Bremen-Nord. Diese Kriminalitätsstatistik ist eine Ausnahme. Das merkt man gleich: Fallzahlen, die in den vergangenen Jahren hoch waren, sind auf einmal niedrig – und Werte, die meistens niedrig blieben, sind auf einmal hoch. Alles ist anders, weil auch 2020 anders war. Für die Beamten ist die neueste Straftaten-Bilanz für den Bremer Norden so etwas wie eine Pandemie-Bilanz. Und eine, die so viele Straftaten dokumentiert wie seit Langem nicht.
Polizeileiter Michael Steines hat es ausrechnen lassen. Der Chef der Abteilung Nord-West kommt auf 8489 Delikte, die im Vorjahr in Vegesack, Blumenthal und Burglesum registriert wurden. Das sind 1857 mehr als im Jahr zuvor, was ein Plus von 28 Prozent bedeutet. Steines erklärt den Anstieg zum einen damit, dass in die neue Statistik viele alte Fälle hineingerechnet wurden, die im Vorjahr abgearbeitet worden sind. Aber vor allem mit der Pandemie und ihren Auswirkungen.
Der Abteilungsleiter sagt, dass viele Behörden wegen der Lockdown-Phasen eine Zunahme der häuslichen Gewalt prognostiziert haben – und die Polizei jetzt quasi den Beleg dafür hat, dass diese Annahme richtig war. Allein die Zahl der einfachen Körperverletzungen (963) stieg im Bremer Norden um 277 Fälle, die der schweren (220) um 40. Hinzu kommen auch mehr Sachbeschädigungen als in anderen Jahren. Laut Statistik gab es einen Anstieg um 102 Taten. Nach Steines' Worten haben sich die Aggressionen in der Pandemie eben nicht nur gegen Menschen gerichtet.
Das größte Plus gab es in einem Bereich, der sonst eine kleinere Rolle bei den Nordbremer Einsatzkräften spielt: dem Internetbetrug. Abteilungsleiter Steines unterteilt ihn in Vermögens- und in Fälschungsdelikte. Nach seinen Zahlen haben sie im Vorjahr um 710 Fälle zugenommen. Was ihn keineswegs verwundert, wenn die Leute wegen des Coronavirus möglichst zu Hause bleiben sollen und damit gezwungen sind, mehr Einkäufe und Geschäfte als bisher auf Online-Plattformen abzuwickeln.
Verlagert hat sich auch anderes. Weil weniger Menschen unterwegs waren, sind nach Steines' Schlussfolgerung auch weniger Menschen ausgeraubt worden. Die Zahl der Raubüberfälle (85) ging um 14 und die der Überfälle auf Straßen, Wegen und Plätzen (23) um acht Fälle zurück. Macht laut Statistik jeweils einen Fünf-Jahres-Tiefstand. Den verzeichnet der Polizeileiter auch bei Wohnungseinbrüchen (336) und Autoaufbrüchen (130). Beides führt er auf die erhöhte Nachbarschaftskontrolle zurück, wenn viele zu Hause bleiben müssen.
Doch was in machen Fällen gut ist, wirkt sich in anderen schlecht aus: Statt in Wohnungen stiegen die Einbrecher jetzt vermehrt in Büros, Werkstätten und Lager ein – dort, wo die Menschen wegen des Homeoffice nicht waren. Nach der Statistik der Beamten stieg die Zahl der Fälle (176) um 70. Noch deutlicher fällt das Plus bei den Kelleraufbrüchen in Mietblöcken (397) aus: Bei ihnen ging es um 224 Delikte nach oben. Steines sagt, dass Serientäter gleich Dutzende Räume und Verschläge auf einmal aufgebrochen haben.
Vor zwei Jahren hatten vor allem minderjährige Einbrecher den Beamten zu schaffen gemacht, jetzt spricht der Leiter der Abteilung Nord-West in erster Linie von osteuropäischen Tätern. Um die Jugendlichen, die damals auf ihren Beutezügen unter anderem Gullydeckel in Scheiben und Schaufenster geworfen hatten, haben sich laut Steines inzwischen mehrere Behörden gekümmert. Ihm zufolge gab es eine Art Runden Tisch. Einige Mitglieder der Gruppe sind weggezogen.
Wegen der minderjährigen Täter hatte die Polizei seinerzeit nicht nur mehr Wohnungs- und Kellereinbrüche verzeichnet, sondern auch mehr E-Bike- und Fahrraddiebstähle. Nach der neuen Statistik ist ihre Zahl nun so niedrig wie in den vergangenen Jahren nicht. Die Beamten haben 298 Fälle registriert, im Vorjahr waren es noch fast 200 mehr gewesen. Steines erklärt das Minus genauso, wie er andere Rückgänge begründet – damit, dass die Leute wegen der Pandemie seltener draußen unterwegs waren, auch mit dem Fahrrad.
Zwei Zahlen haben sich für ihn dagegen so wenig verändert, dass der Polizeileiter von einer Stagnation spricht: bei den Straftaten gegen ältere Menschen und gegen Einsatzkräfte. In dem einen Fall kommt Steines auf 217 Fälle (plus 17), im anderen auf 51 (plus zwei). Im ersten sind Haustürtricks gemeint, im zweiten tätliche Angriffe. Es sind Zahlen, die von der Polizei bisher nicht kontinuierlich erfasst wurden. Die Beiräte haben um sie gebeten. Ihnen wird die Statistik noch separat vorgestellt. Den Anfang macht das Burglesumer Stadtteilparlament in der nächsten Woche.