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Zehn Jahre danach Wie zwei Geflüchtete ihr Ankommen in Borgfeld empfanden

Abdullah Jawahari und Jamshid Sahibi flohen aus Afghanistan und landeten in Borgfeld. Heute sind sie in der Gesellschaft angekommen. Ihre Geschichten sind Beispiele für gelungene Integration.
09.09.2025, 05:00 Uhr
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Wie zwei Geflüchtete ihr Ankommen in Borgfeld empfanden
Von Antje Stürmann

Sie waren Kinder, als sie vor Krieg und Terror flüchteten. Und sie gaben alles auf. Ohne Geld und ohne den Schutz der Familie begaben sie sich auf eine lebensgefährliche Reise ins Ungewisse. 2015 kamen Abdullah Jawahari und Jamshid Sahibi gemeinsam mit vielen anderen jungen Menschen in Borgfeld an und bauten sich hier ein gutes Leben in Freiheit auf, sagt Jamshid Sahibi. Dabei hatten sie große Unterstützung, wie sie sagen.

Abdullah Jawahari hat vor fünf Jahren einen Arbeitsvertrag als ungelernter Betreuungshelfer für behinderte Kinder im Borgfelder Kaisenstift unterzeichnet. Seitdem leistet er 38 Stunden Schichtdienst in der Woche. Er zahlt Steuern und hält sich "an die Regeln", wie er sagt. Wenn er am Wochenende frei hat, trifft er sich am liebsten mit Freunden. "Entweder kommen sie zu Besuch oder ich fahre hin." Jamshid Sahibi hingegen wartet auf seine Verlobte, die in Augsburg wohnt und ihn besuchen will. Sahibi ist ausgebildeter Konstruktionsmechaniker und arbeitet über eine Leiharbeitsfirma im Bremer Mercedes-Werk.

Leben in Angst und wunde Füße

Jamshid Sahibi war nach eigenen Angaben 11 Jahre alt, als die Eltern ihn aus Afghanistan fortschickten. "In dieser Zeit war Krieg", sagt er. Zur Schule gehen konnte er deshalb nicht. Stattdessen hätten die Taliban junge Leute als Kämpfer rekrutiert. "Die Eltern wollten uns nicht verlieren", sagt Jamshid Sahibi. Er floh mit dem Bus, zu Fuß und mit dem Zug – immer in der Angst, entdeckt und verhaftet zu werden – über den benachbarten Iran durch acht weitere Länder nach Deutschland. Als er in München ankam, sagt er, sei er entkräftet und mit wunden Füßen zusammengebrochen.

Abdullah Jawahari indes muss bei Fragen nach seiner Flucht passen. Zehn Jahre später könne er immer noch nicht darüber sprechen, was ihn veranlasst hat, seine Heimat und die Familie zu verlassen und sich auf das lebensgefährliche Wagnis einzulassen. Zu belastend seien die Erinnerungen an den Krieg und die schlimmen Bedingungen, die dabei in ihm geweckt würden.

Viele Leute haben uns geholfen, wir müssen zurückhelfen.
Jamshid Sahibi

Auch Jawahari kam 2015 in München an und zog weiter nach Bremen. Heute sagt der gebürtige Afghane mit deutschem Pass: "Gott sei dank, bin ich in Bremen gelandet." Genauer gesagt, im Ortsteil Borgfeld. Geschätzt 200 junge, unbegleitete Geflüchtete kamen dort ab Oktober 2015 innerhalb weniger Monate an. Einige barfuß, nur mit dem, was sie am Leib hatten. "Ich verstand die Sprache nicht und kannte vieles nicht", sagt der heute 27-Jährige. Jamshid Sahibi, der jetzt 26 Jahre alt ist, spricht von einer "anderen Welt", in der er sich oft allein und hilflos gefühlt habe.

In Borgfeld trafen Jamshid Sahibi und Abdullah Jawahari vor allem auf nette, hilfsbereite Leute. "Sie waren offen", erinnert sich Abdullah Jawahari. Das habe in ihm ein gutes Gefühl ausgelöst. "In Borgfeld sind die Leute oft zu uns gekommen, sie haben den Kontakt aufgenommen", sagt Abdullah Jawahari, "sie haben mit uns Karten gespielt, Musik gemacht und wir haben zusammen gekocht." In der Bremer Neustadt, wo er nebenberuflich als Betreuungshelfer in einem Wohnheim für Flüchtlinge arbeitet, "kommt keiner von den Einheimischen vorbei", sagt er.

