeschleppt' und bereicherten die einheimische Flora. Der samenreiche Wollabfall, der nicht mehr wirtschaftlich verwertet werden konnte, wurde auf dem Gelände der Bremer Woll-Kämmerei (BWK) großflächig verstreut – sehr zur Freude der Universität Bremen und seinem Fachgebietsleiter für Vegetationsökologie, Josef Müller." Müller sei mit seinen Studenten häufig Gast auf dem BWK-Areal gewesen. "Hier betrieben sie ihre Studien an den auswärtigen Pflanzen."

Ein weiterer Text behandelt "das gelbe Gold von Blumenthal". Es geht um Wollfett und dessen Verwendung in der Kosmetikbranche. Die Schafswolle, die von Natur aus dreckig und fettig war, musste gewaschen werden, schildert Gorn. "Der Waschprozess beinhaltete – wie bei einer handelsüblichen Haushaltswaschmaschine – Vorwäsche, Hauptwäsche und Spülgänge." Weil die Wolle beim Waschen nicht verfilzen durfte, war weiches Wasser unabdingbar, erläutert er. Das gewann die BWK aus zehn Tiefbrunnen in Wätjens Park und bevorratete es für den Betrieb der Wäscherei in einem Wasserturm auf dem BWK-Gelände.

Dem gebrauchten Waschwasser wurde mithilfe einer Zentrifuge das aus der Wolle ausgewaschene Wollfett entzogen. Daraus wiederum gewann man das für die Weiterverarbeitung wertvolle „Lanolin“, das in der Kosmetikindustrie eingesetzt wurde – als Ausgangsprodukt unter anderem für Hautcreme und für Lippenstifte.

Die Sammlung, auf die Gorn für seine Texte zurückgreifen kann, ist riesig. Immerhin gestaltete der Förderverein Kämmereimuseum mit dem umfangreichen Material ganze Ausstellungen. 2014 zeigte der Verein "Die Bremer Wollkämmerei in der Zeit des Nationalsozialismus" im Gebäude der ehemaligen Blumenthaler Bibliothek. Ein Jahr später wurde am selben Ort die Ausstellung "Frauen auf der BWK“ eröffnet. Beide Dokumentationen wurden von vielen ehemaligen BWK-Beschäftigten besucht und stießen auch in der Bevölkerung auf großes Interesse.

Dass eine Ausstellung über die BWK heute ebenso viel beachtet werden würde, glaubt der frühere Vereinsvorsitzende nicht. "Das Interesse ist längst nicht mehr so vorhanden, wie noch vor zehn Jahren", meint er. Das ist aber nur ein Grund dafür, warum er von dem Vorhaben abgerückt ist, noch einmal eine Ausstellung zu planen. "Dafür braucht man Geld", nennt er einen weiteren, "und das haben wir nicht". Das restliche Vereinsvermögen wurde zweckgebunden der Bürgerstiftung Blumenthal übertragen – zur Pflege und Erhaltung der Denkmäler und der Phone-Guides auf dem BWK-Gelände.

Allenfalls die Gestaltung einer Vortragsreihe kann Gorn sich vorstellen. Inhaltlich existiert die seinen Worten nach bereits. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie seien die Beiträge gemeinsam mit anderen Mitgliedern bereits vorbereitet und fest geplant gewesen. Inhaltlich sollte es um die Industriegeschichte von Bremen-Nord gehen. Die Vorträge behandeln demnach neben der BWK auch die Geschichte des Unternehmens Spinnbau in Farge, der Maschinen- und Armaturenfabrik Dewers in Rönnebeck und der Norddeutschen Steingut in Grohn. Ein fünfter Vortrag sollte sich um die Freizeitgestaltung in Bremen-Nord drehen und dabei speziell die zahlreichen Kinos in den Blick nehmen, die früher in Bremen-Nord existierten. "Die Corona-Pandemie hat das alles aber in weite Ferne gerückt", sagt Gorn, der sich deshalb vorerst lieber auf Texte konzentriert, die er im Internet veröffentlicht.

Zur Sache

Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal

Der Förderverein Kämmereimuseum hatte laut Detlef Gorn zum Schluss 70 Mitglieder. 40 von ihnen haben sich seinen Worten nach der Nachfolgeorganisation Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal angeschlossen. Dabei handelt es sich nicht um einen Verein und die Mitgliedschaft ist für Menschen, die E-Mails empfangen können, kostenlos. Für Postempfänger erhebt die Initiative 13 Euro pro Jahr für Druckkosten, Postversand und Papier. Die Mitgliedschaft kann zu jeder Zeit ohne Angaben von Gründen beendet werden. Es bestehen keine Verpflichtungen. Ziel der Initiative ist es, die Erinnerungen an die Bremer Woll-Kämmerei (BWK) zu erhalten. Detlef Gorn veröffentlicht in der Facebook-Gruppe "Du kommst aus Bremen-Nord wenn" regelmäßig Artikel über die BWK. Als nächste Themen sind Texte über "Das soziale Gesicht der BWK" und unter dem Titel "Fluch und Segen zugleich" über die Gemeinschaft in der George-Albrecht-Straße in den 1970er-Jahren geplant.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)