Herr Lütjens, die Tami-Oelfken-Schule in Lüssum muss zum Schulstart wegen des Lehrermangels ihr Ganztagsangebot reduzieren. Welche Schule noch?
Jörn Lütjens: Für neun Grundschulen hat die Senatorin für Kinder und Bildung einen expliziten Aufruf mit der Bitte um Aushilfe durch Mehrarbeit an die Lehrkräfte gestartet. Dort ist nicht nur der Ganztag gefährdet, sondern sogar die Besetzung der Klassenleitungen im neuen ersten Jahrgang. Laut aktuellen Zahlen der Senatorin für Kinder und Bildung gibt es im Bereich Grundschule aktuell sieben von 81 Schulen, die eine Versorgung von unter 90 Prozent mit Lehrkräften haben. Bei einigen ist die Situation darüber hinaus verschärft und liegt unter 80 Prozent Versorgung. Wir haben einen Fachkräftemangel und wenn im Herbst die Erkältungswelle dazukommt, werden manche Schulen nicht anders können, als ihren Ganztagsbetrieb herunterzufahren. Die Personalsituation lässt sich nicht grundlegend und kurzfristig ändern. Man muss damit rechnen, dass der Mangel nicht komplett ausgeglichen werden kann und weiterhin große Lücken klaffen. Die Beschäftigten können nicht dauerhaft Mehrarbeit leisten, somit muss man beim Angebot abspecken.
Wie gut oder schlecht wird die Unterrichtsversorgung in Bremen-Nord nach den Ferien sein?
Bremen-Nord hat den höchsten Prozentsatz – 25 Prozent – an stärker betroffenen Grundschulen mit einer Versorgung unter 90 Prozent. Wichtig ist, dass die besonders betroffenen Schulen jetzt schnell Hilfe erhalten, damit eine Grundversorgung gewährleistet ist. Solche Schulen gibt es in allen Stadtteilen. Hierzu gibt es im Bereich Grundschulen seit vor den Sommerferien Bemühungen der Senatorin für Kinder und Bildung zum Teil mithilfe von angeordneten Abordnungen. Im Wesentlichen wird ab jetzt aber nur noch der Mangel verteilt, viele Neueinstellungen sind nicht mehr zu erwarten.
Eltern müssen also mit Unterrichtsausfall rechnen?
Definitiv. 90 Prozent Versorgung heißt, dass für zehn Prozent der Unterrichtsstunden kein Personal zur Verfügung steht. Mal ganz abgesehen von Ausfällen durch Krankheit, Schwangerschaft et cetera. Es läuft an vielen Schulen so: Die Stundenpläne werden so gestaltet, dass die Lehrer viele Springstunden zwischendrin haben, sodass sie als Vertretungslehrkräfte zur Verfügung stehen. Das ist dann Mehrarbeit für die Lehrkräfte, aber so kann ein Teil der Ausfälle kompensiert werden. Dann bekommt eine Lehrkraft auch manchmal Aufsicht in zwei oder drei Klassen gleichzeitig aufgetragen. Das ist nicht rechtens. Vertretungsunterricht als Mehrarbeit geht vielleicht in Notsituationen, aber nicht dauerhaft. Der Druck auf Lehrkräfte ist riesig. Manche wehren sich auch.

Jörn Lütjens, Vorsitzender des Personalrats Schulen in Bremen.
Wie viele Gefährdungsanzeigen gab es im vergangenen Schuljahr?
Die Tami-Oelfken-Schule ist eine Schule, die mit einer Gefährdungsanzeige auf die Situation aufmerksam gemacht hat. Andere melden sich direkt bei uns. Es werden aber zunehmend weniger Gefährdungsanzeigen gestellt, da die Behörde diese im vergangenen Jahr oft nicht fristgerecht bearbeitet hat. Aktuell besonders unter Druck sind Grundschulen aus dem Bremer Norden, aber auch in den Bereichen Süd, West und Ost gibt es Grundschulen, für die noch dringend Personal gesucht wird.
Wie kann das Dilemma gelöst werden?
Wir wünschen uns, dass genügend qualifiziertes Personal eingestellt wird. Das Problem ist: Die Ausbildung einer Lehrkraft dauert sehr lange, deshalb greift die Behörde auf Quer- und Seiteneinsteiger beziehungsweise ausländische Lehrkräfte zurück. Wir fordern, dass deren Qualifikation angehoben wird oder dass nachqualifiziert wird. Denn unsere Erfahrung zeigt, dass diese Leute an den Schulen eine Mehrbelastung für die bisherigen Beschäftigten darstellen. Es reicht nicht, irgendjemanden einzustellen. Lehrer ohne entsprechende Qualifikation müssen entsprechend nachqualifiziert werden. Die Senatorin für Kinder und Bildung hat das im Prinzip verstanden, aber sie stehen unter dem Druck noch mehr Personal finden zu müssen. Deswegen muss die Zahl der Lehramtsabsolventen erhöht und die Kapazitäten am Landesinstitut für Schule aufgestockt werden. Sonst stehen wir in zehn Jahren an derselben Stelle.
Die Behörde hat angekündigt, Einstellungen zentral zu steuern. Was hat das gebracht?
Die zentrale Steuerung ist eine uralte Forderung von uns. Bisher standen die Schulen im Wettbewerb um die knappe Ressource Personal und ausgerechnet die Schulen, welche die gut ausgebildeten Lehrkräfte am meisten gebraucht hätten, gingen oft leer aus. Jetzt entscheidet die Behörde, an welcher Schule die Berufseinsteigenden anfangen. Ich kann noch nicht beurteilen, inwieweit die zentrale Steuerung zu einem Ausgleich geführt hat. Die Zahlen zur Versorgung, die ich erwähnt habe, zeigen, dass es noch nicht ausreicht. Wie gesagt, wird außerdem zurzeit mit Abordnungen gearbeitet: Rund zehn Personen sollen in Bremen die Schulen wechseln. Nach Bremen-Nord wurden bislang zwei Beschäftigte abgeordnet.
Denken Schulleiter wegen fehlender Lehrer an Homeschooling?
Es gibt Schulleitungen, die das Modell als Lösung im Kopf haben, aber es gibt ein Problem: Das Ganze ist noch nicht ausreichend mit uns als Personalrat besprochen worden, wie es mit dem Homeschooling seitens der Beschäftigten gehalten werden soll. Wir wollen keine Wildwuchs-Lösungen. Es gibt noch keine Standards, wie Distanzunterricht organisiert werden kann, ohne dass es zu Mehrarbeit kommt. Es liegt mit Beginn von Corona ein drei Jahre währender Rechtsstreit vor, der bisher nicht geklärt ist.