Mentorin als wichtige Unterstützung

Abdullah Jawahari empfindet es als Glück, dass er 2017 von Uwe Rosenberg, der damals ehrenamtlich unter anderem Deutschkurse organisierte, eine Mentorin vermittelt bekam. "Sie ist zu meiner Familie geworden, ohne sie hätte ich es nicht geschafft", sagt er. Claudia Brünings und ihr Ehemann haben mit Abdullah Jawahari per Rad die Umgebung erkundet, sie haben dem Berufsschüler bei den Hausaufgaben geholfen, ihm alles Wichtige dieser Kultur mitgegeben und waren für ihn da, wenn er schlechte Laune hatte oder traurig war. "Am Ende braucht man einen Platz, wo man hingehen kann", sagt Abdullah Jawahari, jemanden, auf den man sich verlassen kann. Das Ehepaar Brünings habe ihn vor der Einsamkeit bewahrt. Es sei eine tiefe Verbundenheit entstanden. Auch heute sehe er die beiden bis zu zweimal in der Woche.

Jawaharis Weg verläuft nicht schnurgerade. Aber er hat ihn ans Ziel geführt: ein besseres Leben. Sechs Monate Berufsschule, ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten. Die abgebrochene Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, weil er mit der Fachsprache nicht zurechtkam. Gemeinsam mit seiner Mentorin hat Abdullah Jawahari in Lilienthal ein Haus gekauft, in dem er selbst wohnt. Er fühle sich wohl, sagt er. "Ich mache einfach und glaube daran, dass es gut wird."

Auch Jamshid Sahibi hat seine Chancen genutzt – vom Praktikum in einer Werkstatt über die Berufsschule bis zur Lehre. Er hat zusätzlich Ausbildungen fürs Schweißen, Drehen und Gabelstapler-Fahren absolviert und genießt das Lob seiner Vorgesetzten. "Ich fühle mich aufgenommen in meinem zweiten Land", sagt er.

Und trotzdem gibt es mehr Vorbehalte denn je gegenüber Geflüchteten, wie das Deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut in Berlin in einer Langzeitstudie herausgefunden hat. Die einst Geflüchteten fühlten sich heute weniger willkommen, heißt es. Auch Abdullah Jawahari und Jamshid Sahibi haben so ihre Erfahrungen gemacht. Dass die Menschen in Deutschland feindseliger werden, können sie aber nicht bestätigen. Jamshid Sahibi hat teilweise sogar Verständnis für die Kritik. Es gebe Geflüchtete, die "nicht Deutsch sprechen und Sozialleistungen abholen, ohne zu arbeiten", sagt er. Doch er gibt auch zu bedenken, dass es in Deutschland sehr lange dauere, bis Geflüchtete eine Arbeitserlaubnis erhalten. Abdullah Jawahari indes kann die Anfeindungen nicht verstehen. "Eigentlich muss das nicht sein", sagt der Lilienthaler, der seit einem Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und einen internationalen Freundeskreis pflegt. Ihn tröstet das Wissen: "Es gibt solche Leute, aber es gibt auch genug gute Menschen."

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Mit Blick auf die Zukunft bleibt die Frage, was man 2015 hätte besser machen können. Jamshid Sahibi fällt dazu die große, oft kompromisslos durchgesetzte Bürokratie ein. "Ich wusste als Flüchtling vieles nicht", sagt er. Papiere habe er nicht besessen. Aber: "Ohne Papiere geht nichts." Ein wenig Nachsicht vermisst der Bremer auch im Umgang der Menschen miteinander. Oft höre er: "Das geht so nicht." Man könne Geflüchtete aber auch erst einmal beruhigen, ihnen Mut zusprechen und die Aussicht schenken: "Du bist in Sicherheit, du musst Deutsch lernen, dann kannst du später einer von uns sein."

Abdullah Jawahari sagt: "Wir haben Glück gehabt, dass die Leute in Borgfeld immer da waren." Für ihn steht fest: "Wenn alle wie in Borgfeld gewesen wären, wäre es einfacher." Nach Afghanistan zurück möchten beide Männer nicht, auch wenn dort die Familie lebt, die in der persischen Kultur einen hohen Stellenwert hat. Jamshid Sahibi erklärt, er sei dankbar für die Freiheit, die Unterstützung und seine Wohnung. "Viele Leute haben uns geholfen, wir müssen zurückhelfen. Die Leute haben uns geholfen, Deutsch zu lernen, wir müssen jetzt arbeiten, damit sie Rente kriegen." Deutschland, sagt er, sei jetzt seine Familie.

Zur Sache

Abdullah Jawahari und Jamshid Sahibi
waren zwei der insgesamt rund 100 Bewohner in der ehemaligen Notunterkunft Turnhalle am Borgfelder Saatland. Zu 40 von ihnen haben der einstige Leiter Detlev Busche und Borgfelder Ehrenamtliche noch Kontakt. Ihnen zufolge sind 38 berufstätig. „Die meisten haben eine Ausbildung gemacht, einige arbeiten auch als Ungelernte“, so Detlev Busche. Aus den Jugendlichen von einst seien Rettungssanitäter und Krankenpfleger geworden, Speditionskaufleute und Maurer. „Nur bei zweien ist es schwierig“, sagt der 76-Jährige. Von den übrigen 60 Bewohnern waren einige nur kurz in der Notunterkunft und sind dann weiter gezogen.

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