Straßennamen entstehen nicht unbedacht. Manche orientieren sich an Oberthemen wie Ländern, Flüssen oder Tieren. Andere geben Hinweise darauf, wie es an gleicher Stelle früher aussah. Am verbreitetsten sind jedoch solche, die besonderen Persönlichkeiten gewidmet sind. Damit soll die Erinnerung an die Person und an ihre Leistung wach gehalten werden. Ein Beispiel ist die Nicolaus H. Schilling Straße im Kämmerei-Quartier in Blumenthal. Benannt wurde sie nach Nicolaus Heinrich Schilling, dem ersten Nachkriegsdirektor der Bremer Woll-Kämmerei (BWK).
Geboren wurde der gebürtige Schweizer 1903 in Lausanne. Nach seiner Ausbildung zum Exportkaufmann kam er 1923 als Volontär in die BWK. Es folgten berufliche Stationen in Argentinien, Leipzig und Delmenhorst. 1947 kehrte er nach Blumenthal zurück und wurde Mitglied des BWK-Vorstands. 1969 schließlich berief man ihn in den Aufsichtsrat. Maßgeblich bestimmte er den Wiederaufbau der Bremer Woll-Kämmerei nach dem Krieg mit. Zudem begleitete er ihre Entwicklung zu einer der weltweit führenden Kämmereien. Dabei profitierte das Unternehmen von der weitreichenden Erfahrung, die er während seiner internationalen Tätigkeit gesammelt hatte.
Wichtig für die Infrastruktur
„Schilling sprach sechs Sprachen fließend und überraschte ausländische Verhandlungspartner und Wirtschaftskollegen immer wieder mit seiner mehrsprachigen Verhandlungsführung“, berichtet Detlef Gorn. Der Gründer der Initiative Kämmerei-Quartier Blumenthal beschäftigt sich seit Langem mit der Geschichte der Bremer Woll-Kämmerei. „Nicolaus Heinrich Schilling war einer der ganz Großen in der deutschen Textilwirtschaft“, erklärt Gorn sein Interesse an dem langjährigen Direktor des BWK, dessen Todestag sich kürzlich zum 35. Mal jährte.
Nie waren mehr Mitarbeiter in der Bremer Woll-Kämmerei beschäftigt als zu der Zeit Schillings. Ein Umstand, der sich spürbar auf den Standort auswirkte. So finanzierte die BWK gut die Hälfte der Infrastruktur Blumenthals. Unter anderem wurden Althäuser angekauft, aufwendig renoviert, Heizungen und Bäder installiert und die Wohnungen anschließen günstig an die BWK-Beschäftigten vermietet. Zudem wurden in der George-Albrecht-Straße vier neue Wohnblöcke gebaut. Auch ein BWK-Kindergarten entstand während Schillings Wirkungszeit ebenso eine Badeanstalt, die die Angestellten kostenlos nutzen konnten.
Die soziale Einstellung Schillings und seiner Vorstandskollegen zeigte sich auch in anderen Bereichen. So wurden Betriebsausflüge für die gesamte Belegschaft organisiert. 1950 ging es beispielsweise ans Steinhuder Meer, 1953 nach Dorfmark. Von der An- und Abreise über die Verköstigung bis zu Musik und Freizeitvergnügen war alles inklusive oder vergünstigt nutzbar. In den Sommerferien konnten Betriebsangehörige ihren Nachwuchs kostenlos in die Ferien schicken. Für die zehn bis 15-jährigen Kinder ging es unter anderem in den Schwarzwald oder nach Österreich, inklusive Ausflug nach Wien mit Praterbummel. Außerdem wurden Lehrlingsfahrten nach Flensburg, Kappel an der Schley und St. Andreasberg angeboten. Der Betriebssport wurde gefördert und 1949 errichtete die BWK für Ihren Obergärtner ein Wohnhaus, damit die Familie nicht mehr in den kellernahen Räumen der Direktoren-Villa wohnen musste.
Letzter Bewohner des sogenannten Schweizerhauses
Nicolaus Heinrich Schilling lebte bis zu seinem Tod 1986 in der Villa, dem sogenannten Schweizerhaus im Wätjens Park. Er war der letzte Bewohner des repräsentativen Gebäudes, das kurz nach seinem Ableben abgerissen wurde. Grund seien die mutmaßlich hohen Renovierungskosten, die man hätte aufwenden müssen, um das Haus weiterhin nutzbar zu machen. Diese wollte die BWK nicht investieren und entschied sich für einen Abbruch. Begleitet wurde dieser vom Protest zahlreicher Blumenthaler Bürger, die das Gebäude als schützenswertes Kulturdenkmal betrachteten.
Der Schutz und die Förderung kultureller Einrichtungen und Projekte lagen auch Nicolaus Heinrich Schilling am Herzen. Zeitlebens unverheiratet und kinderlos geblieben, vermachte sein Vermögen einer von ihm gegründeten gleichnamigen Stiftung. Das darin enthaltende Geld sollte ausschließlich für kulturelle Zwecke verwendet werden. Die Stiftung besteht bis heute. Nutznießer ist vor allem das Focke-Museum in Bremen. Zudem wurden Projekte in Bremen-Nord gefördert. Darunter der BWK-Phone Guide, die BWK-Dampfspeicherlok und die Neupositionierung des BWK-Maskottchen „Sir Charles“ an der Landrat-Christians-Straße.
Beerdigt wurde Nicolaus Heinrich Schilling auf dem evangelischen Luisenfriedhof III in Berlin-Charlottenburg im Grab der Familie Vogel. Anna Maria Vogel war eine seiner Schwestern. „Sie wohnte in Berlin und hatte dort ihren Lebensmittelpunkt. Wahrscheinlich war es ihr Wunsch, dass das Grab ihres Bruders in Obhut war, und sicherlich wurde es vorher so mit ihm festgelegt“, vermutet Detlef Gorn den Grund dafür, dass Schillings letzte Ruhestätte sich so weit entfernt von seinem langjährigen Umfeld und seinem Wirkungskreis befindet.