Das Bläserquintett Opus 45 lässt frostige und schneidende Töne erklingen, dann schreibt Roman Kni?ka ein Datum auf eine Schultafel: 19. April 1945. An diesem Tag wurden die Inhaftierten des Konzentrationslagers Buchenwald befreit. „50.000 Menschen wurden hier ermordet, doch die Überlebenden schworen sich in einer Rede, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten“, sagt Roman Kni?ka.
Mit einem literarischen Kammerkonzert gedachten der Schauspieler und das Bläserquintett Opus 45 im Denkort Bunker Valentin in Bremen-Rekum der Opfer rechtsextremer Gewalt. Der Titel der Veranstaltung „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ stammt von dem italienischen Schriftsteller Primo Levi. Als Auschwitz-Überlebender warnte er im Jahre 1986 davor, im Gedenken an die Verbrechen des Holocaust nachzulassen.
In einem chronologischen Durchgang durch die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland erinnerten Roman Kni?ka und das Ensemble an die zahlreichen Gewalttaten, den Terror und die Morde, die von Rechtsextremen verübt wurden. Textbeiträge und kurze Filmdokumente wechselten mit Musik von Paul Hindemith, Pavel Haas und György Ligeti – drei Komponisten, die zu Opfern von Holocaust und nationalsozialistischer Diktatur wurden. Ihre überwiegend dissonanten Werke vermittelten statt strömender, behaglicher Klänge Zerrissenheit und Düsternis, Schrecken und Schauer – fröhliche Musik wäre angesichts des Themas deplatziert gewesen.
Erstarken der neuen Rechten
Das NS-Regime war in Deutschland noch nicht lange untergegangen, da tauchte schon wieder rechtsextremes Gedankengut auf. Am 14. Dezember 1959 schändeten wiedererstarkte antisemitische Kräfte die neu eingeweihte Synagoge in Köln. In einem eingeblendeten Video spricht Roman Kni?ka die einlullenden Worte des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer nach: „Der Nationalsozialismus hat im deutschen Volk keine Grundlage. Sie können völlig unbesorgt sein.“ Doch schon Anfang der 1960er-Jahre formierte sich eine neue Rechte in Gestalt der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die in sieben Länderparlamente einziehen konnte und vehement von der Studentenbewegung attackiert wurde. Am 11. April 1968 schoss Josef Bachmann, zur rechtsextremen Szene gehörig, mit dem Ruf „Du dreckiges Kommunistenschwein! “ am Kurfürstendamm in Berlin dreimal auf den Anführer des Sozialistischen Studentenbundes, Rudi Dutschke, der wenig später seinen Verletzungen erlag. In den 1970er-Jahren wurden weitere rechtsextreme Parteien oder Gruppierungen ins Leben gerufen, wie die Deutsche Volksunion (DVU) oder die Wehrsportgruppe Hoffmann, die im Jahre 1980 verboten wurde.
Bombenattentat beim Oktoberfest
Mit dem Ruf „O zapft is!“ erinnert Roman Kni?ka an das Oktoberfest-Attentat in München 1980, das als der größte Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik gilt: Bei diesem Bombenanschlag durch ein Mitglied der neonazistischen Wiking-Jugend kamen 13 Menschen ums Leben, 221 wurden verletzt.
Fragende und umherirrende Töne des Bläserquintetts leiten über zu Tagebuchaufzeichnungen von Primo Levi, der sich fragte, ob die Generation der 1980er-Jahre nicht eher mit der atomaren Bedrohung, Arbeitslosigkeit oder den Herausforderungen der modernen Technik beschäftigt sei als mit dem, was ihre Großväter im NS-Staat angerichtet haben.
Indes reißt die Serie von Morden und Anschlägen durch Rechtsextreme nicht ab, die sich im wiedervereinten Deutschland vor allem gegen Ausländer richten: Amadeu Antonio, ein Junge aus Angola, wurde 1990 in Eberswalde von Rassisten getötet, zwei Jahre später kommt es in Rostock nach fremdenfeindliche Übergriffe auf die Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für Vietnamesen zu Straßenschlachten zwischen Rechtsradikalen und der Polizei.
Angriffe aus Sinti und Roma
Sinti und Roma werden attackiert, Molotowcocktails in Wohnungen türkischer Familien geworfen, der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wird ermordet - Kni?ka und das Ensemble Opus 45 lassen die Gewalttaten von Neonazis bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts Revue passieren und schließlich eine Frau zu Wort kommen, die mehr als 18 Jahre in einer Neonazi-Familie aufgewachsen ist und für die Hass und Brutalität zur Normalität gehörten.
Das Erscheinungsbild junger Rechtsradikaler habe sich gewandelt, so Roman Kni?ka: Im Gegensatz zu den früheren Gestalten mit Glatze und Springerstiefeln würden sie heute sehr divers auftreten und seien etwa mit Kapuzenpullovern oder Hip-Hop-Kleidung nicht mehr von normalen Jugendlichen zu unterscheiden. „Damit wird es jungen Menschen auch leichter gemacht, die Schwelle zu Neonazis zu überschreiten." Zudem biete das Internet die Möglichkeit, Hassparolen in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. „Doch die Verrohung macht auch vor der Politik nicht Halt, wenn zum Beispiel der deutsche Nationalsozialismus als Fliegenschiss der Geschichte bezeichnet wird“, sagt er abschließend und erntet mit seinem Ensemble vom zahlreich erschienenen Publikum lange anhaltenden Applaus.