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Bremer Lernweg Vom Koch zum Gärtner

Das Ausbildungsmodell Bremer Lernweg bietet Langzeitarbeitslosen eine neue berufliche Perspektive. Mit der praxisnahen Qualifikation zum Gärtner macht die Biogärtnerei Rhizom positive Erfahrungen.
10.08.2023, 05:00 Uhr
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Vom Koch zum Gärtner
Von Ulrike Troue

"Es ist schön, wieder diesen regelmäßigen Arbeitsablauf zu haben", stellt Mike Vokuhl für sich fest. Das klingt für viele Menschen, die in Lohn und Brot stehen, nach einem ganz normalen Alltag. Doch den hat der 48-jährige Vokuhl eben viele, viele Jahre lang nicht gehabt. Jetzt aber steht er in seiner Latzhose im großen Gewächshaus, hilft bei der Gurkenernte und strahlt, als er über sein neues Leben spricht.

Mike Vokuhl ist eigentlich gelernter Koch. Ein Schlaganfall aber änderte alles, Vokuhl musste sich beruflich neu orientieren und rutschte in der Folge 2015 in die Arbeitslosigkeit – und das für lange Zeit. Bis ihm vor zwei Jahren sein Jobcenter-Sachbearbeiter eine ganz neue berufliche Option präsentierte: den "Bremer Lernweg". Dort können Menschen ohne Berufsschule zu einem neuen Berufsabschluss kommen. In Vokuhls Fall war es die Gärtnerei "Rhizom", die aus Vokuhl einen Gärtner machen wollte. Für ihn stand sofort fest: "Wenn ich da rankomme, will ich gern den Gärtnerberuf lernen."

Und es klappte. Längst hegt Vokuhl auf seinem Balkon statt Zierpflanzen nun Minigurken und Paprika. Der Weg vom arbeitslosen Koch zum Gärtner erfolgte in mehreren Etappen. Bis zum Beginn der dreistufigen Qualifikation arbeitete Vokuhl im ökologischen Lehrgarten, dadurch entfiel das zweiwöchige Pflichtpraktikum im Vorfeld.

Der 800 Quadratmeter große Lehrgarten ist die zweite Sparte des Borgfelder Betriebs der Gesellschaft Ökonet. Dort erklärt Diplom-Biologin Angela Landt, die das grüne Paradies mit Kräutergarten, Blumen- und Gemüsebeeten betreut, vor allem Kitagruppen oder Schulklassen anschaulich den ökologischen Anbau. Einige hätten auch Beetpatenschaften übernommen, berichtet sie.

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Die Umstellung seines Tagesablaufs sei ihm "relativ einfach" gefallen, erzählt Vokuhl. Der Grund: "Das liegt am guten Arbeitsumfeld." Die Vielfalt der Aufgaben gefalle ihm, auch die Bewegung an der frischen Luft. "Und mir ist wichtig, dass ich den Kindern zeigen kann, dass Gemüse nicht aus dem Supermarkt kommt", sagt er. Vokuhl ist vierfacher Vater.

Am 1. August begann für Vokuhl die letzte Stufe zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfung vor der Bremer Landwirtschaftskammer. Sie bescheinigt den sogenannten "Lernweglern" nach bestandener Prüfung die berufliche Qualifikation als Gärtner durch ein Zertifikat. Durch ihre erworbenen Grundkenntnisse könnten sie nicht nur im Gemüseanbau arbeiten, sondern in allen gärtnerischen Sparten, sagt Claudia Ramsperger, Leiterin der Bioland-Gärtnerei.

In Stufe drei sei ein Praktikum Pflicht, ergänzt Ramsperger, deren Gärtnerei seit 2011 Träger von arbeitspolitischen Maßnahmen ist und maximal zwölf "Lernwegler" ausbildet. "Über die Jahre haben vielleicht 50 Prozent der Menschen, die diesen Weg gegangen sind, einen dauerhaften Job gefunden", schätzt sie.

Über ihre Biogärtnerei sagt sie: "Von der Aussaat bis zu Ernte machen wir alles." Ramsperger ist gelernte Gemüsegärtnerin und studierte Landschaftsplanerin. "Im Anzuchthaus produzieren wir Jungpflanzen selber, die Vermarktung läuft zum Großteil über die 'Ökokiste'." Die liegt ebenfalls auf dem Gelände der Gärtnerei. "Wir versuchen, möglichst vielfältig zu sein", sagt Ramsperger und geht vorbei an prächtig gewachsenen Gurken, Paprika, Auberginen und Stangenbohnen und intensiv duftenden Basilikumstauden in zwei größeren Gewächshäusern. "Sommersaison", sagt sie über die farbigen Tomaten, die auf knapp der Hälfte der Flächen unter Glas wachsen. 

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Das feucht-warme Wetter begünstigt derzeit ebenso das Beikraut. Daher gehört außer der Ernte von Lauchzwiebeln, Zucchini, Mangold oder Rucola auf dem Freiland auch das Erkennen und Entfernen ungeliebten Grüns zum Arbeitsalltag der Langzeitarbeitslosen. 

Was aber ist die Besonderheit der Qualifizierungsmaßnahme, die das Jobcenter und die Wirtschaftssenatorin fördern? Die Bürgergeld beziehenden Langzeitarbeitslosen, die in der Regel das Jobcenter an "Rhizom" vermittelt, erledigen dort praktisch über drei Jahre einen Vollzeitjob. Sie seien zwischen 25 und 45 Jahre alt und kämen aus verschiedenen Stadtteilen, schildert das Leitungsteam. Darunter seien Menschen ohne Schulabschluss, aber auch Studienabbrecher.

Nachdem theoretisches Wissen wie botanische Namen, Wirtschaft, Sozialkunde oder Grundfächer nach Vorgabe des Rahmenplans vermittelt wurden, legt Ramsperger "bedarfsorientiert" den Wochenplan fest. Den täglichen Unterricht erteilen sie und Angela Landt selbst vor Ort.

Sie legen bei ihrer "arbeitsmarktfernen" Klientel zudem großen Wert auf Faktoren wie Zuverlässigkeit, Flexibilität und Belastbarkeit durch kurzzeitig erhöhtes Arbeitstempo. Dabei sei aufgefallen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen zugenommen habe. Ferner gebe es "vielschichtige Vermittlungshemmnisse", schildern sie, "nicht nur eins."

Trotzdem kann der "Bremer Lernweg", der als individuelles Teilzeitmodell auch Alleinerziehenden eine Chance bietet, Langzeitarbeitslose wieder dauerhaft in Arbeit bringen. Davon sind beide überzeugt: Vier Auszubildende haben in diesem Jahr bereits die Ausbildung geschafft. Von allen bisherigen Teilnehmern, die in der Grundstufe begonnen hätten, seien etwa 70 Prozent dabeigeblieben, schätzt Ramsperger. "Und alle, die es in die Abschlussklasse geschafft haben, haben die Prüfung bestanden."

Zur Sache

Tag der offenen Tür

Zu einem Tag der offenen Tür lädt die Biogärtnerei "Rhizom" für Sonntag, 13. August, von 11 bis 18 Uhr auf ihr rund einen Hektar großes Gelände. Das liegt Am kleinen Moordamm 1 in Borgfeld. Wer mehr über den "Bremer Lernweg" oder eine Arbeitsgelegenheit auf dem Lehrgelände erfahren möchte, kann sich an Claudia Ramsperger unter der Telefonnummer 0421/27 50 10 oder per E-Mail an rhizom@oekonet-bremen.de wenden.

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